Politik

AfD mit "historischem Sieg": Die Botschaft der Unzufriedenen!

Lesezeit: 4 min
01.09.2024 22:24  Aktualisiert: 01.09.2024 22:27
Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen liefern ein komplexes Ergebnis. Das Regieren in den kommenden Jahren könnte sehr schwierig werden. Doch ein gemeinsamer Nenner ist erkennbar.
AfD mit "historischem Sieg": Die Botschaft der Unzufriedenen!
Bei den Landtagswahlen in Thüringen erreichte die AfD ein historisches Ergebnis (Foto: dpa).
Foto: Matthias Bein

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Die Wähler in Thüringen und Sachsen haben der Politik eine komplizierte Aufgabe gestellt - vielleicht sogar ein nahezu unlösbares Rätsel. Erstmals ist die AfD nach den Landtagswahlen stärkste Kraft. In Thüringen überholte die Rechtsaußenpartei die CDU mit großem Vorsprung. In Sachsen gab es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Union. Trotzdem wird die AfD vermutlich mangels Koalitionspartnern nirgends regieren. Anders sieht es beim Newcomer des Jahres aus: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnte dank zweistelliger Ergebnisse in beiden Ländern eine Rolle spielen - vorausgesetzt, es entstehen völlig neue Regierungsbündnisse.

Die Spitzenkandidatin der BSW in Thüringen, Katja Wolf, zeigte sich von den ersten Prognosen für ihre Partei, die zwischen 14,5 und 16 Prozent der Stimmen sahen, überwältigt. "Ich habe Gänsehaut, ich geb‘s zu", sagte die ehemalige Linken-Politikerin und Bürgermeisterin von Eisenach bei der BSW-Wahlparty vor dem Erfurter Dom. Sie sprach von einem historischen Moment. Mit Parteigründerin Sahra Wagenknecht feierte sie, und immer wieder brandete Jubel auf. Es handele sich um einen "riesigen Vertrauensvorschuss", sagte Wolf. "Wir versprechen diesem Land: Wir lassen euch nicht allein."

AfD verkündet "historischen Sieg" in Thüringen

Die AfD, die in Thüringen laut Hochrechnungen deutlich über 30 Prozent erzielte und damit weit vor der CDU lag, ließ die Öffentlichkeit an ihrer Wahlparty nicht teilhaben - kurzfristig wurden alle Journalisten ausgeschlossen. Spitzenkandidat Björn Höcke sprach beim Verlassen der Party von einem "historischen Sieg", bevor er in den Landtag fuhr. Aus dem geschlossenen Partylokal drangen dennoch Applaus und Sprechchöre: "Höcke, Höcke" und "Jetzt geht’s los".

Im Fernsehen äußerte AfD-Bundeschefin Alice Weidel derweil Forderungen: Normalerweise sei die stärkste Partei mit Sondierungsgesprächen am Zug - alles andere wäre ein "Ignorieren des Wählerwillens", sagte Weidel in der ARD. Im Laufe des Abends stellte sich heraus, dass die AfD in Thüringen voraussichtlich eine Sperrminorität von über einem Drittel der Landtagsmandate hat und theoretisch wichtige Entscheidungen blockieren könnte. Das wolle man jedoch "auf keinen Fall missbrauchen", versicherte Höcke. Das Fazit: Die AfD ist stark, aber von einer eigenen Mehrheit weit entfernt - in Thüringen ebenso wie in Sachsen, wo sie laut Hochrechnungen mit etwa 31 Prozent knapp hinter der CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer liegt.

In Sachsen hat Kretschmer gute Chancen, im Amt zu bleiben. In Thüringen hingegen muss Ministerpräsident Bodo Ramelow nach einem Absturz seiner Linken vermutlich das Amt an CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt abgeben. Welche Parteien in beiden Ländern letztlich koalieren werden, bleibt offen. Klar schien am Sonntagabend nur, dass die AfD vermutlich nicht dabei sein wird. André Wendt, Vizepräsident des sächsischen Landtags, räumte ein, dass er ein besseres Ergebnis erwartet hatte. "Mir ist bewusst, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen." Er sei "glücklich, aber nicht überglücklich".

Parteiensystem unter Druck

Wenn es eine gemeinsame Botschaft aus diesen schwierigen Landtagswahlen gibt, dann ist es diese: Es ist ein Denkzettel der Unzufriedenen. Mehr als 40 Prozent der Wähler in beiden Ländern stimmten für zwei populistische Parteien, die fast alles infrage stellen, was die etablierten Parteien bisher angeboten haben. Die Regierenden in Berlin werden abgestraft: die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP, aber auch die Linke. Die Union schleppt sich ins Ziel. Die bittere Ironie: Das zu erwartende schwierige Regieren in beiden Ländern könnte den Frust vieler Menschen nur noch weiter verstärken. Das Parteiensystem steht massiv unter Druck. Dies gilt nicht nur in Ostdeutschland, aber besonders dort.

Das BSW unter der Führung von Sahra Wagenknecht will nicht mit der AfD zusammenarbeiten und sich auch nicht in einen Topf werfen lassen mit der Partei, die in Thüringen und Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird. Tatsächlich passt das BSW in keine herkömmliche Schublade. Wagenknecht vertritt in der Migrationspolitik und bei der Ablehnung von Militärhilfen für die Ukraine ähnliche Positionen wie die AfD, steht jedoch sozial- und wirtschaftspolitisch eher links. Meinungsforscher sehen sie eher als Vertreterin von linken Wählern - während die AfD auf einen erheblichen Prozentsatz von Anhängern mit klar rechten Ansichten zählen kann.

"Gegen-die-da-oben-Parteien"

Beiden Parteien gemeinsam ist das Selbstverständnis als "Gegen-die-da-oben-Parteien". Sie richteten scharfe Angriffe gegen die Regierenden, insbesondere gegen die Ampelkoalition in Berlin. Sowohl AfD als auch BSW sprechen den etablierten Parteien fast jede Problemlösungskompetenz ab. Sie zeichnen ein düsteres Bild vom Zustand des Landes und bieten sich selbst als Retter an. "Unser Land ist in keiner guten Verfassung", hieß es schon im Gründungsmanifest des BSW.

Damit trafen sie einen Nerv. Das Vertrauen in die etablierten Parteien und in das Funktionieren der Demokratie schwindet in beiden Bundesländern. In der zu Jahresbeginn veröffentlichten Umfrage "Sachsen-Monitor" gaben 81 Prozent der Befragten an, dass die meisten Politiker nur an die Stimmen der Wähler denken. In einer ähnlichen Umfrage in Thüringen, dem "Thüringen-Monitor", äußerten nur 45 Prozent Zufriedenheit mit der Demokratiepraxis - obwohl 88 Prozent die Staatsform Demokratie grundsätzlich befürworten.

Ängste vor Kriminalität und Migration

Zusätzlich gibt es derzeit große Ängste. Laut dem an diesem Wochenende veröffentlichten ARD-Deutschlandtrend machen sich in Sachsen und Thüringen 77 Prozent der Menschen Sorgen, dass die Kriminalität stark zunimmt. 67 Prozent fürchten eine zu hohe Migration, 55 Prozent bangen darum, ihren Lebensstandard zu halten. Nur 39 Prozent in Sachsen bewerteten in der Umfrage die wirtschaftliche Lage als gut, in Thüringen sogar nur 30 Prozent.

Auch 34 Jahre nach der Wiedervereinigung ist der Frust spürbar. In der ARD-Umfrage sagten jeweils drei von vier Befragten in beiden Ländern, dass Politik und Wirtschaft immer noch zu stark von Westdeutschen dominiert werden und dass Ostdeutsche oft noch immer "Bürger zweiter Klasse" seien. Eine gesellschaftlich explosive Lage, die sich in den Wahlergebnissen widerspiegelt.

AfD und BSW bestärken auf ihre Weise die Zweifel am "System", an parlamentarischen Prozessen, an etablierten Medien und an der Meinungsfreiheit. Höcke sprach am Samstag beim Wahlkampfabschluss von einer "Kartellparteienherrschaft" und von Medien, die "gekauft" seien. Es sei "egal, was ihr wählt", alle Parteien "lösen unser Deutschland auf wie ein Stück Seife unter dem Wasserstrahl". Nur die AfD sei anders.

Parteigründerin Wagenknecht erklärte ihrerseits im Wahlkampf, das BSW sei angetreten, "damit die Menschen, die protestieren wollen, eine seriöse Alternative haben, die wirklich etwas in ihrem Sinne verändert und die Bundesparteien unter Druck setzt."

Große Erwartungen geweckt

Beide Parteien haben große Erwartungen geweckt, einen "Neuanfang" anzustoßen. Höcke beharrte bis zum Schluss darauf, dass er Ministerpräsident werde und bald alles ganz anders laufe. Doch ohne Partner bleibt der AfD nur die Opposition. Das BSW hingegen könnte bald die Gelegenheit erhalten, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Vorher müssten sich jedoch fast unvereinbare Positionen verbinden: Der mögliche Koalitionspartner CDU ist von den Positionen des BSW teils meilenweit entfernt. Wagenknecht hat zudem kaum erfüllbare Forderungen in der Ukraine-, Russland- und NATO-Politik gestellt.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kommentierte dies im ZDF: "Ich kann nur sagen, in Erfurt wird nicht die Weltpolitik gemacht." Wagenknecht hielt am Wahlabend dagegen: "Was wir natürlich nicht machen werden, ist eine Regierung, die die Menschen enttäuscht, sondern wir möchten eine Regierung, die gerade diese Hoffnungen, auch diese Erwartungen erfüllt." Die CDU solle sich ihrer Verantwortung bewusst sein.


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