Politik

Thüringen-Wahl: AfD deutlich vorne - Schwierige Regierungsbildung erwartet

Erstmals bei einer Landtagswahl erreicht die AfD den ersten Platz. Landeschef Höcke kündigt daraufhin an, Gespräche mit anderen Parteien suchen zu wollen. Die Regierungsfähigkeit des Landes könnte dadurch in Gefahr geraten.
01.09.2024 21:45
Lesezeit: 3 min
Thüringen-Wahl: AfD deutlich vorne - Schwierige Regierungsbildung erwartet
Mario Voigt (CDU, Mitte), Vorsitzender der CDU in Thüringen und Spitzenkandidat, steht in einem Fernsehstudio bei der Runde der Spitzenkandidaten neben Björn Höcke (AfD) und Katja Wolf, Spitzenkandidatin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). (Foto: dpa) Foto: Michael Kappeler

Bei der Thüringen-Wahl hat die AfD unter Björn Höcke mit großem Vorsprung die meisten Stimmen erhalten. Nach Hochrechnungen von ARD und ZDF steht sie erstmals seit ihrer Gründung 2013 bei einer Landtagswahl an der Spitze.

Eine Koalition mit der AfD, die in Thüringen als rechtsextrem eingestuft wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Alle anderen Parteien haben eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. Das Land steht damit vor einer sehr schwierigen Regierungsbildung. Ein denkbares Bündnis aus CDU, BSW und SPD erreicht laut Hochrechnungen nicht die notwendige Mehrheit der Sitze im Landtag.

Ministerpräsident Bodo Ramelows Linke stürzt auf den vierten Platz ab. Die SPD schafft den Einzug in den Landtag, während die Grünen scheitern. Auch die FDP verpasst den Wiedereinzug ins Parlament.

Hochrechnung: Grüne und FDP scheitern an Fünf-Prozent-Hürde

Den Hochrechnungen zufolge erzielt die AfD 32,8 bis 33,4 Prozent der Stimmen (2019: 23,4 Prozent), während die CDU sich auf 23,8 Prozent verbessert (21,7). Das BSW erreicht auf Anhieb 15,5 Prozent und lässt damit die Linke, von der es sich abgespalten hat, hinter sich. Diese fällt dramatisch auf nur noch 11,9 bis 12,9 Prozent zurück (31,0).

Die Berliner Ampel-Parteien verlieren deutlich: Die SPD liegt mit 6,0 bis 6,1 Prozent nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde (8,2) und erzielt damit ihr bislang schlechtestes Ergebnis in Thüringen. Die Grünen, bislang ebenfalls Teil der Landesregierung, verfehlen mit 3,3 bis 3,4 Prozent den Einzug in den Landtag in Erfurt, ebenso die FDP, die auf 1,2 Prozent fällt (5,0).

Die AfD erhält demnach 32 Sitze (22), die CDU 23 (21) und das BSW 15. Die Linke hat nur noch 12 Mandate (29), die SPD stellt 6 Abgeordnete (8). Damit würden CDU, BSW und SPD zusammen 44 Sitze erreichen - ein Sitz weniger als nötig.

Rund 1,66 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung lag laut Hochrechnungen bei 73,5 bis 74,0 Prozent. 2019 betrug sie 64,9 Prozent.

Ramelow: Unterstützung bei Regierungsbildung zugesagt

Die bisherige rot-rot-grüne Minderheitskoalition, die auf die Zusammenarbeit mit der CDU angewiesen war, hat keine Chance auf eine Neuauflage. Ramelow, der Thüringen seit zehn Jahren regiert, sieht die Verantwortung zur Regierungsbildung nun bei CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt. "Derjenige im demokratischen Spektrum mit den meisten Stimmen muss die Gespräche beginnen und einladen. Ich werde alle unterstützen, die helfen, dass wir eine demokratische Mehrheit im Parlament erreichen", sagte der Linken-Politiker in der ARD.

Die Suche nach einer Regierungsmehrheit dürfte kompliziert werden. Laut einem Bundesparteitagsbeschluss der CDU ist eine Zusammenarbeit mit AfD und Linken ausgeschlossen. Eine Minderheitsregierung, die auf Unterstützung anderer Parteien angewiesen ist, scheint möglich. Trotz der Ablehnung der anderen Parteien will AfD-Spitzenkandidat Höcke Gespräche über mögliche Koalitionen anbieten.

BSW könnte Schlüsselrolle spielen

Das BSW könnte eine entscheidende Rolle übernehmen. Bundesparteichefin Wagenknecht, die nicht selbst zur Wahl stand, bekundete ihre Bereitschaft, an möglichen Koalitionsverhandlungen teilzunehmen. Sie hofft, dass das BSW gemeinsam mit der CDU und eventuell auch mit der SPD eine stabile Regierung in Thüringen bilden kann, wie sie am Wahlabend erklärte.

Wagenknecht, ehemals SED-Mitglied und später Aushängeschild der kommunistischen Plattform in der Linken, bereitet vielen CDU-Politikern Unbehagen.

CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt kündigte an, auch mit der SPD und deren Spitzenkandidat Georg Maier Gespräche führen zu wollen. Zum BSW sagte er: "Wir werden auch dort gesprächsoffen sein." Wagenknecht betonte ihre Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung: Frieden und der Verzicht auf die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland seien zentrale Anliegen, wie sie bei einer Wahlparty in Erfurt erklärte. Eine Landesregierung müsse diese Anliegen auf Bundesebene vertreten.

Heftige Auseinandersetzungen im Wahlkampf

Der Wahlkampf war von heftigen Auseinandersetzungen geprägt. Ein zentrales Thema war der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und Deutschlands Rolle als Unterstützer Kiews.

Erreicht die AfD in Thüringen mehr als ein Drittel der Landtagsmandate, hätte sie eine Sperrminorität: Entscheidungen und Wahlen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, könnten nur mit ihrer Zustimmung getroffen werden. So werden beispielsweise Verfassungsrichter mit Zweidrittelmehrheit gewählt.

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