Björn Höcke, der AfD-Chef Thüringens, wohnt und lebt in Bornhagen - unterhalb der Burgruine Hanstein. Der Ort liegt idyllisch im westlichen Teil des Eichsfeldes. Wer diese Gegend immer nur auf der Autobahn zwischen Frankfurt und Erfurt durchfährt, wird gar nicht wissen, dass der Landkreis in seiner Widerborstigkeit gewissermaßen ein gallisches Dorf ist. Im Eichsfeld begehrten die Katholiken seit Jahrhunderten zunächst gegen Luthers Protestanten auf und zuletzt in DDR-Zeiten gegen die gottlose SED sowie die agnostische Bevölkerung Thüringens. Es scheint da ein Zusammenhang zu bestehen, der jetzt auch der rechten AfD zu schaffen macht.
Wo die Bürger mit den Blauen über Kreuz liegen
Marion Frant (CDU) hat die Landratswahl im Eichsfeld zwar klar per Stichwahl mit 70 zu 30 Prozent gegen den parteilosen AfD-Kandidaten Marcel König gewonnen. Aber der Stachel vom Dornenkranz schmerzt gewaltig. Gesprochen wird in der Kreisstadt Heiligenstadt zwar nicht viel über Höcke und seine Anhänger. Im schmucken Heilbad im Obereichsfeld sagt man nur vieldeutig, dass man „mit den Blauen über Kreuz liegt“, was den Kern in Wirklichkeit besonders gut trifft, wenn man mal den Thesaurus zu Rate zieht.
Bemerkenswert ist, dass es gar nicht vordergründig um einen politischen Dissens geht, der die Eichsfelder immunisiert. „Ein Rezept gegen ,extremistische Kräfte' ist am ehesten so etwas wie ein eigenes Ehrgefühl, sich auch dann noch nicht mit den hier zu erlebenden ungeschlachten Verhaltensweisen gemein zu machen, wenn die darin gerügten Sachverhalte durchaus nachvollziehbar sind“, das sagt Werner Henning (67), zuletzt Heiligenstadts dienstältester Landrat ganz Deutschlands und seit Juli 2024 im Ruhestand.
Er kennt seine Pappenheimer. Henning erklärt die Haltung der Mitbürger: „Die christliche Prägung, besonders im katholischen Format, ist im Sozialverhalten der Eichsfelder auch heute noch bestimmend, ganz ungeachtet einer auch hier schwächer werdenden Kirchenbindung. Aus dieser Haltung erklärt sich eine große Nachfrage nach politischen Angeboten, die der eigenen Haltung einen Rahmen geben.“
Was die Bischofskonferenz sagt, hat hier Gewicht
Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, hatte bereits im Winter die Richtung gewiesen. Rechtsextreme Parteien wie die AfD sind nach Auffassung der katholischen Bischöfe Deutschlands für Christen nicht wählbar. Die AfD wurde dabei klar benannt. Zum Abschluss ihres Frühjahrstreffens in Augsburg hatte die Bischofskonferenz eine scharfe Absage „an jede Form von völkischem Nationalismus“ veröffentlicht. Der sei „unvereinbar mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild“.
In der stark von Landwirtschaft und früher vor allem der Tabakverarbeitung geprägten Kulturlandschaft im nordwestlichen Grenzgebiets Thüringens mit den Städten Duderstadt und Dingelstädt geht es um die Moral. Das hilft in der Auseinandersetzung. Man darf politisch anderer Meinung sein, aber die Umgangsformen müssen stimmen.
Bemerkenswert ist, dass es auch in der Oberlausitz Ecken gibt, die genauso ticken. Im serbischen Siedlungsgebiet bei Bautzen etwa, ein weiteres Gebiet, in dem die DDR-Oberen nicht viel zu melden hatten, während ihrer Regentschaft. Sind gläubige Christen immun gegen die Verführung von Populisten und Hetzern? Man ist geneigt, sogleich in die NS-Zeit zurückzudenken und Parallelen zu erkennen. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand hat das Thema erforscht und ist zu folgendem Urteil gekommen: Viele Katholiken standen „den neuen Machthabern distanziert gegenüber“ und „hofften, dass das Konkordat mit dem Vatikan im Juli 1933 die Eigenständigkeit ihrer Kirche sichert“. Seit 1935 verstärkte die NS-Führung ihren „Weltanschauungskampf gegen die katholische Kirche mit einer Diffamierungskampagne gegen Priester und Ordensleute“. Viele Gläubige beugten sich „dem totalitären Herrschaftsanspruch des Nationalsozialismus“ allerdings nicht.
Auch einzelne evangelische Geistliche und Gemeindemitglieder widersetzten sich den Absichten der den Nationalsozialisten nahestehenden „Deutschen Christen“. Sie schlossen sich 1933 im Pfarrer-Notbund zusammen und ab 1934 der Bekennenden Kirche an. Nur wenige Pfarrer nahmen eine grundsätzliche Gegnerschaft zu den Nazis ein. Die Folge: „Sie wurden aus ihren Gemeinden ausgewiesen oder inhaftiert.“ Christen des evangelischen Glaubens, die sich gegen das Regime gewendet hatten, schöpften Kraft aus Glaubensprinzipien, „ohne auf ihre Kirche hoffen zu können“.
Im Sorbenland bei Bautzen ist die Lage ganz ähnlich
Zum Schluss noch ein Vergleich mit dem jüngsten Wahlergebnis der AfD im niedersächsischen Cloppenburg, der gleichfalls als Glaubensbastion und deshalb Hochburg der CDU gilt. Hier holte die Union 47,2 Prozent, während die AfD mit 16, 6 Prozent nur deshalb zweistellig wurden weil fast zehn Prozent dem Bündnis 90/Grüne davongelaufen sind und als Proteststimmen konservativen Oppositionsparteien zufielen.
Auch das untermauert deutlich die These, dass ein gefestigtes Weltbild und moralische Integrität, wie sie in christlich orientierten Kreisen verbreitet ist, sich von der Tonart der AfD eher wenig beeindrucken lassen. Das zeigt womöglich auf, wie die rechtsextremen Partei angreifbar ist: Mit einem Kompass und nicht mit einem Überbietungs-Wettbewerb in destruktiver Rhetorik und Populismus.
Höcke verpasst Direktmandat in Ostthüringen
Björn Höcke hat übrigens (wegen der Ablehnung im Eichsfeld) lange vor der Wahl die persönliche Konsequenz daraus gezogen und ist stattdessen andernorts zur Wahl angetreten. Thüringens umstrittener AfD-Chef hat dennoch das Direktmandat in seinem Wahlkreis in Ostthüringen verpasst, obwohl seine Partei insgesamt ihr bisher bestes Ergebnis in Thüringen erzielt hat. Das gab Thüringens Wahlleiter frühzeitig bekannt.
Der 52-Jährige Höcke erhielt laut vorläufigem Ergebnis 38,9 Prozent der Stimmen im Wahlkreis Greiz II. Die meisten Stimmen gingen freilich an CDU-Bildungspolitiker Christian Tischner, der 43 Prozent bekam. Björn Höcke hatte lange nach einem aussichtsreichen Wahlkreis gesucht, nachdem er bei der Landtagswahl vor fünf Jahren im katholisch geprägten Thüringer Eichsfeld gegen die CDU verloren hatte. Die Wahlkreissuche für den AfD-Rechtsaußen hatte auch den Hintergrund, dass er bei einem Scheitern als Direktkandidat bei guten AfD-Ergebnissen in anderen Wahlkreisen Gefahr laufen könnte, als Spitzenkandidat nicht in den Landtag zu kommen. Er hat jetzt allerdings noch die Chance, als AfD-Spitzenkandidat über die Parteiliste ins Parlament zu kommen.