Die dauerhafte Wirtschaftsschwäche in Deutschland belastet jetzt den Arbeitsmarkt spürbar und hat die Zahl der Arbeitslosen auf den höchsten Wert seit dreieinhalb Jahren getrieben. Mit Zugängen bei den Arbeitslosen um + 63.000 im August sind mittlerweile 2.872.000 Menschen bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahresmonat August sind das insgesamt 176.000 mehr Arbeitslose. Die Arbeitslosenquote stieg damit im August auf 6,1 Prozent.
Die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, sieht auch für die kommenden Monate keine Besserung der Situation und hält es für möglich, dass mit der saisonalen Winterarbeitslosigkeit im Januar zum ersten Mal seit 10 Jahren wieder mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland ohne Arbeitsplatz sein werden. Seit 2022 steigt die Arbeitslosigkeit in Deutschland stetig an.
Stellenstreichungen in Industrie und Bau
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sei in fast allen Wirtschaftszweigen, ausgenommen die Energie- und Wasserwirtschaft, die Arbeitskräftenachfrage zum Vorjahresmonat gesunken, teilweise in zweistelliger prozentualer Höhe, so Nahles weiter. Ausgenommen sei hier nur die Energie- und Wasserwirtschaft.
Trotz der Wirtschaftskrise galt der Arbeitsmarkt bislang noch als stabil. Deshalb sei es durchaus alarmierend, dass die Unternehmen jetzt eine derartige Zurückhaltung bei den Neueinstellungen zeigen, wie sie es seit der Corona-Pandemie vor über drei Jahren nicht mehr getan haben. Dies geht aus den Informationen des aktuellen ifo-Beschäftigungsbarometers hervor. Die Zahl der offenen Stellen in den Betrieben zeigt mit aktuell 699.000 72.000 weniger Arbeitsplätze an als noch vor einem Jahr.
Abgebaut werden Arbeitsplätze besonders in der Industrie, dem Bau und dem Handwerk. In der Industrie ist die Lage besonders schlecht. Auftragsmangel führt hier zu Jobabbau, Einstellungsstopp und Kurzarbeit. Besonders düster sieht es in der Automobilindustrie aus, da der Absatzmarkt für die E-Autos stark eingebrochen ist. Ebenso stehen tausende Jobs in der Bauwirtschaft und Logistik auf der Kippe. Zehntausende Stellen fallen auch durch die Abwanderung der Produktion in der Chemiebranche ins Ausland weg. Auch die konjunkturelle Kurzarbeit hat wieder zugenommen. Im Juni wurden 232.000 Beschäftigten Kurzarbeitergeld bezahlt, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe.
Ausbildungsmarkt ebenfalls problematisch
Auch die Zahl der Ausbildungssuchenden ist seit Oktober 2023 um 10.000 leicht gestiegen zum Vorjahreszeitraum. Insgesamt haben sich 418.000 Suchende nach einem Ausbildungsplatz seit vergangenem Oktober gemeldet. Obwohl davon im August noch 82.000 keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, blieben trotzdem 158.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Laut Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger kann hier nur Abhilfe geschaffen werden durch eine Verbesserung der Bildung und eine praxisorientierte Berufsorientierung.
Zweischneidige Entwicklungen auch am Arbeitsmarkt
Trotz steigender Arbeitslosigkeit bleiben auch in Deutschland 1,6 Millionen Stellen unbesetzt. Obwohl der Jobabbau sich in Industrie und anderen Branchen fortsetzt, wird in anderen Wirtschaftszweigen händeringend nach qualifiziertem Personal gesucht. Allein im Handwerk fehlen zur Zeit 250.000 Fachkräfte und auch die Pharmaindustrie hat zehntausende Stellen zu besetzen. Gastronomie und Hotelgewerbe suchen nach geeignetem Personal, insbesondere Köche und Kellner.
Durch diesen parallel entstehenden Personalmangel wird eine signifikante Belebung der Konjunktur weiter verhindert, wie Wirtschaftsweise analysiert haben. Ohne die Zuversicht auf eine konjunkturelle Belebung fehlt es aber in anderen Wirtschaftsbereichen am Mut, auch Neueinstellungen zu planen.
Der Arbeitsmarkt steht außerdem vor tiefgreifenden Veränderungen und es wird in Zukunft noch schwieriger werden, qualifiziertes Personal zu finden. Da die Babyboomer nun das Rentenalter erreichen, werden allein in diesem Jahr 450.000 mehr Beschäftigte den Arbeitsmarkt verlassen, als jüngere Arbeitskräfte hinzukommen. Die Schere wird in den kommenden Jahren noch weiter auseinanderklaffen. Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, teilte mit, dass bis 2035 das Minus am Arbeitsmarkt sich auf insgesamt 7,2 Millionen Arbeitskräfte belaufen wird.