Es ist noch gar nicht lange her, als sich Volkswagen und Toyota einen Kampf der Giganten geliefert haben. Wer ist der Größte auf der Welt? Toyota, der Massenlieferant aus Japan? Oder die deutsche Technologie-Schmiede? Mit Vorzeigemarken wie Porsche und Audi, unzähligen Tochterfirmen wie Seat und Skoda, mit Werken weltweit. Dann ist irgendwer in Deutschlands Vorzeige-Unternehmen auf die unselige Idee gekommen, beim Diesel zu betrügen, um die Abgas-Emissionen und die immer schärferen Umweltstandards einhalten zu können.
Der alte Zampano steht endlich vor dem Strafgericht
Dafür muss sich seit Dienstag früh jetzt vor dem Strafgericht der frühere VW-Lenker und Industrie-Zampano Martin Winterkorn wegen gewerbsmäßigen Betrugs, Marktmanipulation und unendlicher Falschaussage verantworten. Neun Jahre ist es her, als die technischen Manipulationen in den USA aufgedeckt worden sind und der Konzern dadurch ins Taumeln geraten ist. Beobachter fragten zuletzt: Was soll ein derartiger Prozess überhaupt bringen?
Die Antwort hat gestern (bei einem Management-Treffen für die Führungsebene im Messe-Zentrallager in Isenbüttel) der zackige VW-Vorstand Oliver Blume gegeben, der einst bei Porsche Gas gab und dann als Feuerwehr in die Zentrale hochgelobt worden war.
Pünktlich zum Prozessbeginn geht es nicht nur um Schuld und mögliches Strafmaß. Blume nutzt das öffentliche Interesse, um endlich in aller Öffentlichkeit die eigentliche Frage zu diskutieren. Wie kann Volkswagen überhaupt noch gerettet werden?
Dieser Gretchenfrage sind in den vergangenen Jahre alle ausgewichen - in den Medien, in der Politik und offenkundig auch im Aufsichtsrat. Also im Kreise der Eigentümer, Aktionäre und Arbeitnehmervertreter. Dass die Zahlen nicht mehr stimmten, haben die Analysten an der Börse schon länger gesehen und sowohl Stamm- als auch Vorzugsaktien in Frankfurt in den Keller geschickt. Zu wenig Marge, zu viel Personal, die Herstellung der Fahrzeuge viel zu teuer, vor allem am Heimatmarkt Deutschland. Doch wie soll ausgerechnet VW sparen, wenn das Unternehmen dies in der Vergangenheit nie gelernt hat, sondern die Ratio Arbeitsplatzabbau strikt ausgeklammert wurde.
Nur an Sparschrauben gedreht, nicht bei den Jobs
Natürlich haben auch vor Blume die Manager des Automobilherstellers wie Matthias Müller und Herbert Diess an allerlei Sparschrauben gedreht - insbesondere bei den Zulieferern, die ordentlich um Aderlass gebeten wurden, wenn es um die Preise für Komponenten und Teile ging.
Jetzt steht freilich eine Verschärfung an, die ans Eingemachte geht. Auch die heiligen Kühe müssen jetzt in die Montagehalle geführt und dort geschlachtet werden - während im Konferenzraum die Arbeitnehmervertreter von Gesamt-Betriebsrat und Gewerkschaften die letzte Messe singen und die Sakramente sprechen.
Kaum überraschend, wie die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo bereits präventiv „energischen Widerstand“ angekündigt hat. Betriebsbedingte Kündigungen seien für sie - auch persönlich - „die rote Linie“, ließ sie als erste Reaktion auf Blumes Ankündigungen die Presse (und Mitarbeiter) wissen. Früher hat dies ja auch stets gewirkt, den Aufsichtsrat zu erschrecken und zum Ablasshandel zu bewegen. Dort sitzt schließlich das Land Niedersachsen mit seinen 20 Prozent und steht schon aus Reflexgründen immer gleich senkrecht, um sich vor die Mitarbeiter in den überwiegend auch in Niedersachsen beheimateten Werken zu stellen.
Zunächst auch mit einem plausibel klingenden Argument: Warum sollen die Arbeiter für das Versagen des früheren Vorstands gerade stehen? Stimmt wohl, wenn das Landgericht in Braunschweig dieses Urteil über Winterkorn verhängen sollte. Auch wahr, dass der andere frühere Porsche-Fahrer im Job des Vorstandsvorsitzenden, Matthias Müller, gleichfalls nichts bewegt hat. Von Herbert Diess ganz zu schweigen, der gilt bereits jetzt als Ritter der verblichenen Gestalt.
Den Patriarchen Porsche und Piëch geht der Mumm
Ein berechtigter Einwand, der allerdings außer Acht lässt, dass die Sparanstrengungen gleich nach der Ruchbarkeit von „Dieselgate“ hätten erfolgen müssen. Die Eigentümer-Familien Piëch und Porsche, deren Patriarchen Wolfgang Porsche und sein Cousin Hans Michel Piëch mittlerweile beide über 80 Jahre alt sind, haben schlechterdings nicht den Mumm, sich mit bissigen Arbeitnehmervertretern anzulegen. Die Politik, insbesondere Niedersachsens wohlfeiler Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) steht bei den „Familientreffen“ immer gerne im Hintergrund und hält sich zumeist vornehm raus. Weil ahnte zwar, dass die Probleme kommen, hoffte jedoch, dass jeder der neuen Chefs vielleicht einen geheimnisvollen Zauberstab in petto hält und diesen nach Wolsburg mitbringt. Einfach die Misere zerstäuben mit dem Hexenbesen.
Der Krug ist lange genug zum Brunnen getragen worden, jetzt ist er zerbrochen. Die Verwerfungen sind unvermeidlich und werden noch für ordentlich Ärger sorgen - in Wolfsburg, Emden, Kassel, Hannover, Salzgitter und Braunschweig und an all den anderen Standorten von VW. Aber auch in der Bundespolitik! Jeder weiß, dass bald eines dieser großen Standorte schließen muss, weil es mit Altersteilzeit-Modellen (wie dereinst zu seligen Zeiten von Arbeitsdirektor Peter Hartz) nicht mehr gehen wird.
Alibi-Schließungen an Mini-Standorten etwa in Osnabrück oder Dresden (wie einst bei der gläsernen Manufaktur) oder an Auslandsstandorten wie bei Audi in Belgien werden die Nadel nicht genug bewegen, dass sie wirklich spürbar tektonisch ausschlägt. Bis zuletzt hatte die Konzernspitze stets geschworen, alle anderen Wege auszuloten, bevor es als Ultima Ratio zu Werksschließungen kommt. Jetzt ist es soweit!
Selbst die Tochter Skoda erwirtschaftet höhere Gewinne als VW
Insider orakeln bereits von einem „so umfassenden Paket, wie man es bei VW seit Jahrzehnten nicht gesehen hat“. Die angestrebten Ergebnisziele seien sonst nie und nimmer zu erreichen. Die Kernmarke VW soll ihre Sparanstrengungen im Ziel um weitere vier bis fünf Milliarden Euro erhöhen. Maßstab für Oliver Blume sei „eine Zielrendite von 6,5 Prozent“, heißt es. Mit den bisher veranschlagten Einsparungen von zehn Milliarden bis 2026 werde dies freilich nicht erreicht. Zuletzt waren bestenfalls Margen von nur noch 2,3 Prozent bei Volkswagen erzielt worden. Es heißt: Selbst interne Mitbewerber wie die VW-Töchter Skoda, Cupra und selbst die Nutzfahrzeuge spielten durchweg mehr Rendite ein als die Kernmarke. Peinliches Aperçu: Die Marke Skoda in der Slowakei macht mittlerweile mehr Gewinn als Volkswagen.
Beschäftigungsgarantie wird aufgekündigt
Das Management plant jedenfalls, die an sich noch bis 2029 verbindliche Beschäftigungsgarantie für die sechs westdeutschen Werksstandorte zu kündigen. Das wäre dann der Schritt zu betriebsbedingten Kündigungen - und für den Arbeitnehmer sicherlich der Casus belli. Abgestimmt sei hierzu jedenfalls bislang noch gar nichts, heißt es. Kein gutes Zeichen für ein Unternehmen, in dem die Parität geradezu sozialistische Verhältnisse angenommen hatte zuletzt.
Blume stimmte seine Manager auf die neuen Parameter ein, die wie düstere Vorzeichen auf dem Screen aufflackern. Die Message lautet: VW muss härter sparen, um dem verschärften Wettbewerb standzuhalten. Nicht nur Chinesen drängen auf den europäischen Markt, auch die Koreaner. Der Nimbus, lieber ein deutsches Fabrikat zu erwerben, werde bei den Konsumenten nicht mehr lange halten angesichts des teils ungenierten Preiskampfes. Dass der Standort Deutschland allerdings auch zunehmend an Wettbewerbskraft verliert, gehört in der Gleichung natürlich ebenfalls zu den Variablen - wenn die Politik endlich ihre Gestaltungsmöglichkeiten einsetzt. Blume sagte wörtlich: „In diesem Umfeld müssen wir als Unternehmen jetzt konsequent agieren.“
Wie wird sich die Politik verhalten? Stephan Weil glaubt nach immer, dass die Frage, wie und nicht ob Arbeitsplätze abgebaut werden, lautet. Er erwarte, „dass sich die Frage einer Schließung von Standorten durch die erfolgreiche Nutzung von Alternativen schlichtweg nicht stellt“. Hört sich nach der Macht des Kapitals in sozialdemokratischen Händen an. Zu Erinnerung: Niedersachsen gehört zu den größten VW-Anteilseignern - mit 20 Prozent Stimmrechten. Und der Betriebsrat? In einem internen Rundbrief an die Belegschaft heißt es: „Der Vorstand hat versagt. Die Folge ist ein Angriff auf unsere Beschäftigung, Standorte und Tarifverträge. Damit steht VW selber und somit das Herz des Konzerns infrage. Dagegen werden wir uns erbittert zur Wehr setzen.“ Cavallo macht unverständlich klar: Als Betriebsratsvorsitzende werde sie keine Standortschließungen zulassen.
Wobei der Clou erst noch kommt: Die IG Metall bereitet sich derzeit nämlich bereits auf die nächsten Tarifverhandlungen vor und wird für den neuen VW-Haustarifvertrag wohl obendrein sieben Prozent mehr Gehalt einfordern - trotz minimaler Laufzeit von nur zwölf Monaten. Eine neues Fragezeichen in der Firmenbilanz wäre die Folge. Thorsten Gröger, den IG-Metall-Bezirksleiter und Verhandlungsführer bei VW, ficht das nicht an. Blumes Plan hält Gröger für „unverantwortlich“, weil der nichts weniger als „den Grundfesten von Volkswagen“ rüttele. Man wolle „mit aller Kraft, notfalls im harten Konflikt“ für den Erhalt von Standorten und Arbeitsplätzen kämpfen.
Das Jobwunder war gar keines: 680.000 Mitarbeiter weltweit
Zur Erinnerung: Der Konzern beschäftigt weltweit über 680.000 Mitarbeiter - davon gut 100.000 für die deutsche VW-Aktiengesellschaft. Die Personalkosten sind in den vergangenen fünf Jahren steil durch die Decke gegangen. Laut Geschäftsbericht wurden für Löhne und Pensionen konzernweit fast 50 Milliarden Euro aufgewendet. Dabei hatte VW 2023 noch 22 Milliarden Euro Gewinn erzielt.
Und wie geht es nun weiter? Am Mittwoch lädt der Betriebsrat schon mal alle Mitarbeiter in Halle 11 des Stammwerks in Wolfsburg. Zeitgleich wollen sich Hunderte von den Konzernführungskräften in Stockholm treffen und in die Tiefe des Zahlenwerks und der Zielplanung für die kommenden Jahre gehen.
Betriebsrätin Cavallo und ihre Tross werden Antworten Blumes einfordern. Vielleicht sollten sie auch in sich gehen und überlegen, wie der Beitrag der Arbeiternehmerschaft aussehen könnte. VW ist nicht sakrosankt und auch nicht unsinkbar. Diese langjährige Selbstgewissheit des einstigen Exportweltmeisters Deutschland ist schon vor geraumer Zeit als Irrglaube entlarvt wurde - daran ist zur Abwechslung auch mal nicht die Ampel schuld.