Die deutsche Wirtschaft steht an einem entscheidenden Wendepunkt: Das Land erlebt einen beispiellosen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen – ein düsteres Vorzeichen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Besonders die Industrie, einst Garant für Wachstum und Arbeitsplätze, gerät zunehmend ins Wanken. Steigende Energiekosten, globale Lieferkettenstörungen und geopolitische Unsicherheiten treiben viele Firmen in die Knie.
Im ersten Halbjahr 2024 verzeichneten die Amtsgerichte 10.702 beantragte Unternehmensinsolvenzen, was einem Anstieg von 24,9-Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Die Gläubiger forderten in diesem Zeitraum rund 32,4 Milliarden Euro – ein enormer Zuwachs im Vergleich zu den 13,9 Milliarden Euro des Vorjahres. „Bezogen auf 10.000 Unternehmen gab es im ersten Halbjahr 2024 in Deutschland insgesamt 31,2 Unternehmensinsolvenzen“, so das Statistische Bundesamt (Destatis). Seit August 2024 ist ein erneuter Anstieg der Insolvenzanträge zu verzeichnen: Laut Destatis nahmen die Insolvenzanträge im Vergleich zum Vorjahresmonat um weitere 10,7-Prozent zu.
Regionale Unterschiede: Bremen ist Spitzenreiter bei den Unternehmenspleiten!
Die größten Zuwächse bei den Unternehmensinsolvenzen verzeichnete im ersten Halbjahr 2024 Bremen mit einem Anstieg von 40-Prozent. Auch in Rheinland-Pfalz (37-Prozent) und Niedersachsen (35,1 Prozent) stiegen die Insolvenzzahlen überdurchschnittlich. In anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg (32,6-Prozent) und Bayern (20,1-Prozent) lag der Anstieg ebenfalls deutlich über dem Durchschnitt. Lediglich in Schleswig-Holstein fiel das Wachstum mit 5-Prozent vergleichsweise moderat aus.
Insolvenzzahlen erreichen Rekordwerte: Besonders die Industrie leidet!
Die aktuelle Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen erinnert an frühere Wirtschaftskrisen. Ähnlich wie in der Finanzkrise 2008/2009 trifft es insbesondere Unternehmen in bestimmten Branchen, wie das Baugewerbe und die Industrie. Nach Angaben des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) meldeten im Juli 145 Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe Insolvenz an. Dieser Wert liegt 46-Prozent über dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019.
Experten warnen vor den Folgen für den Wirtschaftsstandort. Mark Evers, Mittelstandsexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), sieht darin einen „alarmierenden" Trend. „Der deutlich überproportionale Anstieg der Unternehmensinsolvenzen in der Industrie, das Absacken der Industrieproduktion, die immer deutlicheren Verlagerungstendenzen – all das sind keine guten Aussichten für den hiesigen Produktionsstandort."
Steht Deutschland vor einer schleichenden Deindustrialisierung?
Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, erklärt, dass derzeit vor allem die Schwierigkeiten bei bekannten und großen Unternehmen die Diskussion um eine mögliche Deindustrialisierung Deutschlands prägen. Besonders besorgniserregend sei jedoch das stille Verschwinden zahlreicher hochspezialisierter Betriebe. Selbst etablierte Unternehmen können den aktuellen Herausforderungen nicht mehr standhalten.
Ein Beispiel dafür ist die Schließung des deutschen Maschinenbauers Illig aus Heilbronn, der zu den sogenannten „Hidden Champions“ zählte. Nach fast 80 Jahren musste das Unternehmen, das sich mit Verpackungen und Thermoformen weltweit einen Namen gemacht hatte, seinen Betrieb einstellen. Anfang Juli leitete der Betrieb ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ein. Diese bietet Illig die Chance, unter Aufsicht eines Sachwalters einen Sanierungsplan zu entwickeln und umzusetzen, um eine endgültige Schließung zu verhindern und Arbeitsplätze zu sichern. Die Suche nach einem Investor läuft auf Hochtouren. Derzeit bangen 550 Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze.
Steigende Insolvenzzahlen: Eine ernstzunehmende Herausforderung für die deutsche Wirtschaft!
Um den negativen Trend des rapiden Anstiegs von Unternehmensinsolvenzen abzufedern, sind Politik und Wirtschaft gefordert, entschlossen zu handeln. Doch kosmetische Maßnahmen reichen nicht aus – es braucht tiefgreifende strukturelle Reformen und einen klaren politischen Willen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern. „Angesichts der zahlreichen strukturellen Herausforderungen sind beherzte und wirksame Maßnahmen gefragt – zügig und unbürokratisch“, fordert DIHK-Mittelstandsexperte Marc Evers.
Der Abbau bürokratischer Hürden, eine nachhaltige und kosteneffiziente Energiepolitik sowie gezielte steuerliche Entlastungen sind essenzielle Schritte, um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu gewährleisten. Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, die Neugründungen und Innovationen erleichtern und die Grundlage für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung schaffen.
Die von der Bundesregierung präsentierte Wachstumsinitiative mit ihren 49 Maßnahmen und Anreizen für Unternehmen stellt zwar einen wichtigen Anfang dar, doch laut Evers sind sie nicht ausreichend. „Wir benötigen einen radikalen Bürokratieabbau, klare Perspektiven für eine kosteneffiziente Energieversorgung und dringend notwendige Entlastungen bei der im internationalen Vergleich hohen Unternehmensbesteuerung.“ Die Zeit für zögerliche Maßnahmen ist vorbei. Millionen Arbeitsplätze und der wirtschaftliche Wohlstand Deutschlands stehen auf dem Spiel. Nur durch mutige und schnelle Reformen kann das Land den Trend umkehren und den drohenden Verlust wichtiger Schlüsselindustrien abwenden. Jetzt ist der Moment, zu handeln – bevor es zu spät ist.