DWN: Warum haben Sie ein Buch über Javier Milei geschrieben?
Philipp Bagus: Weil es so unglaublich ist, dass ein bekennender Anarchokapitalist, der den Staat als Feind sieht, zum Präsidenten eines nicht unbedeutenden Landes geworden ist, und das als Quereinsteiger, ohne eigene Partei, ohne Politikerfahrung. Quasi aus dem Nichts, und mit solch radikalen Ideen. Das schreit quasi nach einer Erklärung und Analyse. Zudem kann das Phänomen Javier Milei die Welt verändern. Denn hat er Erfolg mit den libertären Rezepten, dann wird das Eindruck machen und Nachahmer finden, weltweit. Es wäre ein Schwerer Schlag für den Etatismus.
DWN: Javier Miles Ansätze in der Wirtschaftspolitik werden kontrovers diskutiert. Was will er und wie will er das umsetzen?
Philipp Bagus: In der Praxis arbeitet Milei auf einen Minimalstaat hin. Er möchte den Argentiniern die Freiheit zurückgeben, sie von der Last des Staates befreien, der sie hat verarmen lassen. Er möchte deregulieren, Staatsausgaben senken, privatisieren. Freiheit statt Zwang. Einige Dinge hat er schon erreicht, zum Beispiel hat er einen Währungswettbewerb eingeführt, hunderte von Regulierungen und Vorschriften abgeschafft, die die Menschen gelähmt haben. Er hat die Staatsausgaben zurückgefahren, die Inflation drastisch reduziert, und insgesamt die Last des Staates auf den Schultern der Argentinier um etwa ein Drittel gesenkt. Bei seinen Reformen orientiert sich Javier Milei an den Lehren der „Österreichischen Schule“.
DWN: Können Sie uns diese „österreichische Schule“ kurz erklären? Worin unterscheidet sie sich von anderen liberalen Denkrichtungen?
Philipp Bagus: Die Österreichische Schule ist eine Denkschule der Ökonomie, wie es der Keynesianismus oder auch die Chicago Schule ist. Sie wurde in Wien von Carl Menger gegründet. Weitere berühmte Mitglieder sind Eugen von Böhm-Bawerk, Ludwig von Mises, der Nobelpreisträger Friedrich A. von Hayek oder Murray Rothbard. Der Hauptverdienst der Österreichischen Schule ist es, gezeigt zu haben, wie der dynamische Marktprozess funktioniert und sich spontan eine Ordnung einstellt, die ein zentralen Planer wie der Staat nicht verbessern. Denn dazu fehlen dem Staat die Informationen. Die Österreichische Schule zeigt, dass alle Güter besser im Wettbewerb, angetrieben von findigen Unternehmern, bereitgestellt werden. Den Staat braucht es nicht. Er führt nur zur Verschwendung und Fehlkoordination.
In ihrer Analyse bemüht ein Österreichische Schule das traditionelle Freiheitskonzept. Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang, d.h. physischer Gewalt und der Androhung physischer Gewalt. Nur in Freiheit können die Menschen ihre Ziele kreativ finden und verwirklichen.
DWN: Die österreichische Schule wird oft als unsozial wahrgenommen, etwa weil sie einen starken Wohlfahrtsstaat ablehnt.
Philipp Bagus: Der Wohlfahrtsstaat sollte wegen seiner Auswirkungen in „Schlechtfühlstaat“ umbenannt werden. Der Staat hat nicht die notwendigen Informationen, um eine gute Bildung oder Gesundheitsvorsorge bereitzustellen. Die Qualität ist schlecht und die Kosten sind hoch, weil es keinen Wettbewerb gibt. Die Gesellschaft verarmt. Gerade weil Bildung, Gesundheit, Altervorsorge oder Bedürftigenhilfe so wichtige Bedürfnisse sind, sollten sie zurück in die Hände der Zivilgesellschaft gegeben und dem Zugriff von Politikern und Bürokraten entzogen werden.
Hinzu kommt, dass der wuchernde „Schlechtfühlstaat“ nicht nur durch Steuern, sondern immer mehr auch durch Inflation finanziert wird, um seine Kosten zu kaschieren. Nur ist Inflation auch eine Steuer, und zwar eine, die besonders stark die Armen trifft. Die Inflationssteuer ist also zutiefst unsozial und wurde besonders stark in Argentinien eingesetzt. Bei Amtsantritt von Milei lag die monatliche Inflationsrate bei 25 %! Ihm gelang es, diese Raten in wenigen Monaten auf 4 % zu senken.
DWN: Warum ist eigentlich gerade Argentinien so sehr von der Inflation heimgesucht worden, während sie sich etwa im Nachkriegsdeutschland in Grenzen hielt. Immerhin galt Argentinien ja einmal als eines der reichsten Länder der Welt.
Philipp Bagus: Im Nachkriegsdeutschland gab es mit Ludwig Erhard einen liberalen Reformer und mit der Bundesbank, eine Zentralbank, welche die D-Mark relativ wenig inflationierte. Während sich Deutschland vom Dirigismus der Nationalsozialisten abwendete, setzte Argentinien mit dem Peronimus auf einen wuchernden Staat. Der Sozialismus hat Argentinien, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der reichsten Länder der Welt und auch ein Einwanderungsland war, heruntergewirtschaftet, über Jahrzehnte. Durch die Umverteilung, den Schlechffühlstaat und staatlichen Subventionen sind die Staatsausgaben in Argentinien gestiegen. Es kam zu enormen Staatsdefiziten, die über das Drucken neuen Geldes finanziert wurden. Das Gelddrucken ist die Ursache für die Inflation des Pesos, dem 13 Nullen gekürzt wurden, bei zwei Hyperinflationen. Der Sozialismus bzw. Etatismus ist die Ursache für der Inflation Argentiniens.
DWN: Eine gewisse Inflation gilt gemeinhim als erstrebenswert. Die EZB verfolgt ein Inflationsziel von 2 %, eine Deflation wird gefürchtet. Was halten Sie von dieser Linie?
Philipp Bagus: Gar nichts. Die EZB malt eine Deflationsgefahr an die Wand, weil sie eine Rechtfertigung braucht für die Produktion neuen Geldes, mit dem sie die Eurozonenstaaten finanziert. Das Drucken neuen Geldes verursacht aber immer eine ungerechte Umverteilung. Und es kann eine Gesellschaft nicht reicher machen, sonst wäre die Armut auf der Welt längst verschwunden. Zudem sind fallende Preise kein Problem für die Gesamtwirtschaft. Wenn die Produktivitätsfortschritte größer sind als die Erhöhung der Geldmenge, fallen eben die Preise. Das ist ganz natürlich und kein Problem, wie es auch im Technologiesektor zu beobachten ist, wo die Preise fallen. Es ist ein Mythos, dass man die Geldmenge erhöhen muss, damit Wirtschaftswachstum möglich ist.
DWN: Einige Ökonomen fordern, dass sich der deutsche Staat stärker verschulden soll. Ohne mehr staatliche Schulden werde es keinen wirtschaftlichen Aufschwung geben. Wie sehen Sie das?
Philipp Bagus: Das ist Quatsch. Mehr staatliche Schulden bedeutet, dass mehr Ressourcen vom Privatsektor an den Staat geleitet werden. Der Staat verschwendet aber die Ressourcen. In der Privatwirtschaft wetteifern Unternehmer darum, die Befürfnisse der Konsumenten mit besseren Produkten zu niedrigeren Preisen zu befriedigen. Gelingt ihnen dies, erzielen sie Gewinn, gelingt es ihnen nicht, machen sie Verlust. Die staatlichen Planer machen weder Gewinn, noch Verlust. Verluste werden einfach auf den Steuerzahler abgewälzt. Kurz gefasst: Mehr staatliche Schulden bedeuten mehr Staat, bedeuten weniger Ressourcen für die Privatwirtschaft, bedeuten weniger Wachstum. So einfach ist das.
DWN: Seit einigen Jahren schrumpft der Wohlstand der meisten Menschen in Deutschland. Droht Deutschland zu einem „zweiten Argentinien“ - Hyperinflation inbegriffen - zu werden? Was könnte man tun, um dies abzuwenden?
Philipp Bagus: Deutschland befindet sich seit Jahren auf dem absteigenden Ast mit einem immer erdrückenderen Staat, der der Privatwirtschaft keine Luft zum Atmen lässt. Die Freiheit wird immer weiter eingeschränkt. Die Rechnung bekommt Deutschland jetzt und der Absturz beschleunigt sich, da jetzt die Folgen immer schneller ans Licht kommen. Hier die Kehrtwende zu vollziehen, wird schwer. Und bis dahin wird es immer schneller abwärts gehen. Trotzdem sind wir noch Jahrzehnte von argentinischen Zuständen entfernt. Schließlich hat sich Argentinien schon in den 1940er Jahren unter Peron dem Sozialismus zugewandt. Und unter dem Kirchnerismus hat sich das nochmal ab 2003 beschleunigt. Aber die Gefahr ist da, denn Deutschland ist auf dem Weg in die Unfreiheit. Davon ab kommt Deutschland nur, wenn man sich vom Sozialismus von der staatlichen Planung und Eingriffen in das Leben der Bürger abwendet, und sich den Ideen der Freiheit zuwendet, genauso wie es Argentinien unter Milei tut.
DWN: Wie beurteilen Sie die Zukunftsaussichten Argentiniens unter der Regierung Milei?
Philipp Bagus Man muss Milei Zeit geben. Wenn er die Zeit bekommt, und seine Reformen durchsetzen kann, dann wird die Ära Milei eine unglaubliche Erfolgsstory werden. Gegenwärtig hat Milei keine Mehrheit im Parlament, sondern er verfügt nur über 15 % der Sitze. Im Senat sind es nur 10 %. Sein Handlungsspielraum ist nicht sehr groß. Nächstes Jahr im November sind Parlamentswahlen. Wenn er dort eine Mehrheit bekommt, dann hat er die Möglichkeit richtig Gas zu geben, ohne so viele Kompromisse eingehen zu müssen. Immerhin hat er ja jetzt schon geschafft, die größte Strukturreform Argentiniens, durchzusetzen. Die Opposition versucht natürlich alles, um ihn zu stürzen, indem sie ihn blockiert, seine Vorhaben sabottiert, Unruhen auf der Straße anheizt, Polizeigewalt provoziert, interne Streitigkeiten animiert. Denn die Linken wissen, dass wenn Milei Erfolg hat, sie so schnell nicht mehr zu den Trögen der Macht zurückkehren werden. Sie sind daher in Panik. Und zwar weltweit. Denn hat Milei Erfolg und kann die libertären Rezepte anwenden, dann wird Argentinien wie der Phönix aus der Asche aufsteigen und ein Vorbild für Reformer in der ganzen Welt werden.
Info zur Person: Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universidad Rey Juan Carlos. Seine Forschungsschwerpunkte sind Geld- und Konjunkturtheorie. Er ist Fellow des Mises Institute (USA), Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Ludwig von Mises Instituts Deutschland und des Liberalen Instituts in der Schweiz, IREF-Stipendiat und Autor zahlreicher Bücher. Sein Buch Anti-Rallo wurde zum libertären Buch des Jahres 2023 gekürt. Sein jüngstes Buch ist "Die Ära Milei". Philipp Bagus ist zudem Verwaltungsratspräsident von Elementum International, einem Spezialisten für Edelmetalllagerung in der Schweiz.