Auf dem EU-Gipfel am Donnerstag steht die beschleunigte Rückführung von Personen ohne Bleiberecht im Fokus. Auch der Plan, Abschiebezentren außerhalb der Europäischen Union einzurichten, wird diskutiert. Die Tabus der Vergangenheit sind offenkundig gefallen. Es dominiert der Realismus – und die Erkenntnis, dass Europa nicht die Probleme der ganzen Welt lösen kann.
Am Mittwoch sollen bereits die ersten Flüchtlinge aus Italien in Albanien eintreffen. Es handelt sich um Personen aus Bangladesch und Ägypten, die auf der Insel Lampedusa gestrandet waren und nun in eines der neuen Abschiebezentren auf der anderen Seite der Adria gebracht werden. In Albanien, einem Nicht-EU-Staat, sollen sie das italienische Asylverfahren durchlaufen.
Das internationale Flüchtlingskomitee nennt dies einen „dunklen Tag für die europäische Asylpolitik“, doch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sieht in den albanischen Lagern ein Modell für ganz Europa, um die illegale Migration zu reduzieren.
In einem Brief an die 27 Staats- und Regierungschefs vor dem EU-Gipfel am Donnerstag erklärte von der Leyen, dass Abschiebezentren außerhalb der EU „ein möglicher Schritt nach vorn“ seien und man in Albanien praktische Erfahrungen sammeln könne.
Erleichtere Abschiebungen und Rückführungen
Von der Leyen kündigte an, dass die Abschiebung und Rückführung abgelehnter Asylbewerber erleichtert werden sollen. Derzeit werden nur 20 Prozent der abgelehnten Asylbewerber tatsächlich abgeschoben. Der designierte EU-Innenkommissar Magnus Brunner soll Vorschläge dazu erarbeiten.
Innenministerin Faeser unterstützt Vorstoß
Der EU-Gipfel wird von der Migrationsfrage dominiert, was auch auf das Engagement von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zurückzuführen ist. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte von der Leyens Pläne: „Ein effektives Rückkehrsystem auf europäischer Ebene ist unverzichtbar“, sagte Faeser in einem Interview. „Wer kein Recht hat, in der EU zu bleiben, muss auch wieder zurückkehren, damit wir diejenigen schützen können, die wirklich Schutz vor Krieg und Terror brauchen.“ Sie betonte damit, dass Rückführungsentscheidungen eines EU-Staates EU-weit leichter vollzogen werden sollten, um die irreguläre Migration zu begrenzen. In Deutschland habe man durch ein neues Gesetzespaket die Rückführungen bereits um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert.
Deutschland zögert bei Abschiebezentren
In der Debatte um das „Albanien-Modell“ bleibt Deutschland zurückhaltend, da die Ampelparteien keine einheitliche Position zu Abschiebezentren haben. Während Faeser die rechtliche Prüfung noch nicht abgeschlossen hat, lehnen die Grünen Lager außerhalb der EU ab, da sie das Grundrecht auf Asyl gefährdet sehen.
Nationale Alleingänge verschärfen Diskussion
Zwei nationale Alleingänge heizen die Migrationsdebatte weiter an. Die Bundesregierung führte nach einem Messerangriff eines abgelehnten Asylbewerbers in Solingen Grenzkontrollen ein. Polens Premierminister Donald Tusk kündigte an, das Asylrecht an der Grenze zu Belarus vorübergehend aufzuheben, mit dem Argument, dass Russland und Belarus gezielt Migranten an die EU-Grenze bringen, um diese zu destabilisieren.
Interesse an Melonis Albanien-Modell wächst
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verfolgt eine besonders strikte Migrationspolitik und hat Abschiebezentren in den albanischen Hafenstädten Shengjin und Gjader eingerichtet, um dort innerhalb von 28 Tagen Asylverfahren abzuwickeln. Meloni betrachtet dies als Abschreckungsmaßnahme.
Andere EU-Regierungen verfolgen das „Albanien-Modell“ mit Interesse, doch die albanische Regierung betont, dass sie nur Flüchtlinge aus Italien aufnehmen werde. Der Versuch, andere Drittstaaten für ähnliche Abkommen zu gewinnen, gestaltet sich schwierig. Ruanda war zwar bereit, Asylsuchende aufzunehmen, doch ein britisches Gericht erklärte das Abkommen für rechtswidrig.
Rechtliche Hürden für Abschiebezentren
Nach EU-Recht ist es derzeit notwendig, dass eine Verbindung zwischen dem Asylsuchenden und dem Drittstaat besteht, in den er abgeschoben werden soll. Die EU diskutiert jedoch, ob dieses „Verbindungselement“ aus dem Asylrecht gestrichen werden kann, um die Einrichtung von Lagern in Drittstaaten zu erleichtern.
Die EU-Kommissionspräsidentin plädiert zudem dafür, die Umsetzung der europäischen Asylreform (GEAS) zu beschleunigen. Obwohl dafür zwei Jahre vorgesehen sind, drängt die Bundesregierung darauf, einzelne Elemente vorzuziehen. Von der Leyen betonte, dass die Registrierung von Flüchtlingen verbessert werden müsse, ohne die „Balance zwischen Solidarität und Verantwortung“ im Asylpaket zu gefährden.
Sinkende Asylbewerberzahlen in Europa
Die Asylbewerberzahlen in Europa sind zuletzt gesunken. Von der Leyen führt dies auf Rückführungsabkommen mit nordafrikanischen Ländern wie Tunesien zurück, die Milliardenbeträge von der EU erhalten, um Migranten von der Überfahrt nach Europa abzuhalten. Migrationsexpertin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien sieht jedoch keine Wirkung des Abkommens. Sie betont, dass die globale Migrationspolitik der EU nur geringen Einfluss auf weltweite Migrationsbewegungen habe.
Italien startet Experiment in Albanien
Italien hat am Mittwoch erstmals Migranten in die neuen Abschiebezentren in Albanien gebracht, um dort ihre Asylanträge im Schnellverfahren zu prüfen. Eine erste Gruppe von 16 Migranten aus Ägypten und Bangladesch wurde in Shengjin an der Adria angelandet.
Die von Meloni im vergangenen Jahr mit dem albanischen Premierminister Edi Rama vereinbarte Maßnahme soll italienische Asylverfahren auslagern und Rückführungen beschleunigen. Betroffen sind nur Männer aus als sicher eingestuften Herkunftsländern, die über das Mittelmeer nach Europa gelangt sind. Ausgenommen seien Frauen, Kinder, Folteropfer und Kranke, heißt es.
Kritik an Melonis Lagern
Italien trägt die Kosten der Lager in Albanien, die sich über fünf Jahre auf 670 Millionen Euro belaufen. Die Asylverfahren werden von italienischen Beamten durchgeführt. Menschenrechtler kritisieren das Modell und sprechen von einem „italienischen Guantánamo“. Auch die Rechtmäßigkeit des Projekts wird infrage gestellt, da viele Herkunftsländer nicht die nötigen Bedingungen eines „sicheren“ Landes erfüllen.