Politik

Strategiewechsel in Israel? Millionen Dollar für Geiseln – Waffenruhe im Blick

Netanjahu besucht den Gazastreifen und lobt eine Belohnung in Millionenhöhe für jede befreite Geisel aus. Währenddessen steigen die Hoffnungen auf eine Waffenruhe im Libanon. Ist das der Beginn eines dauerhaften Strategiewechsels in Israel?
20.11.2024 12:50
Aktualisiert: 20.11.2024 12:50
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat eine Belohnung von fünf Millionen Dollar (4,7 Millionen Euro) für die Freilassung jeder der noch rund 100 verbliebenen Geiseln im Gazastreifen ausgesetzt. Bei einem Besuch in dem umkämpften Küstengebiet versprach er am Dienstag den Beteiligten an der Befreiung oder Freilassung der Geiseln und deren Familien freien Zugang ins Ausland. Der UN-Sicherheitsrat wird sich heute (16 Uhr MEZ) ebenfalls mit den Geiseln befassen: Das Gremium soll über eine Resolution abstimmen, die die Freilassung der Geiseln und einen sofortigen Waffenstillstand im Konflikt zwischen Israel und der islamistischen Hamas fordert.

Diplomaten erwarten jedoch, dass die USA diese Beschlussvorlage mit einem Veto blockieren werden. Unterdessen wächst die Hoffnung auf eine Waffenruhe im Libanon: Der US-Vermittler für den Nahen Osten, Amos Hochstein, könnte Berichten zufolge noch heute zu weiteren Gesprächen nach Israel reisen. Am Dienstag zeigte er sich nach ersten Gesprächen in Beirut optimistisch und erklärte, ein Waffenstillstand zwischen Israel und der proiranischen Hisbollah-Miliz im Libanon sei „in greifbarer Nähe“.

Neben dem Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen führt Israel auch einen Krieg gegen die Hisbollah im Libanon. Diese beschießt Israel, um die Hamas zu unterstützen, die am 7. Oktober 2023 ein Massaker mit rund 1.200 Toten in Israel verübt hatte. Israel reagierte mit Luftangriffen und einer Bodenoffensive.

Netanjahu im umkämpften Gazastreifen

Während seines Besuchs im Gazastreifen warnte Netanjahu laut einer Mitteilung seines Büros zudem, dass jeder, der den Geiseln Schaden zufüge, einen „hohen Preis“ zahlen werde. „Wir werden euch verfolgen und wir werden euch finden.“ Die Hamas werde den Gazastreifen in Zukunft nicht mehr beherrschen. „Wir sind dabei, ihre militärischen Fähigkeiten auf sehr beeindruckende Weise zu zerstören.“ Ein früheres Angebot, die Geiseln durch Zahlung einer Belohnung zu befreien, hatte die islamistische Hamas als Farce abgelehnt. Eine Freilassung der Geiseln werde nur erfolgen, wenn ein Abkommen zustande komme, das das Ende des Kriegs, das Ende der Blockade und den Wiederaufbau des Gazastreifens umfasst.

Von den rund 250 Personen, die während des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 aus Israel verschleppt wurden, werden noch etwa 100 im Gazastreifen festgehalten, wobei viele von ihnen vermutlich nicht mehr am Leben sind. Angehörige werfen Netanjahu vor, eine Einigung zur Freilassung verhindert zu haben, um den Krieg fortzusetzen und sich selbst an der Macht zu halten.

US-Vermittler: Waffenruhe in den nächsten Tagen möglich

Im Konflikt zwischen Israels Militär und der Hisbollah im Libanon scheint sich eine Entspannung anzudeuten. US-Vermittler Hochstein hatte am Dienstag erklärt, es gebe jetzt eine „wichtige Gelegenheit“, eine Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien zu erreichen – hoffentlich „in den kommenden Tagen“. Bis zu einer Einigung seien jedoch noch „Lücken zu schließen“.

Seit Wochen kursieren in den Medien Details zu einem möglichen US-Vorschlag. Libanesische Sicherheitskreise berichten, dass Israel und die Hisbollah zunächst 60 Tage lang ihre Angriffe aussetzen sollen. Die israelische Armee solle den Libanon verlassen, und Soldaten der libanesischen Armee sollen an der Grenze stationiert werden. Israel und der Libanon sollen nach 60 Tagen Verhandlungen über die vollständige Umsetzung der UN-Resolution 1701 zum endgültigen Ende der Feindseligkeiten aufnehmen. Die Hisbollah soll den US-Entwurf als Grundlage für weitere Verhandlungen sehen.

Israel setzt Angriffe im Libanon fort

Ungeachtet der laufenden Vermittlungsbemühungen setzt Israel seine Angriffe im Libanon fort. Berichten zufolge bombardierte Israels Militär Ziele nahe der libanesischen Hafenstadt Tyrus. Mehr als sechs Luftangriffe trafen Gebäude und Häuser im Ort Husch, etwa vier Kilometer von der Küstenstadt entfernt, wie die Zeitung „L'Orient Le Jour“ berichtete.

Die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete von schwerem Artilleriebeschuss auf das libanesische Dorf Dschamark, etwa elf Kilometer entfernt von der Demarkationslinie im Süden des Landes. Es war der erste Artilleriebeschuss durch Israel seit Beginn des Kriegs. Zudem wurden bei einem israelischen Luftangriff nach libanesischen Angaben drei Soldaten getötet. Der Angriff traf eine Militäreinrichtung im südlichen Ort Sarafand, wie die libanesischen Streitkräfte mitteilten. Das israelische Militär erklärte, der Vorfall werde geprüft.

Laut dem Gesundheitsministerium ist die Zahl der Opfer seit Beginn der Auseinandersetzungen zwischen dem israelischen Militär und der proiranischen Hisbollah-Miliz auf 3.544 Tote und 15.036 Verletzte gestiegen. Unter den Todesopfern sind auch 671 Frauen und 231 Minderjährige. Darüber hinaus wurden im Libanon vier Soldaten der UN-Friedenstruppe Unifil verletzt. Blauhelmsoldaten aus dem westafrikanischen Ghana wurden verletzt, als eine Rakete ihren Stützpunkt traf, wie die Mission berichtete. Unifil schätzte, dass der Beschuss „höchstwahrscheinlich“ von einer nichtstaatlichen Gruppe, wie der Hisbollah, ausging.

Rund 540.000 Menschen flohen aus dem Libanon nach Syrien

Seit der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon flohen nach Angaben der UN etwa 540.000 Menschen ins benachbarte Syrien. Laut dem UN-Nothilfebüro OCHA waren rund zwei Drittel der Flüchtlinge Syrer, der Rest libanesische Staatsbürger. Vor der jüngsten Verschärfung des Konflikts lebten im Libanon rund 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge, die seit 2011 infolge des Bürgerkriegs in ihrem Heimatland in den Libanon gekommen waren. Der Libanon hat etwa sechs Millionen Einwohner.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Frankreich: Regierung von Premier François Bayrou scheitert bei Vertrauensfrage
08.09.2025

Frankreichs Regierung unter Premier François Bayrou ist an der Vertrauensfrage gescheitert. Ein krachendes Votum zwingt Präsident...

DWN
Politik
Politik Höhere Beitragsbemessungsgrenzen: Sozialbeiträge werden für Beschäftigte 2026 spürbar steigen
08.09.2025

Die schwarzrote Koalition will die Beitragsbemessungsgrenzen für Rente, Pflege und Krankenversicherung anheben – mit der Begründung,...

DWN
Politik
Politik Government Pension Fund Global: Norwegens Ölfonds trotzt den USA
08.09.2025

Der Government Pension Fund Global (GPFG) sorgt für Streit: Nach dem Ausschluss von Caterpillar und israelischen Firmen drohen die USA mit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autozulieferer unter Druck: Stellenabbau bei Bosch, Conti, ZF – Autobranche kämpft ums Überleben
08.09.2025

Die deutsche Autobranche steckt in einer existenziellen Krise. Auftragseinbrüche, Milliardeninvestitionen in E-Mobilität und massiver...

DWN
Finanzen
Finanzen Wölfe der Wall Street: US-Börsen zwischen Rekorden und Unsicherheiten – steigt der Goldpreis auf 5.000 Dollar?
08.09.2025

Die US-Börsen schwanken zwischen Euphorie und Risiko: Rekorde bei S&P 500 und Nasdaq treffen auf Sorgen um Fed-Unabhängigkeit und...

DWN
Politik
Politik EU-Asylagentur: Deutschland bei Asylanträgen nicht mehr führend
08.09.2025

Seit mehr als zehn Jahren lag Deutschland bei Asylanträgen in Europa unangefochten an der Spitze. Nun übernehmen Frankreich und Spanien...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Warum Führungskräfte manchmal unlogische Entscheidungen treffen – und was zu tun ist
08.09.2025

Führungskräfte treffen oft irrationale Entscheidungen – aus Zeitdruck, Denkfehlern oder Selbstüberschätzung. Doch wer mutig ist und...

DWN
Politik
Politik Zwei Jahre nach dem Start: Wird die Regierung das Heizungsgesetz abschaffen?
08.09.2025

Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Heizungsgesetzes plant die schwarz-rote Koalition Änderungen. Zwischen Klimazielen, Förderkürzungen...