Politik

Netanjahu Haftbefehl: Deutschland und die rechtliche Zwickmühle

Der Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu erschüttert die internationale Bühne. Deutschland sieht sich in einem schwierigen Spagat: zwischen der Unterstützung des Völkerrechts und der historischen Verantwortung gegenüber Israel. Wie Berlin mit diesem Dilemma umgeht, könnte weitreichende Konsequenzen haben.
22.11.2024 18:04
Lesezeit: 2 min
Netanjahu Haftbefehl: Deutschland und die rechtliche Zwickmühle
Benjamin Netanjahu (M), Ministerpräsident von Israel, besucht den Netzarim-Korridor im Gazastreifen. Wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef Netanjahu erlassen. (Foto: dpa) Foto: Maayan Toaf/Israel Gpo

Die Bundesregierung steht nach dem Haftbefehl gegen Israels Regierungschef vor einem Dilemma. Noch ist offen, wie sie sich positionieren wird. Für Ungarn ist hingegen klar: Der Haftbefehl wird ignoriert.

Nach dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die Bundesregierung noch keine Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen getroffen. Deutschland befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits ist es Vertragsstaat und Verfechter des IStGH, andererseits unterstützt es Israels Recht auf Selbstverteidigung nach dem Terrorüberfall der Hamas im vergangenen Jahr. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hingegen hat sich klar positioniert: Er sprach demonstrativ eine Einladung an Netanjahu aus und will den Haftbefehl ignorieren – obwohl auch Ungarn Vertragsstaat des IStGH ist.

Am Donnerstag hatte der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen Netanjahu und den kürzlich entlassenen israelischen Verteidigungsminister Galant wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Krieg erlassen. Die Entscheidung ist international stark umstritten: Während Israels Verbündete den Beschluss kritisieren, feiern der Iran und die Palästinensische Autonomiebehörde ihn.

Auch gegen Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri, bekannt als Mohammad Deif, einen Anführer der Terrororganisation Hamas, wurde ein Haftbefehl erlassen. Nach israelischen Angaben ist er jedoch nicht mehr am Leben.

Baerbock: Einreise Netanjahus ist "hypothetische Frage"

Zum Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit, dass die daraus folgenden "innerstaatlichen Schritte" sorgfältig geprüft würden. Konkrete Entscheidungen seien erst nötig, wenn ein Aufenthalt von Netanjahu oder Galant in Deutschland absehbar sei.

Deutschland sei einer der größten Unterstützer des Gerichtshofs. "Diese Haltung ist auch Ergebnis der deutschen Geschichte. Gleichzeitig ist Konsequenz der deutschen Geschichte, dass uns einzigartige Beziehungen und eine große Verantwortung mit Israel verbinden", betonte Hebestreit. Die Bundesregierung sei an der Ausarbeitung des IStGH-Statuts beteiligt gewesen und habe die Entscheidung des Gerichts zur Kenntnis genommen.

Außenministerin Annalena Baerbock sagte gegenüber RTL und ntv, Deutschland halte sich "natürlich national, europäisch und international an Recht und Gesetz". Eine mögliche Einreise Netanjahus in die EU sei jedoch eine "hypothetische Frage". "Aber das prüfen wir jetzt genau, wie wir dann damit umgehen werden."

Ungarn lädt demonstrativ ein

Eine Einladung an Netanjahu aus der EU gibt es bereits: Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orban sprach sie demonstrativ nach dem Haftbefehl aus. Der Beschluss des IStGH setze das Völkerrecht außer Kraft und "gießt auch noch Öl ins Feuer", erklärte Orban im ungarischen Staatsrundfunk. "Deshalb werde ich Benjamin Netanjahu heute noch einladen, was für ihn keine Konsequenzen haben wird. Wir werden den Haftbefehl ablehnen, wenn er die Einladung annimmt." Orban pflegt seit Langem gute Beziehungen zu Netanjahu.

Israels Regierungschef dankte Orban für seine Unterstützung, wie aus einer Mitteilung seines Büros hervorging. Ungarn stehe auf der Seite der Gerechtigkeit. Ob Netanjahu die Einladung annehmen wird, blieb zunächst offen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Ungarn einen Haftbefehl des IStGH ignoriert. Als das Gericht im vergangenen Jahr Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine erließ, hatte Budapest ebenfalls angekündigt, diesen nicht umzusetzen.

Vertragsstaaten des IStGH sind eigentlich verpflichtet, Haftbefehle zu vollstrecken. Eine Weigerung, Netanjahu festzunehmen und auszuliefern, hätte jedoch zunächst keine direkten Folgen. Ein solcher Fall kann an die Konferenz der Vertragsstaaten übergeben werden, die dann über Konsequenzen entscheidet. In der Vergangenheit wurden Staaten in ähnlichen Fällen meist nur kritisiert, ohne dass Sanktionen folgten.

Zuletzt hatte sich auch die Mongolei geweigert, Putin bei einem Besuch im Land festzunehmen. Dies soll auf der nächsten Vertragsstaatenkonferenz Anfang Dezember in Den Haag diskutiert werden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Immobilien
Immobilien Bauzinsen aktuell weiterhin hoch: Worauf Häuslebauer und Immobilienkäufer jetzt achten sollten
12.07.2025

Die Zinsen auf unser Erspartes sinken – die Bauzinsen für Kredite bleiben allerdings hoch. Was für Bauherren und Immobilienkäufer...

DWN
Finanzen
Finanzen Checkliste: So vermeiden Sie unnötige Kreditkarten-Gebühren auf Reisen
12.07.2025

Ob am Strand, in der Stadt oder im Hotel – im Ausland lauern versteckte Kreditkarten-Gebühren. Mit diesen Tricks umgehen Sie...

DWN
Technologie
Technologie Elektrische Kleinwagen: Kompakte Elektroautos für die Innenstadt
12.07.2025

Elektrische Kleinwagen erobern die Straßen – effizient, kompakt und emissionsfrei. Immer mehr Modelle treten an, um Verbrenner zu...

DWN
Finanzen
Finanzen Elterngeld: Warum oft eine Steuernachzahlung droht
12.07.2025

Das Elterngeld soll junge Familien entlasten – doch am Jahresende folgt oft das böse Erwachen. Trotz Steuerfreiheit lauert ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Krypto ersetzt Börse: Robinhood bietet Token-Anteile an OpenAI und SpaceX
12.07.2025

Die Handelsplattform Robinhood bringt tokenisierte Beteiligungen an OpenAI und SpaceX auf den Markt. Doch was wie ein Investment klingt,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Meta-KI: Facebook-Mutter wirbt KI-Top-Talente von OpenAI ab – Altman schlägt Alarm
12.07.2025

Der KI-Krieg spitzt sich zu: Meta kauft sich Top-Talente, OpenAI wehrt sich mit Krisenurlaub – und Europa droht im Wettrennen um die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deindustrialisierung: Ostdeutsche Betriebsräte fordern Ende von Habecks Energiewende - Industriestandort gefährdet
11.07.2025

Nach dem Verlust von über 100.000 Industriearbeitsplätzen richten ostdeutsche Betriebsräte einen dramatischen Appell an Kanzler Merz....

DWN
Technologie
Technologie Start-up ATMOS Space Cargo setzt neue Maßstäbe: Deutsche Logistik erobert den Weltraum
11.07.2025

Fracht ins Weltall zu bringen, ist eine Herausforderung. Eine noch größere ist es, sie wieder unversehrt zur Erde zurückzubringen....