Politik

Deutschland-Flugabwehr: Bundeswehr darf nicht mit neuen Luftabwehrraketen IRIS-T SLM üben - peinlich statt einsatzfähig!

Die Bundeswehr übt Stillstand, die Kritik am Kanzler wird immer lauter: Mit markigen Worten verschleiert Olaf Scholz, dass die „Zeitenwende“ nur ein martialischer Begriff aus dem Geheimfach seiner Aktentasche war – wie „Bazooka“ und „Doppel-Wumms“. Die Bundeswehr sei „blanker als blank“, sagte André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbands. Ein Beispiel ist das hochpräzise Bundeswehr-Flugabwehrsystem IRIS-T. Es zeigt anschaulich, wo die Probleme und Peinlichkeiten lauern. Nicht selten vor allem in verstaubten Amtsstuben.
09.01.2025 12:47
Aktualisiert: 09.01.2025 12:47
Lesezeit: 7 min
Deutschland-Flugabwehr: Bundeswehr darf nicht mit neuen Luftabwehrraketen IRIS-T SLM üben - peinlich statt einsatzfähig!
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Minister Boris Pistorius (SPD), Helmut Rauch, CEO Diehl Defence, Harald Albrecht, Leitender Direktor im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (BAAINBw) und Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, bei der Indienststellung des Luftverteidigungssystems IRIS- T SLM in der Kaserne Todendorf. (Foto: dpa) Foto: Christian Charisius

Bei der Luftwaffe erzählt man sich dieser Tage immer wieder kopfschüttelnd und fassungslos die Posse von Todendorf. Warum am Truppenübungsplatz bei Plön in Schleswig-Holstein „tote Hose“ herrscht – und was das mit dem wiehernden Amtsschimmel und deutschen Ordnungssinn zu tun hat.

Der Luftwaffenstandort im hohen Norden könnte als Leuchtfeuer der Resilienz und des Verteidigungswillens Deutschlands gelten. Seit 2024 ist dort in Todendorf das moderne Bundeswehr-Flugabwehrsystem IRIS-T stationiert. Zur Inbetriebnahme waren Kanzler Scholz und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) eigens mit großem Besteck und Gefolge auf dem ehemaligen Meierhof im Kreis Panker angerückt, um das Luftverteidigungssystem am Luftwaffenstandort einzuführen. State of the Arts – Vorsprung durch Technik, gewissermaßen! Das IRIS-T System bekämpft Bedrohungen aus der Luft wie Drohnen, Flugzeuge, Hubschrauber oder Marschflugkörper. Und aus den Nachrichten wissen wir: Das funktioniert!

Stempel fehlen bei Flugabwehr: Bundeswehr-Raketengruppe 61 bei Plön dreht Däumchen

Gemeinsam mit der Rüstungsfirma Diehl Group vom Bodensee ist dort deshalb eigens auch ein hochmodernes Ausbildungszentrum eingerichtet worden. Auf dem Übungsplatz sollen Soldaten aus 19 Ländern Europas im Rahmen des europäischen Raketenabwehrschildes ESSI in Sachen Luftverteidigung ausgebildet werden. Bei ESSI handelt es sich um jene von Kanzler Olaf Scholz (SPD) medienwirksam angekündigte „European Sky Shield Initiative“ – also jenem schon vorab gerühmten Raketenschirm über dem Himmel Europas, der Putin von weiteren militärischen Abenteuern abhalten soll.

Doch: Gut Ding muss Weile haben! Die Ausbildung stockt. Die hoch motivierten Soldaten und Mitarbeiter der Flugabwehr-Raketengruppe 61 drehen peinlich berührt Däumchen und warten auf einen noch ausstehenden Stempel der Unbedenklichkeit – man könnte sagen, der TÜV war noch nicht da! Deutschland, gefangen in der Zeitenwende? Zum Übungsschießen geht es normalerweise auf die Insel Kreta. Auch das fällt aus. Dabei soll die Luftwaffe die Umrüstung auf das neue Waffensystem eigentlich schon Mitte 2027 abgeschlossen haben.

Putin soll mit Attacken bis 2035 warten – erst dann ist die Bundeswehr wieder verteidigungsfähig

Es geht um die in der Ukraine seit Monaten (treffsicher im mittleren Reichweiten-Spektrum) von den Verteidigern an der Front gegen die Russen eingesetzte bodengebundene Luftverteidigungssystem IRIS-T. Nach Prüfvermerken, einer Garantiekarte gar, hat dort niemand gefragt. Die Raketen der Bundeswehr-Flugabwehr treffen und wirken.

Kaum eine andere Waffe hat sich so sehr als hilfreich bewährt. Jetzt freilich, wo es darum geht, die Bundeswehr und unsere Nato-Verbündeten daran schnellstmöglich zu schulen, müssen Bundeswehr und Herstellerfirma passen. Die deutschen Behörden verweigern den Einsatz. Weil angeblich die Zertifizierung noch fehlt. Es ist genau die (so gar nicht amüsante) Geschichte, dass Putin – bitte schön – mit möglichen Attacken noch warten soll, weil die Bundeswehr leider nicht einsatzbereit ist. Und was macht der Verteidigungsminister? Er stellt die nutzlosen Lenkwaffen ebenfalls der Ukraine zur Verfügung. Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein bestätigte Boris Pistorius jetzt, die IRIS-T seien ja ursprünglich für die Bundeswehr gedacht gewesen, würden nun aber direkt aus der Herstellung an die Ukraine umgeleitet. Risiko!

Denn eine einsatzbereite Luftabwehr ist ja unbedingt notwendig, wie ein Fall vom 8. Januar zeigt: Eine Drohnenwarnung löste einen Alarmstart von zwei Eurofightern der Luftwaffe aus. Die beiden in Laage in Mecklenburg-Vorpommern aufgestiegenen Kampfjets identifizierten das Flugobjekt zwar wenig später als losgerissenen Wetterballon. Doch der Luftraum über Deutschland muss engmaschiger denn je überwacht werden. Die Wunderwaffe vom Bodensee wird dringend benötigt.

Friedenstauben auf Appeasement-Flug, während Robert Habeck 3,5 Prozent für Wehretat fordert

Zu wenig Waffen, nicht genug Soldaten und Nachwuchs? Stimmt zwar! Doch, dass es nicht an Geld mangelt, sondern allein am politischen Willen der SPD-geführten Bundesregierung sieht man daran, dass selbst der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck am Wochenende frank und frei die Erhöhung des Bundeswehr-Etats auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verlangt hat. Er überholt mit dieser Forderung sogar die Liberalen um ihre Chef-Propagandistin in Brüssel, Agnes Strack-Zimmermann, sowie CDU-Chef Friedrich Merz. Keine Frage, dass die bürgerliche Mitte der Bundeswehr – mit Sicherheit – unter die Arme greift und im nächsten Bundestag einen Sonderfonds aufsetzen wird.

Doch erst einmal muss gewählt werden. Und so werden die Wochen des Wahlkampfes für die Aktiven in den Kasernen zur frustrierenden Geduldsprobe. Die eigenen Waffen den Ukrainern ausgeliehen. Die Munitions-Reserven „blanker als blank“. Und die Industrie mit ihren Lieferungen in Verzug.

Wie der Bundeswehrverband das Lavieren der Parteienvertreter im Bundestag erlebt

André Wüstner hat es jüngst im Verteidigungsausschuss nicht nur anschaulich, sondern geradezu in drastischer Art und Weise veranschaulicht. Ich beschreibe lediglich den aktuellen Zustand unserer Streitkräfte – vielleicht ein bisschen zugespitzt, damit es gehört wird. Es passiert zu wenig und zu langsam, darauf möchte ich die Politik aufmerksam machen. Warum? Weil ich so etwas wie in den Wochen nach Februar 2022 nicht noch einmal erleben will.

Nach der Vollinvasion der Ukraine haben viele Kabinettsmitglieder und Parlamentarier zu mir gesagt: Herr Wüstner, wir haben das schlicht nicht gewusst! Uns war nicht klar, dass die Bundeswehr zu wenige und kaum einsatzbereite Waffensysteme hat. Dass es kaum noch Munition gibt. Dass die Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung, eigentlich schon im Weißbuch 2016 beschrieben, so aufwendig ist“, begründete Wüstner jetzt in einem Interview seinen gereizten Auftritt im Parlament. Und nun noch diese Posse rund um die Bundeswehr-Flugabwehr IRIS-T, die nicht nur peinlich ist, sondern im Ernstfall die Sicherheit Deutschlands nicht gewährleisten kann.

Bundeswehr-Flugabwehr: Warum erfolgreicher Einsatz der IRIS-T SLM bei Zulassung nicht reicht

Und jetzt droht tatsächlich noch „Friendly fire“? So nennen amerikanische GIs den Schrecken, wenn die Schüsse irrtümlich oder hinterrücks aus den eigenen Reihen abgefeuert werden. Für die Ausstattung der Bundeswehr ist das Beschaffungsamt in Koblenz am Rhein verantwortlich! Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) ist als Bundesoberbehörde dem Bundesministerium der Verteidigung unterstellt. Es ist die größte technische Behörde in Deutschland. Hauptaufgabe ist die Ausstattung der Bundeswehr mit leistungsfähigem und sicherem Gerät. Im Mittelpunkt der Arbeiten stehen die Entwicklung, die Erprobung, die Beschaffung und das Nutzungsmanagement von Wehrmaterial. Die Sache mit der Erprobung scheint das Problem zu ein. Ein Kriegseinsatz in der Ukraine ist angeblich juristisch nicht ausreichend. Die Soldaten in Todendorf sollen sich gedulden.

Was das heißt: „Die qualitative Einsatzbereitschaft der Streitkräfte passt nicht zur Bedrohungslage, wie auch Boris Pistorius sie beschreibt. Der Minister sagt zu Recht, dass wir in wenigen Jahren mit einem Übergriff Russlands auf Nato-Gebiet rechnen müssen, hybrid werden wir schon heute angegriffen. Gemessen daran ist die Bundeswehr, auch aufgrund der notwendigen Abgaben an die Ukraine, nicht in allen Dimensionen einsatz- und durchhaltefähig, weder quantitativ noch qualitativ. Der Minister ist zwar hervorragend aus dem Startblock gekommen, aber er konnte sich nicht mit all seinen Vorstellungen durchsetzen“, sagt Wüstner und übt sich als Einzelkämpfer in Berlin.

Auch das Heer jammert und die Zusagen der Nato können längst nicht eingehalten werden

In der Öffentlichkeit müht sich Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius redlich, wenigstens den Durchhaltewillen seiner Truppe aufrecht zu erhalten. So schmückt sich der Sozialdemokrat aus Niedersachsen beispielsweise mit der 10. Panzerdivision der Bundeswehr mit ihrem Stab in Veitshöchheim und ihren im niederländischen Oirschot stationierten leichten Truppen. Die gut 20.000 staufischen Löwen sollen seit Jahresbeginn 2025 die „Speerspitze Deutschlands für die Landes- und Bündnisverteidigung der Nato“ bilden, wie So war es dem früheren Nato-Chef Jens Stoltenberg und seinem Nachfolger Mark Rutte zugesagt worden. Doch auch hier hakt es. Und das ausgerechnet beim einstigen Aushängeschild der Bundeswehr (schon zu Zeiten des Kalten Krieges): die Luftverteidigung fehlt noch.

Wüstner räumte ein: „Trotz aller Anstrengungen in der Beschaffung fehlen noch bedeutende Fähigkeiten, beispielsweise die Flugabwehr. Außerdem wurde zur Ausrüstung dieser Division alles Mögliche aus anderen Verbänden abgezogen. Die Mangelverwaltung nimmt damit zu statt ab, auch aufgrund der Neuaufstellung der Brigade für Litauen.“ Zwischen 2017 und 2021 dienten gut 7000 Soldaten der 10. Panzerdivision als Teil der Enhanced Forward Presence Battlegroup als „Stolperdraht“ gegen Putins Einmarsch in den baltischen Nato-Land.

Anno 2035, so hat es Generalleutnant Harald Gante, Kommandeur Feldherr im Kommando Heer, in einem Fachbeitrag geschrieben, sei das Jahr, in dem Putins Söldner auf eine „Vollausstattung der Landstreitkräfte“ stoßen könnte. Ernsthaft? Die Truppe reagierte nach Lektüre aufgebracht und ratlos.

Warum Oberst Wüstner räsoniert, ob die Truppe langsam anfangen soll, „Russisch zu lernen“

Bibbern und sich vor Putin fürchten bis 2035? Der mutige Sprecher des Bundeswehrverbandes kann sich da nur in Zynismus flüchten: „Das haben viele in der Truppe gelesen und den Kopf geschüttelt. Fehlt nur noch, dass man uns auffordert, Russisch zu lernen und einen Zweitwohnsitz im Ausland anzumelden. Im Ernst: Im Kern bestätigt das meine Analyse, dass zu wenig passiert – und das auch noch zu langsam. Damit muss sich eine nächste Regierung idealerweise schon im Koalitionsvertrag auseinandersetzen.“ Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Schon Minister Pistorius hat im Bundestag unermüdlich Beschaffungsvorlagen eingereicht. Wüstner lobt seinen Dienstherrn für den Einsatz: Das ist hoch anerkennenswert, zumal man sich immer wieder vor Augen führen muss, dass Minister Pistorius noch nicht mal zwei Jahre im Amt ist. Dennoch will ich sagen: Es geht nicht nur formal um Beschaffungsvorlagen. Die Truppe bewertet die tatsächlichen Zuläufe an Material – und misst sie am Ziel des Ministers, bis 2029 verteidigungs- und durchhaltefähig zu sein. Und da muss ich feststellen, dass wir insbesondere in den Landstreitkräften noch große Lücken bei Führungsfähigkeit, Logistik, Sanitätsdienst, elektronischer Kampfführung, weitreichender Artillerie und nicht zuletzt Drohnen sowie der Flugabwehr haben.“

Warum bereits die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht die Gesellschaft entzweit

Doch: Was soll Pistorius machen, wenn ihm die Friedenstauben von BSW, die Russland-Freunde der AfD und vor allem die Pazifisten in eigenen Reihen der SPD, auflaufen lassen? Was sich beim Thema Wiedereinsetzung der Wehrpflicht manifestiert hat. Oberst Wüstner benennt die klaffende Lücke, die dringend geschlossen werden muss. „Der liegt über der aktuellen Zielmarke von 203.300, die wir seit Jahren nicht erreichen. Der Generalinspekteur spricht von insgesamt 460.000 Soldaten und Reservisten. Dazu muss meiner Ansicht nach in der nächsten Legislaturperiode eine andere Wehrform beschlossen werden. Mit den Instrumenten, die wir aktuell haben, werden wir jene Aufwuchsfähigkeit nicht erreichen, die es braucht, um verteidigungs- und abschreckungsfähig zu sein.“ Der Personalbedarf ist nur mit ein paar Plakaten nicht zu decken. „Weil du es kannst“, lautet der verzweifelte neue Slogan der Bundeswehr. Klingt nach einer Werbekampagne der Verzweiflung.

Und wie groß ist die Hoffnung der Kameraden, dass sich nach der Wahl im Februar 2025 wirklich was dreht im Land? Oberst Wüstner ist noch nicht überzeugt: „Ich sage mal so: Ich hoffe, dass zumindest die Parteispitzen den Schuss im wahrsten Sinne des Wortes gehört haben. Ob die Schere zwischen Bedrohungs- und Einsatzbereitschaftslage in den Parteien als Ganzes angekommen ist, da bin ich mir noch nicht sicher.“ Klar ist: Ohne das IRIS-T-System ist die Bundeswehr-Flugabwehr deutlich weniger effektiv.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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