Politik

Syrien-Konferenz: Außenministerin Baerbock stellt Lockerung von Sanktionen in Aussicht

Arabische Staaten, die Türkei und EU-Staaten wie Deutschland beraten in Saudi-Arabien darüber, wie sie sich zu Syrien positionieren sollen. Die Lage nach dem Sturz von Assad ist weiterhin schwierig.
13.01.2025 08:57
Lesezeit: 3 min
Syrien-Konferenz: Außenministerin Baerbock stellt Lockerung von Sanktionen in Aussicht
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, und der türkische Außenminister Hakan Fidan treffen sich am Rande der Syrien-Konferenz. (Foto: dpa) Foto: Andreas Hoenig

Außenministerin Annalena Baerbock hat Syrien nach dem Sturz von Langzeit-Machthaber Baschar al-Assad eine Lockerung von EU-Sanktionen in Aussicht gestellt. Die Grünen-Politikerin sagte am Rande einer internationalen Konferenz in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad: "Die Chance auf eine Zukunft für Syrien dürfen wir als internationale Gemeinschaft bei all der berechtigten Skepsis nicht verstreichen lassen. Daher gehen wir als Deutschland und als Europa jetzt erste konkrete Schritte."

"Sanktionen gegen den Assad-Clan und seine Schergen, die während des furchtbaren Bürgerkriegs in Syrien schwere Verbrechen begangen haben, müssen aufrechterhalten bleiben", sagte Baerbock. Die Bundesregierung schlage aber in der Europäischen Union vor, einen "smarten Ansatz" zu wählen und die syrische Bevölkerung jetzt schnell zu unterstützen, damit es in Geschäften oder auf Märkten etwas zu essen zu kaufen gebe, damit es mehr Strom gebe und der Wiederaufbau angegangen werden könne. "All das fördert Stabilität und sichert den friedlichen Machtübergang."

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte, man werde prüfen, wie Sanktionen gelockert werden könnten. Dies müsse jedoch mit greifbaren Fortschritten bei einem politischen Übergang einhergehen, der Syrien in seiner ganzen Vielfalt widerspiegle.

Die EU hatte ab 2011 als Reaktion auf das gewaltsame Vorgehen der Assad-Regierung gegen die Zivilbevölkerung Sanktionen gegen Syrien verhängt. Diese richten sich gegen die nun gestürzte Regierung und deren Unterstützer sowie gegen Wirtschaftssektoren, von denen die Regierung profitierte. Zu den EU-Maßnahmen zählen etwa ein Verbot von Investitionen in die syrische Ölindustrie und in Unternehmen, die an der Errichtung neuer Kraftwerke zur Stromerzeugung in Syrien beteiligt sind, ein Einfuhrverbot für Rohöl aus Syrien, ein Waffenembargo sowie weitere Ausfuhrbeschränkungen.

Saudi-Arabiens Außenminister Faisal bin Farhan sprach sich ebenfalls für die Aufhebung der Sanktionen aus. Eine Fortsetzung werde die Bemühungen beim Wiederaufbau behindern, sagte er.

Phase des Umbruchs

An der Konferenz in Riad nahmen neben Außenministern arabischer Staaten auch Syriens De-facto-Außenminister Asaad al-Schaibani, der türkische Außenminister Hakan Fidan und der britische Außenminister David Lammy teil. Aus der EU war neben Baerbock unter anderem die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas vor Ort.

Seit dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 befindet sich Syrien in einer Phase des politischen Umbruchs und der Neuorientierung. Seitdem wird das immer noch zersplitterte Land von einer Übergangsregierung geführt. Sie entstand aus der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die Assad durch eine von ihr angeführte Rebellenoffensive in die Flucht nach Russland zwang. Syrien ist konfessionell stark gespalten. Ausländische Staaten haben teils großen Einfluss auf die Entwicklungen in dem Land, in dem fast 14 Jahre lang ein Bürgerkrieg tobte.

In Syrien und international wird in diesen Wochen genau beobachtet, ob HTS die Rechte etwa von Frauen oder religiösen Minderheiten im Land respektieren und diese am öffentlichen Leben teilhaben lassen wird. Vor allem im Norden des tief gespaltenen Landes kommt es unterdessen weiterhin zu Kämpfen. Kurdische Milizen kämpfen dort gegen von der Türkei unterstützte Kämpfer, auch die türkische Luftwaffe und Artillerie ist dabei im Einsatz. Experten zufolge hat vor allem die Türkei durch den Umbruch in Syrien an Einfluss gewonnen.

Baerbock sagt weitere humanitäre Unterstützung zu

Baerbock sagte weitere Hilfe zur Verbesserung der humanitären Lage in Syrien zu. Deutschland werde das UN-Welternährungsprogramm und verschiedene Nicht-Regierungsorganisationen noch einmal mit zusätzlichen 50 Millionen Euro für Essen, Notunterkünfte und medizinische Versorgung unterstützen, sagte Baerbock.

Die humanitäre Lage sei weiterhin katastrophal, die gegenwärtige Situation sei volatil. "Für den so wichtigen politischen Übergang braucht es dringend eine Verbesserung der Lebensumstände der Menschen in den unterschiedlichen Regionen." Baerbock nannte außerdem eine Aufarbeitung von Verbrechen der Assad-Regierung. Menschenrechtler haben unter Assad und seinem Vater Hafis, die gemeinsam mehr als 50 Jahre regierten, systematische Tötungen, Folter und andere Verbrechen in Tausenden Fällen dokumentiert.

Der Bürgerkrieg in Syrien hat für die Menschen, Infrastruktur und die Wirtschaft des Landes verheerenden Folgen gehabt. 16 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, 70 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Die Wirtschaft ist seit 2011 um 85 Prozent geschrumpft. Der Wiederaufbau könnte schätzungsweise zwischen 250 und 400 Milliarden US-Dollar kosten. Etwa 13 Millionen Menschen wurden im Land vertrieben oder flüchteten ins Ausland.

Schwieriger Übergang

Deutschland und Europa stünden an der Seite der Syrerinnen und Syrer für ein freies und friedliches Syrien für alle Menschen, sagte die Außenministerin. Dies habe sie bereits bei ihrem Besuch in Damaskus vor gut einer Woche deutlich gemacht. Es brauche einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller Syrerinnen und Syrer, egal welcher Religion, welcher ethnischen Herkunft, egal ob Mann oder Frau. Das Treffen in Riad sei wichtig, dass sich zentrale europäische Partner mit den Partnern aus der Region intensiv austauschten.

Syrien brauche eine starke internationale Unterstützung, machte Baerbock deutlich. Man müsse "in dieser absolut volatilen Situation" nicht nur verhindern, dass es zu weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt, sondern vor allen Dingen, dass es zu einem Wiedererstarken der Terrormiliz Islamischer Staat komme.

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