Technologie

Wie ehemalige IT-Nerds der russischen Suchmaschine Yandex den KI-Markt Europas aufmischen

Russische IT-Nerds bauen in Amsterdam das KI-Unternehmen Nebius auf. Informatiker um den Yandex-Suchmaschinen-Gründer Arkadi Wolosch dürften von hier aus den Markt für Künstliche Intelligenz in Europa aufmischen. Gute Verbindungen zu Chiphersteller Nvidia könnten sich zudem als Glücksfall für Nebius herausstellen.
14.01.2025 18:07
Aktualisiert: 14.01.2025 18:07
Lesezeit: 6 min
Wie ehemalige IT-Nerds der russischen Suchmaschine Yandex den KI-Markt Europas aufmischen
Das russische Google: Yandex-Logo, aufgenommen an der Zentrale des Unternehmens in Moskau. Die Suchmaschine bleibt, das Knowhow geht nach Amsterdam. (Foto: dpa) Foto: Maxim Shipenkov

Arkadi Wolosch war ein Oligarch der besonderen Art in Russland. Der Gründer der russischen Suchmaschine Yandex wurde nicht durch Ausbeutung der Öl- und Gasvorräte in der Taiga reich, sondern als Moskaus einziger Tech-Entrepeneur von Rang und Namen in Putins Schattenreich. Dass ausgerechnet er sich dezidiert gegen den Überfall auf die Ukraine positioniert hat, wird ihm der Zar im Kreml nie verzeihen. „Russlands Invasion in der Ukraine ist barbarisch. Ich bin entschieden dagegen", sagte Wolosch 2023 und hat das Tischtuch zwischen ihm und Wladimir Putin damit endgültig zerschnitten.

Inzwischen hat Wolosch ein neues KI-Unternehmen in Amsterdam aufgebaut. Mit dabei sind zahlreiche IT-Nerds aus Russland - ein Braindrain russischer Fachkräfte mit noch ungeahnten Folgen für das russische Staatswesen.

Hohe Ziele: Nebius will Europas KI-Konzern Nr. 1 werden

Während Yandex weiter dies- und jenseits des Urals vor sich hin googeln darf, ohne mit der Zensurbehörde in Konflikt zu geraten, ist die einst in New York an der Nasdaq gehandelte Börsennotierung auf den neuen Firmennamen Nebius umgeschrieben. Mit dem startet Arkadi Wolosch (im Alter von 60 Jahren) noch einmal voll durch - in Amsterdam will er nichts weniger als Europas KI-Konzern Nr. 1 werden. Es heißt, dass ihm gut 2000 IT-Experten ins Exil gefolgt sind. Ein Braindrain, der Putins Wirtschaft noch mehr Probleme schaffen dürfte in der Zukunft, als der Diktator überhaupt überschauen kann.

Die Trennung war für Wolosch alles andere als leicht. Er bedauert nichts. „Mein Standpunkt hat sich nie geändert. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der Krieg niemals hätte begonnen werden dürfen. Er ist eine Barbarei, und die Ukraine zahlt einen schrecklichen Preis dafür. Aber auch innerhalb Russlands markiert er das Ende einer Ära. Das Land hatte eine gute Gelegenheit, einen anderen Weg als in der Vergangenheit einzuschlagen. Wir alle waren Teil dieses Aufbaus eines anderen, neuen und modernen Russlands“, sagt der Begründer des „russischen Googles“.

Russische Investoren steigen bei Suchmaschine Yandex ein - Gründer Wolosch zieht es nach Europa

Putins Zivilisationsbruch jährt sich bald zum dritten Mal. Eine Zäsur - und ein Riss, den Russland nicht nur mit Blut, sondern auch mit seiner Zukunft, bezahlen wird. Binnen nur Tagen suchten fast eine Millionen gut ausgebildete Young Urban Professionals das Weite. Die meisten gingen nach Georgien, Aserbaidschan oder in die Türkei, wo sie ohne viel Probleme Aufnahme fanden.

Für Arkadi Wolosch ging es (schon 2014 nach der Krim-Besetzung) nach Tel Aviv. Nach Kriegsbeginn im Februar 2022 und seiner Abrechnung mit Putins Regime im August 2023 dauerte es Jahre, um mit russischen Offiziellen auszuhandeln, zu welchen Bedingungen das früheren Yandex-Imperium zerschlagen, weitergeführt oder teils veräußert wird.

Der Deal ist nun endlich abgeschlossen - das wurde in der vergangenen Woche bekanntgegeben und sorgte bei „Bloomberg“ für Headlines. Der Name Yandex verbleibt demnach als Markenzeichen in russischen Händen. Ein Konsortium regimetreuer Investoren konnten günstig einstiegen, um sich und Russland schadlos zu halten.

Russische IT-Nerds fliehen aus dem Land: Was der Braindrain für Russlands Staatswesen bedeutet

Derweil wirkt der Hirnschmalz ab sofort im Ausland fort und fängt von vorne an - ohne Netz und doppelten Boden. Autonomes Fahren, Cloud-Dienste und Online-Bildungswesen sind Dinge, bei denen Wolosch noch Nachholbedarf und Nischen gerade in Europa sieht. Dort will er kräftig investieren. Mit gut zwei Milliarden Euro cash (die von der einstigen Spitzen-Bewertung von über 75 Euro die Aktie anno 2021) übrig geblieben sind. Nach Putins Raubzug und erpresserischen Abschlägen, die fatal an Reichsfluchtsteuer und Judenvermögensabgabe während der NS-Zeit erinnern. Zudem musste Woloschs Anteil vom Kaufpreis in Höhe von 475 Milliarden Rubeln erst aufwändig über chinesische Yen konvertiert werden.

Trotz seiner Distanzierung vom Kreml stand übrigens der Unternehmensgründer trotzdem bis zum Schluss auf der Sanktionsliste der Europäischen Union. Der Grund liegt darin, dass Yandex aus Sicht des Westens russische Kriegspropaganda im Netz verbreitet. Und Wolosch zählte nun einmal zu den Eigentümern und Aktionären.

Was ihn letztlich vor dem vollständigen Zugriff auf den Technologie-Konzern schützte, war wohl die Tatsache, dass Yandex zwar mit der Verwaltung in Moskau, aber aktienrechtlich mit dem Mutterkonzern eine N.V. mit Sitz in den Niederlanden war - ursprünglich auch um besser Kapital am US-Markt akquirieren zu können. Eine stumpfe Enteignung hätte deshalb so nicht funktioniert.

So will Nebius für Europa die Aufholjagd bei künstlicher Intelligenz starten

Nun plant Wolosch sein Comeback in neuen Büros unweit des Amsterdamer Flughafens Schiphol. Der Neubau kann sich sehen lassen, könnte so auch in Mountain View, dem Sitz von Alphabet im Silicon Valley stehen. Von hier aus soll Nerius zur Aufholjagd bei Europas künstlicher Intelligenz ansetzen.

Der neue Firmenname „Nebius“ beschreibt es ganz gut, wenn man seine Namensbestandteile analysiert. Nebula ist die Wolke - also die Cloud. Während es sich bei der Endung (Mö)bius um dem Mathematiker August Ferdinand Möbius (geb. 1790 in Pforta und verstorben 1868 in Leipzig) handelt. Er schenkte 1858 der Wissennschaft die endlose Möbius-Schleife - eine geometrische Fläche, die nur eine Kante und eine Seite hat. Sie ist nicht orientierbar, das heißt, man kann nicht zwischen unten und oben oder zwischen innen und außen unterscheiden. Der Architekt des Holocaust-Mahmals, Peter Eisenman, hatte in 1990er-Jahren vor, nahe dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin ein Möbiusband für den berühmten Theaterdirektor Max Reinhardt (Deutsches Theater) zu bauen.

Wolosch beschreibt seinen Plan so: „Wir bauen Rechenleistung, die nicht auf die großen Tech-Konzerne in China oder den USA zugeschnitten oder von ihnen abhängig ist. Wir konnten hier mehr als 1.000 IT-Experten aus Russland versammeln. Dazu gehören die Teams, die einst die gesamte technische Infrastruktur für Yandex aufgebaut haben: die Rechenzentren, die Verbindungsserver und die Racks, die ein so großes Unternehmen braucht. Wir wollen in Europa etwas Ähnliches machen: Wir bauen die Computerinfrastruktur auf, die KI-Entwickler brauchen, um ihre Modelle zu trainieren. Unser Ziel ist es, einer der weltweit größten unabhängigen Anbieter in diesem Bereich zu werden. Und das wollen wir sehr schnell erreichen.“

Enge Verbindungen zu Chiphersteller Nvidia Glücksfall für Nebius

Dass sich damit richtig Geld verdienen lässt, daran hat Wolosch keine Zweifel. „Der größte Teil der von uns installierten Rechnerkapazität ist bereits im Voraus gebucht und verkauft. Wir hoffen, in weniger als einem Jahr profitabel zu sein, denn die Nachfrage der Branche nach Ressourcen ist riesig: Was immer wir installieren, der Markt kauft es sofort - und wir bauen wirklich eine Menge. Außerhalb der großen US-amerikanischen Technologieunternehmen verfügt Nebius über eines der größten Teams, die an KI-Cloud-Systemen arbeiten.“

Die Initiative, die Europa endlich in Sachen KI auf die Landkarte bringen soll, ist keine One-Man-Show. Nebius, das man mit Sicherheit nicht als Startup qualifizieren und bezeicnen kann, dockt an der Pionierleistung von KI-Firmen wie Aleph Alpha an. Woloschs Vision ist es, deren Anstrengungen zu unterstützen: „Die Technologiebranche wird von Unternehmen aus den USA und China dominiert. Das ist ungerecht. Es gibt so viele Möglichkeiten, KI in Europa zu entwickeln. Die EU hat ein riesiges Potenzial. Leider war sie bisher ein blinder Fleck auf der technologischen Landkarte. Es gibt erfolgreiche KI-Unternehmen in Europa, wie Aleph Alpha aus Deutschland und Mistral aus Frankreich. Aber es fehlt an großen Unternehmen, die in die KI-Infrastruktur investieren. Das ist wichtig, denn die benötigte Rechenleistung ist der typische Flaschenhals.“

Als Glücksfall und Startvorteil entpuppt sich dabei nun, dass Wolosch bereits beste Kontakte zum Chiphersteller Nvidia aufgebaut hatte. Das spielt ihm nun bei der Ausstattung von Nebius in die Karten. „Wir haben eine langjährige Partnerschaft mit Nvidia. Yandex war früher der größte Abnehmer von Nvidia-Chips in Europa, und bald wird Nebius einer der größten Abnehmer von Nvidia-GPUs in der EU sein. Wir erhalten die neuesten Generationen von Prozessoren mit der gesamten Kapazität, die wir benötigen. Nvidia hat uns zu einem bevorzugten Partner ernannt“, sagt Wolosch voller Tatendrang.

Russische IT-Spezialisten unter Troll-Verdacht - wo Investoren ihre Fragezeichen setzen

Ganz ohne internationale Investoren wird es freilich nichts werden mit dem Neustart in den Niederlanden. Insofern hilft es, dass schon der Mutterkonzern von Yandex in Amsterdam unternehmerisch beheimatet war - und mit ASML zugleich einer wichtigsten Chip-Hersteller im kleinen Benelux-Staat beheimatet ist. Die Fragezeichen der Anleger und künftigen Geldgeber könnten eher auf ganz andere Sorgen hindeuten. Der Fall des russischen Antivirensoftware-Herstellers Kaspersky hat den Verdacht genährt, dass Putins Geheimdienste viele ihrer IT-Experten als Trolls für die hybride Kriegsführung nutzen. Kaspersky hat sich prompt aus dem US-Markt zurückgezogen, als derlei Verdächtigungen publik wurden. Als Russe hat man es nicht leicht dieser Tage in der IT-Branche.

Wolosch gesteht offen ein: „Wir haben eine Menge russischer IT-Ingenieure - aber darauf sind wir stolz. IT-Experten sind eine knappe Ressource, und viele Unternehmen sind auf der Suche nach russischen Spezialisten. Werfen Sie einen Blick auf Microsoft oder Google, wo die Zahl der Russen in die Zehntausende geht. Die Deutsche Bank beschäftigte 3.000 Programmierer aus Russland. Das Problem ist nicht neu. Der Großteil unseres Managements kommt aus dem Westen, teils aus den USA, teils aus Europa. Die Geschäftssprache von Nebius ist nicht Russisch, sondern die am weitesten verbreitete Sprache der Welt: gebrochenes Englisch.“ Genau das könnte langfristig die wahre Niederlage Putins bedeuten. Schade, dass Deutschland seine Beziehungen und langjährigen Kontakte in dieser Hinsicht nicht genutzt hat, sondern in Russland immer nur einen Energielieferanten gesehen hat - und nicht eine Quelle für gut ausgebildete Exilanten und Emigranten.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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