Hochrisikospiele: Bundesligafußball und das Bremer Modell
Sie werden Hochrisikospiele genannt - und das nicht etwa wegen erhöhter Verletzungsgefahr für die Spieler. Es geht um verfeindete Fangruppen in der Fußball-Bundesliga, die sich teils sogar regelmäßig vor und nach den Spielen zu Straßenschlägereien treffen. Wenn sie könnten, würden sie sich sogar im Stadion prügeln, in der Fankurve hinter Vereinsflaggen und Transparenten versteckt. Wer aus Versehen im falschen Block sitzt, hat dann richtig Trauer.
Der Innensenator Bremens ist schon vor Jahren mutig vorangegangen und hat darauf gedrungen, dass das Verursacher-Prinzip auch für die Hundertschaften der Polizei gelten muss, die jedes Wochenende zum Schutz von Ligaspielen abgestellt werden. Es sei „ein legitimes Ziel“, dass Mehrkosten für derlei Risiko-Begegnungen durch „Nutznießer der Polizeieinsätze geschultert werden“.
Natürlich sind weder der DFB als oberster Verband oder die DFL als Veranstalter des Spielbetriebs die Verursacher der Randale. Gleichwohl können sie für die erhöhte Polizeipräsenz und die damit verbundenen Polizeikosten finanziell herangezogen werden - das verstößt nicht gegen Grundrechte unserer Verfassung. Die Behörden können derlei Kosten in Rechnung stellen, so wie es in Bremen politisch entschieden worden war - Juristen sprechen von Überwälzung. Es gebe keinen Grundsatz, nach dem nur die Störer persönlich heranzuziehen oder haftbar zu machen sind. Was freilich nicht im Umkehrschluss heißt, dass der Innenminister, sagen wir mal in Rheinland-Pfalz, den Aufwand bei Streitereien zwischen Fans des 1. FC Kaiserslautern und des Karlsruher SC in Rechnung stellen muss. Dies ist und bleibt eine politische Entscheidung.
Während die normalerweise als friedvoll geltenden Fans von Werder Bremen nur im Lokalderby gegen den HSV ausflippen und die Fans an der Weser sich mit dem „Bremer Modell“ mehrheitlich einverstanden erklärt haben, könnte es anderswo zu größeren Widerständen von Fans und Bürgern führen.
Polizeikosten bei Hochrisikospielen: Präzedenzfall muss von Fans und Liga-Verantwortlichen erstmal verdaut werden
Gut zehn Jahre lang hat der Rechtsstreit die Gerichte beschäftigt und auf kleiner Flamme vor sich geköchelt. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht vom „Präzedenzfall für ganz Deutschland“, der nun endlich Klarheit schafft - wenn die Politik tatsächlich zu Entscheidungen kommt.
Denn, genau genommen, umfasst das Urteil auch gar nicht nur Fußballspiele, sondern ganz generell kommerzielle Großveranstaltungen mit Konfliktpotenzial. Sei es eine Fanmeile zur EM, Straßenfeste oder auf nur die Silvesterfeier vor dem Brandenburger Tor. Je nachdem, was die Ordnungsämter und Behörden anordnen, wird dies über die Kosten-Nutzen-Rechnung des Veranstalters entscheiden - und am Ende auch den fälligen Eintrittspreis.
Aus Hessen und Niedersachsen kommt der Vorstoß, am besten gleich eine bundeseinheitliche Regelung zu finden. Es könne nicht sein, dass arme Bremen Rechnungen stellt und die reichen Bayern und Hamburger die Krawalle (und Überstunden ihrer Polizisten) unter Ulk verbuchen. Auch ein sogenannter Polizei-Kostenfonds ist in der Diskussion, der eigens für Profi-Fußballspiele - als Art Rückversicherung - aufgefüllt werden soll. Noch gibt es den nicht, der DFL hat dafür nie Rücklagen angespart, irrte sich mit der rechtlichen Einschätzung und steht öffentlich ziemlich düpiert da.
„Mein vorrangiges Ziel bleibt, dass die Vereine die Gewalt in ihren Stadien in den Griff bekommen und es gar nicht erst zu Polizeieinsätzen kommen muss“, gab Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zu Protokoll. DFB und DFL seien zunächst einmal gefordert, sich eine Strategie zur Verhinderung von Gewalt zu erörtern und diese zeitnah vorzulegen. Gebührenbescheide seien vorerst lediglich das Druckmittel, die Verbandsfuntionäre und Fußball-Manager der Liga-Vereine endlich wachzurütteln.
Obwohl Fußball als Nationalsport gilt, ist er sicher nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft
Die Hansestadt Hamburg hat unter Rot-Grün im September 2024 beschlossen, sich etwa bei der Innen- und Sportministerkonferenz für eine länderübergreifende Fondslösung einzusetzen. Der Bund der Steuerzahler will indessen, dass so ein Fonds urch die DFL als Vermarkterin des deutschen Profifußballs sowie den 36 Klubs der ersten und zweiten Bundesligen mit Mitteln gespeist werden und auf keinen Fall der Steuerzahler die Zeche übernehmen soll.
„Fußball ist ein Milliardengeschäft“, weiß der Präsident des Steuerzahlerbundes, Reiner Holznagel. „Eine Fondslösung wäre der bessere Weg, bevor die Länder mit eigenen Gebührenmodellen wie in Bremen reagieren.“ Bayerns Innenminister Joachim Herrmann von der CSU muss vermutlich erst Rücksprache mit dem FC Bayern München halten oder Markus Söders „Clubberer“ aus Nürnberg.
Dass auch Bremen für die Fonds-Variante ist, wird nicht überraschen. Der kleine Stadtstaat an der Weser hängt ja auch sonst am Tropf des Länderfinanzausgleichs. Der Bremer Senator für Inneres und Sport, Ulrich Mäurer (SPD), hatte schon vor dem Urteil einen „Solidar-Topf der DFL" für in Höhe von 20 bis 30 Millionen Euro jährlich als Kompromiss vorgeschlagen. Das sei nur ein „kleiner Beitrag“ gemessen an dem Jahresumsatz der Liga von über fünf Milliarden Euro in der Saison 2022/23. „Werder darf nicht alleine die Zechen zahlen“, sagt wenig überraschend Tarek Brauer, Geschäftsführer bei Werder Bremen, und hat immer noch Angst, dass der Schwarze Peter am Ende doch den Sportvereinen zugeschustert. Brauer sieht die Causa als Gefahr, die das bereits bestehende Ungleichgewicht der Bundesliga-Vereine und damit die Animositäten vertieft.
Bremer Modell: Warum die DFL auf Lücke spielt und das Urteil noch nicht verdaut hat
Die DFL spielt derweil erst einmal weiter auf Lücke und wird sich noch lange bitten lassen. DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke hat den Fonds bislang kategorisch ausgeschlossen. Von Solidarität in der Liga ist jedenfalls nicht so viel zu sprüren. Schon 2019 hatten 32 von 34 Klubs einen Grundsatzbeschluss des DFL-Präsidiums unterstützt, wonach Werder für alle Gebührenbescheide aufkommen sollte. So lange es noch Bundesländer gibt, die freiwillig die Zeche zahlen, gebe es aus Watzkes Sicht kein Geld zu verschenken. Seine Haltung ist unverändert: „Als DFL können wir solche Themen nicht lösen.“
Ausgerechnet der FC St.Pauli, ein zwar kleiner Verein, aber mit großer Ausstrahlung, wiederum pocht auf das Verursacherprinzip. „Eine solidarische Bezahlung wird es nicht geben“, sagte Oke Göttlich, der Chef des Pauli-Präsidiums. Der der 36 Vereine soll gefälligst selber jklasr kommen - auf die tiefen Taschen der jeweiligen Sponsoren könnte es demnach ankommen. Klingt nicht nach Sepp Herberger und dem Manta „Elf Freunde müsst ihr sein.!“
Warum ausgerechnet Bremen nicht länger bereit war, für Polizeikosten bei Hochrisikospielen aufzukommen
Ein Blick zurück verdeutlicht, worum es im Kern geht, Die Bremer Polizei hatte der DFL bereits vor zehn Jahren eine Rechnung zu einem Hochrisikospiel der Fußballbundesliga in Höhe von 426.000 Euro zugeschickt. Nach Bestimmungen des Deutschen Fußball Bundes sind Hochrisiko-Partien „Spiele, bei denen aufgrund allgemeiner Erfahrung oder aktueller Erkenntnisse die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine besondere Gefahrenlage eintreten wird“. In gut jeder zwölften Partie im wöchentlich Spielbetrieb könnten die Funken zwischen den verfeindeten Partien jederzeit Gewalt-Exzesse entzünden. In Bremen sind mittlerweile Millionen an offenen Rechnungen aufgelaufen, die nun bezahlt werden müssen
Am 19. April 2015 spielte Werder Bremen zu Hause mal wieder gegen den Hamburger SV - eine jahrelang Intimfeindschaft der beiden Hansestädte. Am Spieltag wurden Einsatzkräfte aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Hessen sowie der Bundespolizei hinzugezogen. Insgesamt waren 969 Polizeibeamte im Einsatz. Unter anderem wurden 90 Personen in Gewahrsam genommen. 150 Platzverweise wurden erteilt - das Weser-Stadion liegt gewissermaßen mitten im Kiez des Bremer Ostertors.
Um eine verbindliche Rechtsgrundlage bemüht, verlangt das Land Bremen Gebühren für gewinnorientierte Veranstaltungenmit mehr als 5000 Teilnehmern und erfahrungsgemäß Gewalthandlungen zusätzliche Polizeikräfte erforderlich machen. DFL und DFB setzten sich energisch gegen derlei Gebührenbescheide zur Wehr.
Warum die Fans glauben, dass Vater Staat für sie und ihre Exzesse aufkommen müsse
Für mächtig Stunk sorgte, dass der DFB der Stadt Bremen sogar extra ein Länderspiel entzog, Die DFL weigerte sich indessen konsequent, sich an Polizeikosten zu beteiligen. In erste Instanz sah sich die DFL noch auf der Siegerstraße, was die abwehrende Haltung nährte und nun wohl bei den Fußball-Zampanos für Ernüchterung sorgt. Die danach abweichenden Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichtes Bremen als auch beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hätten bereits Warnung genug sein müssen - doch in der DFL ist keinerlei Einsicht gereift. Der Nimbus der Unverzichtbarkeit für die Gesellschaft ist im deutsche Fußballs stark ausgeprägt
Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe holte der Prozessbevollmächtigte der DFL, Bernd Hoefer, mit seiner abstrusen Ansicht, dass es gar keine abgrenzbare Leistung der Polizei gebe die in Rechnung gestellt werden könne, keine Punkt vor den hohen Richtern. Gewaltprävention, so die irrige Haltung, sei eine „staatliche Kernaufgabe“. Stellt sich allmählich die Frage, wie lange die Ministerpräsidenten sich noch von den Vereins-Bossen vorführen lassen wollen
Und was sagen die Fans? Das umtriebige Fanbündnis „Unsere Kurve“ nahm die Entscheidung des Verfassungsgerichts „fassungslos“ zur Kenntnis. Nun stehe in dessen Folge zu befürchten, dass der staatlichen Ordnung „langfristig schwerer Schaden zugefügt würde“ - was im Kern eigentlich nur eine Bestätigung des Urteils sein sollte. Fans leben halt in einer Parallelgesellschaft.