Unternehmen

Wirtschaftswarntag ohne Habeck aber mit „Bekenntnis für Vielfalt“: Dafür fordern Gewerkschaften eine Vermögensabgabe für die Krise

Am Wirtschaftswarntag haben deutsche Unternehmen Alarm geschlagen. Doch Verursacher Habeck hatte keine Zeit, obwohl Standortbedingungen zu Stellenabbau, Schließungen und Abwanderung führen - auch Sägenhersteller Stihl denkt darüber nach. Gewerkschaften träumen hingegen von einer Rettung durch Vermögensabgabe von Reichen.
29.01.2025 18:44
Lesezeit: 4 min
Wirtschaftswarntag ohne Habeck aber mit „Bekenntnis für Vielfalt“:  Dafür fordern Gewerkschaften eine Vermögensabgabe für die Krise
SOS-Wirtschaftswarntag 29.01.2025: Mehr als 140 Verbände und über 200 Unternehmen fordern eine Wirtschaftswende von der Regierung. (Foto: wirtschaftswarntag.de) Foto: Hannes P Albert

Die Demonstration sei „nicht unpolitisch aber unparteiisch“ hatte der Eröffnungsredner des Warntages gesagt. Den versammelten Verbänden und Unternehmen sei aber wichtig, zu Beginn ein „Bekenntnis für Vielfalt“ abzulegen. Und später: Für solche, die den Euro abschaffen oder gar aus Europa austreten wollen, sei kein Platz auf dieser Demonstration.

Aber Robert Habeck, der der deutschen Wirtschaft so nachhaltig geschadet hat, wie kaum ein zweiter, war natürlich auch eingeladen. Er konnte aber nicht.

Wirtschaftswarntag: Unternehmen droht Abbau oder Abwanderung

Die deutsche Wirtschaft schrumpft. Heimische Unternehmen wandern ab. Die Lage ist ernst. Die Wirtschaft ruft SOS und fordert, dass die Politik entschlossen handelt und notwendige Maßnahmen ergreift, um die Stabilität unseres Landes zu sichern. Deshalb rufen mehr als 140 Verbände und über 200 Unternehmen aus ganz Deutschland gemeinsam zum bundesweiten Wirtschaftswarntag auf — mit fünf zentralen Kundgebungen und über 100 Aktionen vor Ort. Sie fordern eine Wirtschaftswende.

Großunternehmen Stihl geht noch einen Schritt weiter und stellt der Bundesregierung ein Ultimatum und droht mit Abwanderung: Bis 2030 sollen die Standortbedingungen in Deutschland verbessert werden, andernfalls erwägt das Unternehmen, seine Fertigung ins Ausland zu verlagern. Das baden-württembergische Familienunternehmen Stihl hatte eigentlich ein neues Werk in Ludwigsburg geplant. Das 1926 gründete Unternehmen hat seinen Stammsitz in Waiblingen bei Stuttgart.

Warnung an die Politik: Sägenhersteller Stihl droht mit Abwanderung

Der Umsatz der STIHL Gruppe erreichte im Geschäftsjahr 2023 insgesamt 5,3 Milliarden Euro (Vorjahr: 5,5 Milliarden Euro). Das international tätige Familienunternehmen konnte den Absatzanteil der Akku-Geräte auf 24 Prozent ausbauen – nach 20 Prozent im Vorjahr. Damit ist bereits nahezu jedes vierte verkaufte STIHL Produkt ein Akku-Gerät. Die Anzahl der weltweit Beschäftigten sank zum 31. Dezember 2023 um 3,6 Prozent auf 19.805 Mitarbeiter (Vorjahr: 20.552). Stihl ist nicht an der Börse und seit fast 100 Jahren in Familienhand.

Der baden-württembergische Sägenhersteller Stihl stellt der Politik ein Ultimatum für Standortreformen. „Wenn die Standort-Bedingungen in Deutschland unter der neuen Regierung besser werden, sind wir bereit, eine neue Fertigung hier in der Region aufzubauen. Die Politik hat jetzt bis 2030 Zeit“, sagte Aufsichtsratschef Nikolas Stihl der Augsburger Allgemeine. Andernfalls erwäge das Unternehmen, im Ausland zu investieren.

Geplant war eigentlich ein neues Werk in Ludwigsburg. Als Gründe für die drohende Abwanderung nannte Stihl gestiegene Baukosten, ausufernde Bürokratie und hohe Arbeitskosten. „Der deutsche Standort hat innerhalb kürzester Zeit massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Wir müssen in Deutschland dringend umdrehen. Deutschland steht mit dem Rücken zur Wand“, so Stihl.

Nicht nur Deutschland, sondern auch Europa seien „durch die überbordende Bürokratie nahezu gelähmt“, kritisierte Stihl. Es sei „ein Dickicht an Vorschriften und Bürokratie“ entstanden. „Für eine Erleichterung wurden zehn neue Regeln geschaffen“, beklagte er und verwies unter anderem auf das Gesetz für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in den Lieferketten, das „komplett praxisuntauglich“ sei.

Die Schweiz sei eine Option für den neuen Standort, weil dort trotz höherer Löhne die Arbeitsstunde wegen längerer Arbeitszeiten und weniger Bürokratie rund zehn Prozent günstiger sei als in Deutschland. Stihl produziert hier bereits seit rund 50 Jahren Sägeketten.

Trotz des Trends zu Akkugeräten sieht Stihl auch weiterhin eine Zukunft für benzinbetriebene Motorsägen. Das Unternehmen investiert in die Entwicklung umweltfreundlicher Kraftstoffe, um den CO₂-Ausstoß zu reduzieren.

Deutsche Industrie steckt in Krise fest - Wirtschaftswarntag ist Hilferuf

Dass die deutsche Industrie fest in einer Krise steckt, bestätigt auch Industriepräsident Peter Leibinger in Berlin: „Die Stimmung ist miserabel.“ Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet auch in diesem Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung. Die Zukunft des Industriestandorts stehe auf dem Spiel. Der Vorsitzende der Gewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, sagte: „Die Krise der Industrie verfestigt sich.“

Der BDI erwartet für das laufende Jahr einen weiteren Rückgang der Wirtschaftsleistung – während die Weltwirtschaft mit 3,2 Prozent wachsen werde. Deutschland bleibe damit konjunkturell eines der Schlusslichter. BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner sagte, für den Fall von US-Zöllen auf EU-Importe könnte die deutsche Wirtschaft sogar weiter schrumpfen.

Strukturelle Krise: Deutsche Wirtschaft bleibt Schlusslicht

Die Zahlen bestätigen die düsteren Aussichten: Im vergangenen Jahr ging die Wirtschaftsleistung von Europas größter Volkswirtschaft das zweite Jahr in Folge zurück. Auch dieses Jahr kommt die deutsche Wirtschaft nicht in Schwung. Die Bundesregierung revidiert ihre Konjunkturprognose für 2025 gerade deutlich. Wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der Präsentation des Jahreswirtschaftsberichts erklärte, wird nur noch ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent erwartet – im Herbst hatte die Regierung noch ein Plus des Bruttoinlandsprodukts von 1,1 Prozent angenommen.

Leibinger nannte eine immer weiter wachsende Bürokratie, hohe Energiepreise und einen Fachkräftemangel als größte Probleme. Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen sei bedroht. Dabei sei die wirtschaftliche Basis eigentlich gut. Die Probleme seien groß, aber nicht unlösbar. Der BDI-Präsident forderte die neue Regierung zu einem Kurswechsel auf, um Standortbedingungen zu verbessern. Die Unternehmen bräuchten zeitnah Entlastungssignale und eine „entschlossene Agenda“ für mehr Wachstum.

Forderungen an neue Regierung

Auch der IGBCE-Vorsitzende Vassiliadis forderte, die nächste Bundesregierung müsse das Ruder herumreißen. „Das Land schwimmt in einem toxischen Mix aus konjunkturellen und strukturellen Problemen.“ Die Industriegewerkschaft fordert unter anderem ein schnell wirksames Konjunkturprogramm mit Impulsen für mehr Investitionen, etwa über staatliche Zulagen. Außerdem müssten vor allem die Stromkosten gesenkt werden.

Der Branchenverband Gesamtmetall forderte die neue Bundesregierung zu einem 100-Tage-Programm auf. Hauptgeschäftsführer Oliver Zander sagte, nur so könne ein Aufbruch-Gefühl entstehen. Die Standortbedingungen hätten sich laut einer Umfrage des Verbands für mehr als 93 Prozent aller Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert oder sogar deutlich verschlechtert. Die IG BCE machte sich für ein Konjunkturprogramm stark.

Vermögensabgabe: Gewerkschaft will Reiche zur Kasse bitten

Die Industriegewerkschaft IG BCE schlägt zudem für milliardenschwere Zukunftsinvestitionen eine einmalige Vermögensabgabe der reichsten Deutschen vor. Vassiliadis sprach sich für einen „Turnaroundfonds“ aus, der in die Modernisierung und den Aufbau von Infrastruktur investiere und Transformationsprojekte der Industrie fördere. Als Startkapital sollten Einnahmen aus einer einmaligen Vermögensabgabe des reichsten Promilles der Bevölkerung in Höhe von fünf Prozent dienen. Davon betroffen wären rund 84.000 Menschen mit einem Nettovermögen von jeweils mehr als zehn Millionen Euro.

Mit der Abgabe kämen nach Berechnungen der Gewerkschaft Einnahmen von mehr als 175 Milliarden Euro zusammen. Dies entspräche mehr als einem Drittel der notwendigen Summe für staatliche Modernisierungsinvestitionen, die nach BDI-Berechnungen bis 2030 notwendig seien.

 

 

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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