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Gründen in Deutschland: Warum wir Unternehmertum neu denken müssen

In Deutschland gibt es großartige Gründer – aber viel zu wenige! Warum fällt uns Unternehmertum so schwer? Prof. Dr. Günter Faltin, Gründer der Teekampagne und Experte für Entrepreneurship, spricht über Vorurteile, Bürokratie und den Mut, den es braucht, um erfolgreich ein eigenes Unternehmen aufzubauen. Er zeigt, warum sich das Gründen trotzdem lohnt – und was wir von innovativen Startups weltweit lernen können.
08.02.2025 16:00
Lesezeit: 11 min
Gründen in Deutschland: Warum wir Unternehmertum neu denken müssen
Informationsmaterial mit der Aufschrift „Gründen macht glücklich“ liegt in der Bürgschaftsbank Berlin (Foto: dpa).

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie ist es um die Firmengründer in Deutschland bestellt, auch im Vergleich zu beispielsweise den USA?

Günter Faltin: Das Potenzial für einen hervorragenden Gründerstandort ist in Deutschland vorhanden. Es gibt auch jetzt schon eine - relativ zur Gesamtwirtschaft - kleine, aber recht lebendige Gründerszene. Anders als in der Vergangenheit ist das Thema Gründen und die Überlegung einer eigenen Initiative durchaus im Bewusstsein vieler junger Menschen angekommen. Während früher für Universitätsabsolventen der Staatsdienst, MCKinsey oder Unternehmen wie Siemens und Deutsche Bank an erster Stelle der Berufswünsche standen, ist heute die Überlegung, ein eigenes Unternehmen zu gründen, durchaus auf dem Radar präsent.

Von der Selbstverständlichkeit, mit der in den USA die zentrale Bedeutung von Unternehmensgründungen diskutiert wird, sind wir allerdings in Deutschland noch weit entfernt.

DWN: Was sind die Gründe für diese relative Zurückhaltung?

Faltin: Die US-amerikanische Kultur weist eine Reihe von Elementen auf, die in Kontinentaleuropa fehlen: eine hohe Wertschätzung von unternehmerischem Erfolg, das klassisch republikanische Denken selbst Initiative zu ergreifen statt auf den Staat zu warten und schließlich die Akzeptanz, ja positive Bewertung des Scheiterns - um die vielleicht wichtigsten Merkmale zu nennen.

Bei uns dagegen ist der Begriff Unternehmertum bei der Mehrheit der Bevölkerung nicht positiv besetzt, hängen der Vorstellung negative Konnotationen an. Ausgerechnet Unternehmertum und damit Profitstreben als Leitlinie für gesellschaftliche Veränderungen? Das soll eine positive Vorgabe sein? Die meisten Menschen – außerhalb der für Wirtschaft und Unternehmern aufgeschlossenen Kreise - können sich damit nicht identifizieren, resignieren in diesem Punkt: Sie lehnen Unternehmer als Vorbilder ab.

Der Staatsbedienstete stand bei uns von jeher in höherem Ansehen als der Gewerbetreibende oder Händler. Spätestens seit der Romantik ist die Verachtung des Gewinnstrebens geradezu Grundausstattung jeder Gesellschaftskritik. Entstehen Gewinne nicht durch Ausbeutung der Arbeitskraft? Marx ist out, aber die Bilder des Frühkapitalismus haben in vielen Gehirnen – nicht an der Oberfläche, aber in den tieferen Verzweigungen – Spuren hinterlassen. Die ausgemergelten Gestalten bei Käthe Kollwitz oder „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann sind im Bildungskanon fest verankert. Es mag übertrieben klingen, aber solche Vorbehalte sind leider meine Erfahrung aus ungezählten Diskussionen.

DWN: Wie könnte man Ihrer Ansicht nach die Begeisterung für Unternehmertum, insbesondere bei jungen Menschen, fördern?

Faltin: Ich versuche, das Wort Unternehmertum möglichst zu vermeiden. International hat sich ohnehin der Begriff Entrepreneurship durchgesetzt, ein für uns Deutsche allerdings sperriges Wort. Ich spreche lieber von „etwas unternehmen“ und „unternehmerischem Denken und Handeln“. Diese Begriffe sind positiver besetzt. Darauf lässt sich aufbauen, wenn wir größere Teile unserer Gesellschaft ansprechen wollen.

Natürlich spielen Technologie und Kapital eine große Rolle. Als Ausgangspunkt aber sind sie ungeeignet. Wenn es um die Begeisterung für Gründen geht, muss man anders vorgehen. Meine Ansprache an Gründer heißt:

„Es wird Sie überraschen, weil letztlich ja der Markt über Ihren Erfolg entscheidet. Aber fangen Sie bei sich selbst an. Gehen Sie von Ihren eigenen Stärken und Talenten aus! Und erarbeiten Sie daraus ein Konzept, das zum Markt, aber auch zu Ihrer Person stimmig ist. Ihr eigenes Unternehmen wird einen großen Teil Ihres Lebens ausmachen, also sollte es sich um etwas handeln, das zu Ihnen passt. Das stimmig zu Ihren Eigenschaften, Ihren Überzeugungen und Werten ist. Sonst kann es gut sein, dass Sie den Marathon, der einem Unternehmensgründer bevorsteht, nicht schaffen. Immerhin scheitern ja 80% aller Gründungen in den ersten fünf Jahren.“

Harte Disziplin und Kapital allein reichen nicht. Die Gründerin muss auch überzeugt sein, etwas Sinnvolles für sich und andere zu unternehmen. Das ist meine Erfahrung aus über 40 Jahren eigener Gründungen und der Begleitung von Unternehmensgründungen.

Zugegeben, keine leichte Sache. Ein kräftezehrender Marathon. Und lohnen sich die Anstrengungen überhaupt? Überarbeitet, überfordert, die Sorgen vor den fälligen Kreditraten oder der Steuererklärung - das ist häufig die tägliche Erfahrung für viele Kleinunternehmer und Selbständige. Andererseits: Wollen Sie Ihre Lebenszeit mit einer Arbeit verbringen, die langweilig ist, die Sie nicht erfüllt? „Wenn Du das zu Deinem Beruf machst, was Du gerne tust, brauchst Du Dein Leben lang nicht zu arbeiten“, sagt der chinesische Philosoph Konfuzius. Ein kluger Satz. Und seit 2500 Jahren zitiert. Natürlich übertreibt er. Aber er trifft einen zentralen Punkt für die Motivation zu gründen. Weil der Satz für keinen Beruf so sehr gilt wie für den des Entrepreneurs.

Ein weiterer positiver Punkt: Heute steht Gründern Arbeitsteilung viel ausgeprägter zur Verfügung als noch vor wenigen Jahren. Für alle Teile Ihres Unternehmens, die Sie nicht selbst erledigen können oder wollen: Nutzen Sie Arbeitsteilung. Ich nenne das „Gründen mit Komponenten“. Mit professionellen Partnern, die ihre Sache wirklich verstehen und frühzeitig auf Fehlentwicklungen aufmerksam machen.

DWN: Wie kann ein junger Gründer am besten herausfinden, ob seine Ideen und sein Geschäftsmodell am Markt bestehen, ohne sich übermäßig viele Schulden aufzuhalsen?

Faltin: Einfälle gibt es viele, aber wirklich gute Gründungskonzepte sind rar. Konzepte, die ökonomisch, möglichst auch ökologisch, überzeugen. Das heißt: Abstand zum Thema gewinnen, recherchieren, tüfteln, verwerfen, neu anfangen – so lange, bis man klare, deutlich erkennbare Wettbewerbsvorteile herausgearbeitet hat. Im nächsten Schritt geht es darum, dieses Konzept der Realität auszusetzen. Ein Businessplan kann hervorragend formuliert sein, kann bestechende Graphiken enthalten – er ist aber im Kern nichts anderes als ein Bündel von Annahmen. Und diese Annahmen muss man testen. Wird das Produkt oder die Dienstleistung tatsächlich auch nachgefragt? Wird der Preis akzeptiert? Findet der angedachte Vertriebsweg auch den Kunden? Alle diese Annahmen sind zunächst Theorie, oft sogar reines Wunschdenken. Ich kenne nicht wenige Gründer, die sich in ihr Konzept geradezu verlieben. Daher ist der proof of concept so wichtig, die Annahmen des eigenen Konzepts in der Realität zu überprüfen. Mit potentiellen Kunden sprechen, möglichst erste Kaufaufträge einwerben, so, wie es bei Subskriptionen üblich ist. Diese Testphase sollte man vornehmen, bevor man ins volle Risiko einer Gründung geht - sprich: mit vollem Kapitaleinsatz und Schulden.

DWN: Welche Rolle spielt dabei das Risikokapital?

Faltin: Die Qualität des Gründungskonzepts ist eine wichtige Voraussetzung, um Risikokapital anzuziehen. Wenn Sie an Geldgeber herantreten: Mit einem überzeugenden Konzept, in der Praxis überprüft, mit ersten Kunden – damit haben Sie in Verhandlungen eine weit bessere Position. Auch für den Kapitalgeber fällt die Entscheidung leichter, wenn die Gründer zeigen können, dass sie einen ersten Praxistest bestanden haben.

Natürlich tauchen viele Probleme erst nach dem Markteintritt auf. Das kann aber im Umkehrschluss nicht bedeuten, auf bestmögliche Vorbereitung zu verzichten. Wenn Sie als Bergsteiger in hochriskantem Gelände unterwegs sind, kommt es sehr wohl auf die Vorbereitung an, auf Ausrüstung, Training oder die Auswahl des Teams, auch wenn trotz bester Vorbereitung natürlich eine Menge Risiken bleiben.

Es kann doch nicht angehen, große, abenteuerliche Wetten einzugehen, auch wenn das in Silicon Valley zuweilen so aussieht. Man kann einen Fluss überqueren, indem man von Krokodilrücken zu Krokodilrücken springt. Das hat hohen Unterhaltungswert für die Zuschauer. Aber klug ist es nicht. Man tut besser, die Risiken realistisch einzuschätzen und eine weniger gefahrvolle Furt zu suchen.

DWN: Wie sehen Sie das Problem der Bürokratie für Gründer?

Faltin: Geister lieben es, so glaubt der Stamm der Lahu in Nordthailand, sich Menschen als Körper zu suchen, aus denen heraus sie dann agieren. Manchem Politiker bei uns muss das widerfahren sein. Der Unternehmensgeist ist in ihn geschlüpft, und er redet überzeugt von Risikobereitschaft und Gründern, die in Garagen starten. Die Wirklichkeit freilich sieht ganz anders aus.

Garagengründungen macht die deutsche Arbeitsstättenverordnung gründlich den Garaus. Nachhaltig. Regale und Raumteiler aus leeren Teekisten – einfach, funktional, kostenlos – haben keine Chance. Abräumen. Ein Gespräch zwischen Gründer und den Beamten der Bezirksverwaltung herbeiführen? Aussichtslos. Die einfache Garagengründung scheitert schon an den Verordnungen für das Mobiliar. Ganz zu schweigen von der richtigen Anordnung sanitärer Anlagen, der Beleuchtung, der Höhe des Treppengeländers und vielen anderen Dingen mehr. Statt an seinem Konzept zu arbeiten, ist der Gründer damit beschäftigt, formale Anforderungen an sein im Entstehen begriffenes Unternehmen zu erfüllen.

Was wirklich helfen würde: Gründern beim Start von bürokratischen Auflagen freizustellen. Zumindest einmal im Leben sollte man Menschen die Chance geben, für eine begrenzte Zeit unternehmerisch zu experimentieren. Würde man den Gründern ein Jahr Bürokratiefreiheit gewähren, statt von Garagengründungen zu schwadronieren, wäre schon viel gewonnen. Dies hätte den Vorteil, dass die Gründerin einen größeren Freiraum erhält, sich auf ihr Konzept zu konzentrieren, daran zu feilen und es mit den Erfahrungen im Markt weiter zu verbessern. Fangen wir damit an, wenigstens den Zwangsbeitrag zur IHK für Gründer abzuschaffen. Es ist eines der ersten Schreiben, das Gründern auf den Tisch flattert.

Wenn man gleichzeitig betrachtet, welchen bürokratischen Aufwand es macht, auf Fördergelder zuzugreifen, wird man erkennen, dass Gründer von ihrer eigentlichen Aufgabe, ein überzeugendes Unternehmenskonzept zu erarbeiten und weiter zu entwickeln, abgelenkt werden. Niemand will Bürokratie, aber sie entsteht von selbst, wenn öffentliche Mittel im Spiel sind. Die Rechenschaftspflicht zwingt dazu. Anträge, Zwischen.- und Endberichte, Nachvollzug der Ausgaben und der Rechnungslegung.

Als die ersten Fördermittel im Bereich Entrepreneurship angeboten wurden, wurde in Berlin aus der kleinen Zahl von acht Hochschullehrern, die sich seit Jahren mit dem Thema Unternehmensgründung beschäftigt hatten und in ihrem Umfeld erfolgreiche Gründungen vorweisen konnten, über Nacht die Zahl von fast 90 Antragsstellern. Die Gruppe arbeitete wochenlang an einem gemeinsamen Projektantrag, was viel Koordination und Kompromisse erforderte. Am Ende wurde der Projektantrag abgelehnt, und wir wieder nur noch zu acht. Der Spuk war vorüber.

Nicht der Unternehmensgeist muss von Ministerien an die Universitäten herangetragen werden, sondern genau umgekehrt. Wir brauchen eine Kultur des unternehmerischen Denkens und Handelns, das auch unsere Verwaltung erfasst, sie weitaus effizienter, experimentierfreudiger und weniger hoheitlich arbeiten lässt. Wir müssen das Feld des Unternehmerischen attraktiver machen, weg von verwaltendem Denken und Administration, hin zu den Ideen, Bedürfnissen und Zielen.

Immer wieder erhalte ich Anfragen von Gründern mit der Bitte, doch die vorhandenen Fördermittel darzulegen. Was er denn gründen wolle, frage ich dann. Nein, er wolle sich erst einen Überblick über die Fördermöglichkeiten verschaffen. Das macht mich wütend. Glaubt jemand im Ernst, dass die Begeisterung für Gründen mit der Wurst von Fördermitteln und dem Wust der Richtlinien dazu entfacht werden kann?

Entrepreneurship ist Aufbruch, Veränderung, kreative Zerstörung, verlangt eine andere Lebenseinstellung, verlangt Durchhaltevermögen, Ambiguitätstoleranz und vieles mehr. Am Anfang steht das Neue, das Unklare, das Unfertige, das Ringen um das eigene Konzept, das Aushalten der Ambiguität. Ob die Aussicht auf finanzielle Förderung, das Winken mit Geld die richtigen Personen anzieht, ist eine gute Frage. Ich muss gestehen, ich bin desillusioniert. Die Antragsartisten gewinnen. Vielversprechende Anträge, tolle Berichte. Hohes Aktivitätsniveau - solange die Fördermittel reichen. Für die Inkludierten ist die Welt in Ordnung. Es braucht die Evaluation von außen. Mit Kontrollgruppen, wie in empirischer Sozialforschung üblich.

DWN: Obwohl die Deutschen nicht gerade in Gründerlaune zu sein scheinen, gibt es hier doch zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen, von denen einige „hidden champions“ sind - ein Widerspruch?

Faltin: Ja, Deutschland ist berühmt für seinen Mittelstand. Namen wie Hasso Plattner, Hans Peter Stihl, Erich Sixt, Heinrich Deichmann, Günther Fielmann, Hermann Kronseder, Heinz Dürr, Claus Hipp oder Götz Werner, fallen mir dazu ein. Ja, es gab und gibt herausragende Unternehmerpersönlichkeiten in Deutschland. Aber wie viele sind es? Ein paar Dutzend, ein paar Hundert? Sind sie repräsentativ für das, was wir die deutsche Wirtschaft nennen? Und gehören sie nicht einer schon etwas älteren Generation von Unternehmern an, die, was ihre Werte betrifft, im Aussterben begriffen scheint? Menschen, die mit dem Geld, das sie in ihren Unternehmen verdienen, sorgsam umgehen, keinen extravaganten Konsum zur Schau stellen, sondern ihr Geld und ihre Zeit lieber in ihr Unternehmen stecken?

Es ist eine aktuelle Frage: Wie steht es um die Haltung zu unternehmerischer Innovation und Disruption, zu Schumpeters Konzept der kreativen Zerstörung? Mit dem Auftauchen des „Investors“ (anstelle des Unternehmers), der „Industriepolitik“ (anstelle der Marktfunktion) und des staatlichen Dopings der „nationalen Champions“ (anstelle der Anwendung des Kartellgesetzes) scheint diese Haltung im Aussterben begriffen. In den Konzernen existieren ganze Abteilungen, die damit beschäftigt sind, Fördermittel und Subventionen zu beantragen. Für die Großen gilt schon länger, dass sie mit dem Druckmittel von Massenentlassungen die staatliche Politik beeinflussen können. Das böse Wort von „den Gewinnen, die privatisiert, und den Verlusten, die sozialisiert werden“ machte so die Runde. Für die Kleinen dagegen ist das Risiko des Untergangs nach wie vor hoch – sehr hoch sogar. Obwohl sie zurecht hidden champions genannt werden haben sie nicht die mächtige Lobby, können keinen Druck auf die Politik ausüben.

DWN: Ist der Unternehmensgeist aus der Wirtschaft ausgewandert?

Faltin: Könnte es sein, dass wir bei Greenpeace, Transparency International, Foodwatch und ähnlichen Gruppierungen inzwischen mehr Eigeninitiative und unternehmerisches Engagement finden als in Teilen von Corporate Germany? Der Glaube, der sich immer mehr durchsetzt, dass wir nationale oder EU-Champions brauchen, die der staatlichen Führung und Unterstützung bedürfen, deutet darauf hin. Es sind offenbar, auf sich selbst gestellt, unfitte Gesellen, die erst durch staatliches Doping oder Subventionskrücken fit für den internationalen Wettbewerb werden.

Nein, werden Sie sagen. Wir müssen doch im Subventionswettlauf mit China und den USA mithalten. Doch in China, auf das so oft als Vorlage für mehr staatliche Förderung verwiesen wird, passiert gerade das Gegenteil. Ein bis dato fast unbekanntes chinesisches Startup, DeepSeek, ist in aller Munde. “The Chinese start-up has jolted the tech world with its claim that it created a powerful A.I. model that was significantly cheaper to build than the offerings of its better-funded American rivals“ - „Das chinesische Start-up hat die Tech-Welt erschüttert mit der Behauptung, ein leistungsstarkes KI-Modell entwickelt zu haben, das deutlich günstiger in der Herstellung war als die Angebote seiner besser finanzierten amerikanischen Konkurrenten.“ (Übersetzung der Redaktion) schreibt die New York Times. Das Thema Subventionen scheint keine große Rolle gespielt zu haben, jedenfalls ist bisher nichts dazu bekannt geworden.

Sehen wir uns Liang Wenfeng, den Gründer von DeepSeek, näher an. Sein Ansatz stellt einen radikalen Bruch mit den Normen der chinesischen Tech-Industrie dar. Seit seiner Gründung im Jahr 2023 hat das Unternehmen die hierarchischen und kontrollbetonten Managementpraktiken vermieden, wie sie im chinesischen Tech-Sektor üblich sind: Mitarbeiter werden oft streng überwacht, müssen regelmäßig Tätigkeitsberichte einreichen und sind verpflichtet, ihre Arbeitszeiten genau zu erfassen, um zu verhindern, dass sie ihrem Arbeitgeber "Zeit stehlen". Dieser Ansatz hat seinen Preis: Er erstickt Kreativität und entmutigt eigenständiges Problemlösen.

Stattdessen hat DeepSeek eine Unternehmenskultur aufgebaut, die auf flachem Management, einem akademischen Stil der Zusammenarbeit und Autonomie für junge Talente basiert. Die Teamgröße wird bewusst klein gehalten, bei etwa 150 Mitarbeitern, und Managementrollen werden in den Hintergrund gestellt. Teammitglieder konzentrieren sich auf Aufgaben, in denen sie besonders gut sind, arbeiten frei zusammen und konsultieren Experten aus anderen Gruppen, wenn Herausforderungen auftreten.

Dieser Ansatz stelle sicher, dass jede Idee mit Potenzial die Ressourcen erhält, die sie zum Gedeihen benötigt. Liang geht davon aus, dass "jeder einzigartige Erfahrungen hat und seine eigenen Ideen mitbringt. Echte Innovation kommt oft von Menschen, die keinen Erfahrungsbalast haben", Das ist eine hochinteressante Beobachtung: Es sind oft die Außenseiter, die noch nicht betriebsblind sind, die die überlegeneren Ansätze erkennen.

Das Unternehmen scheint das kreative Potenzial seiner Belegschaft freigesetzt zu haben, was ihm ermöglicht, Ergebnisse zu erzielen, die seine besser finanzierten Konkurrenten übertreffen. Liang setzt vor allem auf sehr junge Talente von Chinas Top-Unis. Langfristig gesehen sei berufliche Erfahrung nicht so wichtig wie „grundlegende Fähigkeiten, Kreativität und Leidenschaft“: Gegenüber dem chinesischen Portal 36Kr gab er zum Start von DeepSeek 2023 an, „hauptsächlich von Neugierde“ getrieben zu sein.

Natürlich sind Technologie und Kapital bedeutende Ressourcen. Niemand stellt das in Abrede. Aber ohne hochmotivierte Köpfe, ohne Kreativität und Leidenschaft sehen auch die besten Ressourcen blass aus.

Richard Bransons legendärer Satz fällt mir dazu ein: "Wir hatten kein Geld, also mussten wir kreativ sein." Branson wurde groß damit und bedeutend. Und siehe da – es funktioniert auch heute noch. Auch im Zeitalter der KI. Die Schlacht um die beste Technologie wird nicht nur mit Kapitaleinsatz gewonnen werden.

Es ist eine für uns alle ermutigende Botschaft.

Info zur Person: Prof. Dr. Günter Faltin baute den Arbeitsbereich Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin auf. Vor 40 Jahren gründete er die Teekampagne – eine Erfolgsgeschichte – und begleitete als Business Angel erfolgreiche Unternehmensgründer, darunter die EBUERO.AG. Er wurde auf mehrjährige Gastprofessuren in Asien berufen und hielt wissenschaftliche Vortragsreihen und Workshops, darunter in den USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Russland, Georgien, Ukraine, Südkorea und Japan.

2001 errichtete er die Stiftung Entrepreneurship, die den jährlichen Entrepreneurship Summit in Berlin veranstaltet. 2009 nahm er den „Deutschen Gründerpreis“ für die Teekampagne entgegen. Die Staatliche Universität Tiflis, Georgien, verlieh ihm anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens die Ehrendoktorwürde. 2010 zeichnete ihn der Bundespräsident als Pionier des Entrepreneurship-Gedankens in Deutschland mit dem den Bundesverdienstorden aus. Von 2013 bis 2020 lehrte er am International College for Digital Innovation an der Chiang Mai University, Thailand.

Sein Buch „Kopf schlägt Kapital" ist ein Bestseller, der in neun Sprachen übersetzt wurde. Faltin lebt und arbeitet in Berlin und Chiang Mai.

 

 

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