Politik

Stars im Wahlkampf: Sind sie hilfreich oder schaden sie?

Schon Günter Grass unterstützte Willy Brandt auf seinen Wahlkampftouren. Im Bundestagswahlkampf 2025 warnen zahlreiche Prominente CDU-Chef Merz davor, die Brandmauer zur AfD zu durchbrechen. Doch welchen Einfluss hat das?
12.02.2025 05:57
Lesezeit: 4 min
Stars im Wahlkampf: Sind sie hilfreich oder schaden sie?
Friedrich Merz (links), Kanzlerkandidat der Union und CDU-Bundesvorsitzender, steht neben Schauspieler Ralf Moeller beim Betriebsbesuch einer Tischlerei während seiner Wahlkamptour (Foto: dpa). Foto: Michael Kappeler

Bundestagswahlkampf 2025: Wie Stars den Parteien helfen - und schaden

Lange ist es her, dass sich so viele Künstler aus Film, Fernsehen und Musik in einen Wahlkampf eingemischt haben wie aktuell. Nachdem die CDU mit den Stimmen der AfD im Bundestag einen Antrag zur Zurückweisung von Asylsuchenden durchbrachte, reagierten Hunderte Prominente mit einer Erklärung und kritisierten den "Pakt mit der AfD" als "historischen Tabubruch". Doch wie effektiv ist ein solcher Protest?

In den USA erhielt die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris im vergangenen Jahr massive Unterstützung aus der Unterhaltungsbranche. Ob Taylor Swift, der derzeit größte Name in der Musikszene, Hollywood-Stars wie George Clooney, Julia Roberts, Anne Hathaway und Jennifer Aniston oder "Terminator" Arnold Schwarzenegger – sie alle positionierten sich klar. Doch am Ende gewann derjenige, den sie alle verhindern wollten.

Beyoncé und die Lebensrealität vieler Menschen "In den USA war diese Unterstützung eher kontraproduktiv, da der Eindruck entstand, dass die Prominenten für die Sorgen der Bürger – hohe Inflation, steigende Lebenshaltungskosten – kein Verständnis haben", analysiert der Psychologe Stephan Grünewald, Leiter des Kölner Rheingold-Instituts. Beyoncé muss sich schließlich keine Gedanken über teure Burger machen. Auch der Philosoph Julian Nida-Rümelin sieht das ähnlich: "Kulturkämpfe von links funktionieren nicht", sagt der frühere Kulturstaatsminister und ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats der Deutschen Presse-Agentur.

Stars im Wahlkampf: Deutschland nicht mit den USA vergleichbar

er Kulturkampf in den USA sei jedoch nicht direkt mit dem Protest deutscher Kulturschaffender gegen das mögliche Aufweichen der Brandmauer zur AfD vergleichbar. "Wenn eine breite gesellschaftliche Bewegung sagt: 'Wir wollen keine AfD in der Regierung, keine Annäherung an die AfD', dann kann das durchaus Wirkung entfalten."

Europas Beispiel: Jede Annäherung stärkt die Rechten Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, was passieren kann, wenn eine gesellschaftliche Mehrheit nicht rechtzeitig gegensteuert. Der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi war kein Rechtsextremer, sondern eher ein liberal-konservativer Politiker, erklärt Nida-Rümelin. Doch wo steht Italien heute?

"Jetzt haben wir eine postfaschistische Regierungschefin, Giorgia Meloni." Gleichzeitig ist Berlusconis Partei geschrumpft. "In Frankreich verlief es ähnlich: Die Republikaner näherten sich Marine Le Pen inhaltlich an und wurden dadurch bedeutungslos. In Österreich steht die ÖVP vor der Möglichkeit, als Juniorpartner der FPÖ eine Regierung unter Rechtsaußen Herbert Kickl zu bilden. Genau deshalb ist es entscheidend, dass die Brandmauer in Deutschland, dem größten Land Europas, standhält."

Auch Künstler und Intellektuelle wollten daher ihren Beitrag leisten. "Ihr Einfluss ist sicherlich nicht riesig", vermutet Nida-Rümelin, "jedenfalls nicht so stark wie die aktuellen Massendemonstrationen. Doch ihr Protest ist berechtigt und notwendig."

Wahlkampfhelfer Günter Grass

Günter Grass als Wahlkampf-Pionier Früher war das Engagement von Künstlern im Wahlkampf sogar noch intensiver: In den 1960er-Jahren unterstützten viele Kulturschaffende den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt. Der Schriftsteller Günter Grass ("Die Blechtrommel") reiste 1969 ein halbes Jahr lang im VW-Campingbus durch die Bundesrepublik, um für "Willy" zu werben.

Der spätere Literaturnobelpreisträger legte 32.000 Kilometer zurück, besuchte 79 Wahlkreise, sprach zu rund 60.000 Menschen und gab 46 Pressekonferenzen. Sein Engagement unterschied sich in einem entscheidenden Punkt von heutigen Künstler-Protesten: Er fokussierte sich auf die Interessen der SPD-Stammwählerschaft – bessere Bildungschancen, gerechte Löhne und bezahlbares Wohnen.

"Das vermittelte den Menschen das Gefühl: 'Die Eliten nehmen uns wahr, wertschätzen uns, setzen sich für uns ein'", erklärt Grünewald. "Doch genau dieses Gefühl ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend verloren gegangen – teils hat es sich ins Gegenteil verkehrt."

Schaut die kulturelle Elite auf das Volk herab?

Viele Menschen hätten inzwischen eher den Eindruck, dass die gesellschaftlichen Eliten auf sie herabblicken – nach dem Motto: Ihr fahrt noch Diesel, esst Fleisch und gendert nicht! "Das kann nicht nur das Gefühl mangelnder Wertschätzung erzeugen, sondern sogar Schamgefühle hervorrufen", meint Grünewald. "Deshalb könnte solch ein Künstler-Protest auch das Gegenteil bewirken – so wie es in den USA der Fall war."

Nida-Rümelin beschreibt dies als eine Balance zwischen Standbein und Spielbein: "Das Standbein von Mitte-Links-Parteien sollte die Vertretung der Interessen einkommensschwächerer Bürger sein – Brot- und Butterthemen stehen an erster Stelle. Erst dann kann man mit dem Spielbein einen intellektuellen Überbau schaffen, so wie es Günter Grass damals tat."

Wenn linke Parteien sich hingegen zu stark auf eine kulturelle Agenda konzentrierten, die primär für die urbane, akademische Mittelschicht interessant sei, entstünde ein Konflikt: "Denn diese Menschen sind nie kulturell progressiv – das können sie gar nicht sein."

Migrationshintergrund schützt nicht vor Skepsis Insbesondere das Migrationsthema sei für Mitte-Links-Parteien heikel, so Nida-Rümelin ("Demokratie und Wahrheit", "Über Grenzen denken – Eine Ethik der Migration"): "Diejenigen mit niedrigeren Einkommen leben in Vierteln, in denen Migration oft spürbare Auswirkungen hat – manchmal auch negative."

Gerade dort steigen die Mieten besonders stark. Kinder gehen auf Schulen, in denen die Mehrheit nicht mehr aus Familien mit Deutsch als Muttersprache stammt. Für die gehobene Mittelschicht hingegen sei Einwanderung oft nur positiv spürbar: Sie genieße neue kulinarische Angebote und profitiere von günstigen Haushaltshilfen.

"Das erklärt auch, warum Menschen mit Migrationshintergrund oft migrationsskeptisch sind: Sie wollen diese Dynamik nicht, weil sie ihre Lage verschlechtert." Diese Realität mache die Migrationspolitik zu einem schwierigen Balanceakt. In einem Punkt aber müsse laut Nida-Rümelin Klarheit herrschen: "Die Brandmauer muss halten." Sonst, warnt er, "steht uns eine ganz andere Republik bevor".

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