Was in Asien selbstverständlich ist, ist für Deutschland ein neues Phänomen: Eine Krankenkasse-Umfrage besagt, dass 39 Prozent der Beschäftigten gerne mal im Homeoffice einen Mittagsschlaf machen. Auf Neudeutsch ein Powernap – einen sogenannten Kurzschlaf.
In Japan heißt das Inemuri – die japanische Kunst des „strategischen Schlafes“. Inemuri findet in Japan überall statt – am Arbeitsplatz, in der U-Bahn, auf einer Parkbank. Der Powernap ist gesellschaftlich hoch angesehen, denn er zeigt Arbeitgebern den Einsatz und die Erschöpfung eines Mitarbeiters, der sich voll für seine beruflichen Aufgaben einsetzt.
Offiziell ist Powernap während der Arbeitszeit noch kein erwünschtes Verhalten in Deutschland, obwohl der Mittagsschlaf gerade bei Jüngeren – dank Homeoffice – immer mehr zum Trend wird. Schließlich ist so ein Kurzschlaf gut für die Gesundheit und sorgt nebenher noch für eine höhere Arbeitsproduktivität. Einige Firmen stellen inzwischen sogar eigene Räume bereit.
Powernap im Homeoffice: 4 von 10 Berufstätigen legen Schlafpause ein
Wer daheim arbeitet, wo Sofa oder Bett nicht weit vom Schreibtisch sind, nutzt diese Chance auf ein Powernap gerne: Kommt die Mittagsmüdigkeit, legen rund 39 Prozent der Berufstätigen zumindest gelegentlich ein Nickerchen ein. Ein Viertel der Befragten gab an, niemals ein Nickerchen zu machen, ein gutes Drittel arbeitet nicht von zu Hause und hat deswegen gar nicht die Möglichkeit zur Schlafpause daheim.
Warum sind Nickerchen im Homeoffice so beliebt? Ein kurzer Schlaf kann Wunder wirken. Er steigert die Konzentration, reduziert Stress und verbessert die Stimmung. In einer Zeit, in der Burnout und Stress allgegenwärtig sind, kann ein Powernap ein wertvolles Werkzeug sein. Das sehen auch viele der Studienteilnehmer so, denn die meisten erklärten, sich nach einem Powernap fitter und leistungsfähiger zu fühlen.
Das ist das Ergebnis der Schlafstudie 2024 der Betriebskrankenkasse Pronova BKK. Für die Studie wurden im September und Oktober 2.000 Personen ab 18 Jahren online befragt, darunter rund 1.200 Berufstätige.
Jüngere stehen mehr auf Powernap als Ältere
Besonders beliebt ist der Powernap als Erholungsrezept bei jüngeren Menschen: In der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen legen 60 Prozent gelegentlich eine kurze Auszeit im Homeoffice ein.
Je älter die Berufstätigen sind, desto seltener machen sie einen Kurzschlaf: Von den 40- bis 49-Jährigen nutzt nur noch ein Drittel diese Möglichkeit. Noch niedriger ist die Quote bei den 50- bis 59-Jährigen. Dort liegt der Anteil nur noch bei 28 Prozent. Warum zeigt sich beim Schlafverhalten ein klarer Unterschied zwischen den Generationen?
Der Mediziner Dr. Gerd Herold, Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin sowie Umweltmedizin und Beratungsarzt der Pronova BKK, erklärt den Unterschied zwischen den Altersklassen so: „Während die Jüngeren offener mit kurzen Erholungspausen umgehen und sie als normal empfinden, ist bei älteren Berufstätigen meist eine andere Einstellung zu beobachten. Viele sind mit dem Gedanken aufgewachsen, dass Schlafen während der Arbeitszeit tabu ist. Die Generation Z hingegen sagt: ‚Wenn ich müde bin, mache ich einen Powernap und arbeite danach produktiver weiter‘.“
Kurzschlaf statt Kaffee: Welche medizinischen Vorteile dafür sprechen
Aus medizinischer Sicht ist das Nickerchen dabei laut Herold eine sehr vernünftige Maßnahme: „Ein Powernap von 10 bis 20 Minuten ist ein hervorragendes Mittel, um neue Energie zu tanken und die Konzentration zu verbessern. Wichtig ist, ihn kurzzuhalten, damit die Nacht nicht beeinträchtigt wird.“ Ein Kurzschlaf wirke besser als eine Tasse Kaffee.
„Wenn Arbeitgeber einen Powernap ermöglichen, würde ich das begrüßen!“ Dr. Gerd Herold, Beratungsarzt der Pronova BKK
Auch andere Studien haben längst den Wert eines Kurzschlafes belegt. Der Osnabrücker Wirtschaftspsychologe Professor Uwe Kannings etwa hat sich wiederholt mit dem Thema befasst. Ein Aspekt seiner Forschung ist der Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Dazu schreibt er, dass Powernapping einen positiven Effekt habe – sowohl im Hinblick auf objektive Leistungsmaße als auch bezüglich der subjektiven Erholung: „Mitarbeiter, die zum Ende ihrer Mittagspause 20 Minuten lang dösen beziehungsweise schlafen durften, waren im weiteren Verlauf des Nachmittags schneller in der Bearbeitung von Konzentrationsaufgaben und machten dabei weniger Fehler. Zudem erlebten sie ihre Pause als erholsamer. Die Effekte hielten auch mehrere Stunden nach der Mittagspause noch an.“
Powernap im Büro gut fürs Image oder neue Bewerber
Während die medizinischen Vorteile des Nickerchens auf der Hand liegen, bleibt die Frage, ob und wie Unternehmen in den Betrieben mit dem Thema umgehen sollten. Einige Firmen haben Schlafräume im Office bereits als neues Benefiz für die Personalsuche entdeckt. Wie positiv sich ein Rückzugsort für Schlafwillige auf das Image und die Attraktivität einer Firma auswirkt, zeigte eine Umfrage einer Personalmarketing-Untersuchung: 200 Studierende bewerteten das Angebot eines Raumes für Powernapping positiver als andere Benefit-Angebote wie etwa ein hundefreundliches Büro, Weihnachtsgeld oder Firmenevents.
Powernap bei IKEA: Pionier in Europa
In Europa ist der schwedische Einrichtungskonzern IKEA das erste Unternehmen, was sich für einen besseren Schlaf der rund 18.000 Mitarbeiter in Deutschland einsetzt. Die Beschäftigten erhalten vom Konzern eigens entwickelte Schulungsmaßnahmen für einen gesunden Schlaf. 2019 wurden am Standort im niederrheinischen Kaarst die ersten Schlafkojen eingerichtet, in welche die Beschäftigten sich in ihren Mittagspausen für einen Powernap legen können. Dieses Konzept wurde mittlerweile an vielen IKEA-Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz umgesetzt.
Rechtliche Aspekte zum Nickerchen während der Arbeitszeit
In Deutschland gelten für den Kurzschlaf während der Arbeitszeit die gleichen rechtlichen Aspekte – ob im Homeoffice oder im Büro: Während der Arbeitszeit ist das Schläfchen grundsätzlich nicht erlaubt – wer es trotzdem tut, dem drohen Abmahnung und im Wiederholungsfall sogar die Kündigung. Mit der Begründung: „Dem Arbeitgeber ist nicht zuzumuten, dass der Mitarbeiter während der Arbeitszeit schläft, da dieser währenddessen nicht die Arbeitsleistung erbringt, für die er laut Arbeitsvertrag entlohnt wird. Nach einer vorausgegangenen Abmahnung folgt meist die fristlose Kündigung gemäß § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).“
In der Pause allerdings spricht nichts dagegen, denn die kann jeder Beschäftigte nach eigenem Gutdünken gestalten – und etwa mit Essen, Sport, einem Spaziergang, dem Friseurbesuch oder einem Nickerchen verbringen.
„Grundsätzlich kann ein Powernap im Homeoffice durchaus zulässig sein – allerdings nicht während der Arbeitszeit", so Nicole Mutschke, Fachanwältin für Arbeitsrecht.
Um möglichen Ärger zu vermeiden, sollten aber klare Absprachen und explizite Regelungen zur Erreichbarkeit gelten – gerade für den Powernap im Homeoffice.
Dazu verpflichtet, spezielle „Schlafräume“ in der Firma zur Verfügung zu stellen, ist der Arbeitgeber bisher nicht. Dafür ist das Anbieten eines Rückzugsortes für Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten Pflicht: Die technische Regel für Arbeitsstätten ASR A4.2 konkretisiert die aus der Arbeitsstättenverordnung resultierenden Anforderungen an Pausenräume und Pausenbereiche sowie an Einrichtungen zum Hinlegen und Ausruhen für schwangere Frauen und stillende Mütter.
Pausenräume/-bereiche sollen von den Beschäftigten innerhalb von fünf Minuten erreicht werden können und die Wegstrecke dorthin darf nicht mehr als 100 Meter betragen. Sie sollen eine Sichtverbindung nach außen haben. Außerdem müssen sie über möglichst ausreichend Tageslicht verfügen und ausreichend beleuchtet sein. Es müssen zudem Sitzgelegenheiten mit Rückenlehne und Tischen vorhanden sein.
Work-Life-Balance mit Powernap
Ein Nickerchen kann eine wunderbare Möglichkeit sein, um neue Energie zu tanken. Doch es erfordert Disziplin und ein gutes Zeitmanagement. Ein Powernap kann schnell zu einem ausgedehnten Mittagsschlaf werden, der die Produktivität beeinträchtigt. Zudem besteht die Gefahr, dass die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt.
Doch wie bei allem im Leben gilt: Auf die richtige Dosis kommt es an. Ein gut geplanter Powernap kann tatsächlich die Leistung steigern, wenn er richtig eingesetzt wird. Die Umfrage der Pronova BKK zeigt, dass viele Arbeitnehmer diese Balance bereits gefunden haben. Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch Arbeitgeber das Nickerchen als festen Bestandteil der Work-Life-Balance akzeptieren.