Panorama

Schifffahrt, Windenergie, Militär - auf der deutschen Nordsee geht der Platz aus

Weite Horizonte, unbegrenzte Möglichkeiten: So stellen sich viele die Nordsee vor. Doch die Realität zeigt ein überlastetes Meer – strikt reguliert. Verteilungskämpfe verschärfen sich.
30.03.2025 09:51
Lesezeit: 2 min

Schifffahrt: Flächenkonkurrenz nimmt zu

Selbst auf 28.539 Quadratkilometern wird es knapp. Wirtschaft, Militär und Naturschutz konkurrieren in der deutschen Nordsee. Genauer: in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), fast so groß wie Belgien. Die Zone beginnt etwa 22 Kilometer hinter der Küste. Zwar gehört sie nicht zum Hoheitsgebiet, doch Deutschland hat dort begrenzte Souveränitätsrechte.

Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg koordiniert die Nutzung. Überschneidungen sind unvermeidbar: Laut BSH sind 50 Prozent für Schifffahrt reserviert, 38 Prozent für Naturschutz und etwa 25 Prozent für Verteidigung. Hinzu kommen Windenergie, Leitungen, Fischerei, Forschung und Rohstoffabbau. Die AWZ bietet der Schifffahrt den meisten Platz – kein Wunder bei der dichten Befahrung. Reedereien nutzen Verkehrstrennungsgebiete, vergleichbar mit Schiffsautobahnen. Der Verband Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg bewertet dies bisher als funktionierend.

Doch Reedereien warnen vor künftigem Platzmangel für Routenerweiterungen. "Die zunehmende Nutzung durch diverse Akteure verschärft den Flächenwettbewerb", so der VDR. Der Verband fordert Mindestabstände zwischen Schifffahrtsrouten und Windparks.

Naturschutz: Mangel an effektivem Schutz

Die AWZ ist auch ökologisch bedeutsam: Schweinswale, Robben, Seevögel und Fischarten leben hier. Drei Meeresschutzgebiete existieren – Borkum Riffgrund, Doggerbank und Sylter Außenriff-Östliche Deutsche Bucht. Greenpeace-Expertin Daniela von Schaper kritisiert, dass Nutzungen wie Fischerei in Schutzgebieten erlaubt sind: "Echter Schutz sieht anders aus."

"Die Nordsee ist extrem belastet", sagt WWF-Expertin Carla Langsenkamp. Außerhalb von Schutzgebieten konkurrieren Nutzer stark. Langsenkamp warnt vor Ausweitung von Aktivitäten in sensiblen Zonen: "Die Natur darf nicht zur Randerscheinung werden."

Militär: Kein Spielraum für weitere Einschnitte

Die Marine nutzt die AWZ für Training, Übungen und Schießtests. Eine Sprecherin betont, dass bereits Zugeständnisse an die Windkraft gemacht wurden – etwa durch Bebauung des U-Boottauchgebiets Weser. "Die Sicherheitslage hat sich radikal verändert", erklärt die Sprecherin. Die "Zeitenwende" erfordere mehr Fokus auf Verteidigung. "Weitere Kompromisse sind ausgeschlossen. Ressourcen müssen sogar anderswo genutzt werden."

Windenergie: Geplante Flächenzuweisungen

Laut BSH sollen Windparks künftig rund 18 Prozent der AWZ einnehmen. Der Bundesverband Windenergie Offshore ist optimistisch, dass genug Flächen für den Ausbau bereitstehen. Aktuell sind über neun Gigawatt Windleistung installiert, bis 2045 sollen es 70 Gigawatt sein. Das BSH rechnet mit Flächen für bis zu 78 Gigawatt, da Anlagen zeitweise stillgelegt werden.

Fischerei: Existenzängste nehmen zu

Nur fünf Prozent der AWZ sind für Fischerei vorgesehen. Küstenfischer verlieren durch Windparks Fanggebiete – anders als in Nachbarländern ist Fischen dort verboten. Fischereiverbandspräsident Dirk Sander warnt: "Bei 70 Gigawatt wäre die Hälfte der Nordsee gesperrt."

Naturschutzgebiete verschärfen das Problem: In 10 Prozent ist Fischerei verboten, in 20 Prozent eingeschränkt. Schifffahrtsrouten und Baggerzonen sind tabu. Militärsperrungen bringen wenigstens Entschädigungen. "Die Perspektiven schwinden", sagt Sprecher Claus Ubl. Der Verband fordert Mitnutzung von Windparks. Beim Naturschutz solle Fischerei erlaubt bleiben, wo sie den Schutzzweck nicht gefährdet.

Raumfahrt: Temporäre Sperrungen nötig

Nicht im BSH-Bericht, aber relevant: Die German Offshore Spaceport Alliance plant Raketenstarts von einer mobilen Plattform. Vor jedem Start muss ein Sicherheitsradius frei bleiben, abhängig von Treibstoff und Mission.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs schließt über 24.000 Punkten: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der deutsche Aktienmarkt legt zum Wochenschluss spürbar zu und der Dax überschreitet eine wichtige Schwelle. Doch der Blick richtet sich...

DWN
Politik
Politik Putin in Indien: Strategische Unabhängigkeit in der neuen Weltordnung
05.12.2025

Indien empfängt den russischen Präsidenten mit allen protokollarischen Ehren und stellt damit gängige westliche Erwartungen an globale...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Handwerkskunst aus Deutschland: Pariser Luxus-Modehäuser vertrauen auf die Stickerei Müller
05.12.2025

Die Stickerei Müller aus Franken fertigt für große Modehäuser wie Balenciaga und Yves Saint Laurent. Auf schwierige Jahre nach der...

DWN
Politik
Politik Rentenpaket im Bundestag: Folgen für Rentner und Beitragszahler
05.12.2025

Der Bundestag hat das Rentenpaket mit knapper, aber eigener Mehrheit durchgesetzt und eine Koalitionskrise verhindert. Doch hinter den...