Es gibt viele mittelständische Unternehmen in Ostdeutschland, die nach der Wende eine Erfolgsgeschichte schrieben: Beim Textilveredler Otex in Flöha (Landkreis Mittelsachsen) laufen die Maschinen rund um die Uhr. Im Drei-Schicht-Betrieb fertigen mehr als 100 Mitarbeiter neun verschiedener Nationalitäten Garne. Die Rohfasern werden texturiert, gezwirnt, nach Kundenwunsch in allen möglichen Varianten gefärbt und auf Spulen gewickelt.
Bei den Kunden entstehen daraus medizinische Produkte, aber auch Bekleidungsstücke wie Strümpfe. Das Unternehmen, eine Tochter des Ostthüringer Bandagenherstellers Bauerfeind, plant laut Geschäftsführer Nico Teutsch weitere Investitionen.
Ostdeutsche Erfolgsgeschichte: Stützstrumpf als Modeartikel
Otex ist ein Unternehmen, das auch den Fachkräftemangel in der Branche vorbildlich bewältigt. Zum einen arbeite man eng mit Schulen zusammen und biete Praktika und Ferienjobs, sagt Geschäftsführer Teutsch, der sich zudem eine internationale Belegschaft zusammengestellt hat. Etliche seiner 107 Mitarbeiter kommen aus Kasachstan, Rumänien, Tunesien oder Venezuela. Vokabeln wie „Stützstrumpf“ oder „Lieferkettengesetz“ müssen sie nicht pauken. Um sie für die anspruchsvolle Arbeit anzulernen, kommen Video-Lehrgänge zum Einsatz.
Der Stützstrumpf ist ein Modeartikel geworden. Genauso wie Bandagen für Knie oder Ellbogen „trägt man den jetzt nicht mehr im Verborgenen“, sagt Nico Teutsch. Das Unternehmen, dessen Geschäftsführer er ist, trägt maßgeblich dazu bei, dass die medizinischen Hilfsmittel vorzeigbar geworden sind. Die knallbunten Farben bei Otex verbreiten gute Laune. Um die Situation der Branche insgesamt zu beschreiben, würde Jenz Otto indes vermutlich eher zu tiefschwarzen Fasern greifen.
Industrie in Ostdeutschland: Die Furcht vor dem Fadenriss
Jenz Otto ist Geschäftsführer des Verbands der Nord-Ostdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie (VTI), in dem exakt 101 Unternehmen mit gut 7000 Beschäftigten organisiert sind. Die Zahl der Firmen sinkt indes: 2023 habe es drei Insolvenzen gegeben, 2024 waren es sechs. „So etwas kannte ich aus den Jahren davor nicht“, sagt Otto und räumt unumwunden ein: „Die Prognose ist besorgniserregend.“
„Insolvenzen kannte ich aus den Jahren davor nicht.“ Jenz Otto, VTI-Geschäftsführer
Die Lage der ostdeutschen Textilindustrie insgesamt hat sich massiv eingetrübt. Allein im vergangenen Jahr habe sie etwa 10 Prozent an Umsatz verloren, sagt Otto. „Die Luft ist dünn für viele Unternehmen.“ Auch für dieses Jahr sei keine wirkliche Trendwende zu erwarten.
Technische Textilien statt Bekleidung
Die Region Sachsen-Thüringen ist den Angaben nach die viertgrößte Textilregion in Deutschland und zählt rund 14.500 Beschäftigte. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten hätten vergangenes Jahr sechs Unternehmen Insolvenz angemeldet. Auch werde Personal abgebaut und Produktion ins Ausland verlagert. Belasten würden die Unternehmen unter anderem hohe Energiepreise und Sozialabgaben sowie ein immenser Bürokratieaufwand.
Vor allem Bekleidungshersteller hätten zuletzt stark gelitten, erklärte Otto. Ihr Umsatzanteil im Verbandsgebiet sei von etwa acht Prozent vor zehn Jahren auf heute nur noch drei bis vier Prozent gesunken. Hauptsächlich verdienen die Unternehmen ihr Geld mit technischen Textilien. So habe sich die Branche zu einer klassischen Zulieferindustrie für andere Wirtschaftszweige wie Automobilbau, Gesundheitswesen sowie Möbel- und Bauindustrie entwickelt.
Sorge um Absatzrückgang in Auto-Industrie
Doch auch da haben sich die Aussichten getrübt. So werde angesichts der geringeren Autoproduktion bundesweit dauerhaft mit einem zweistelligen Absatzrückgang auch für Textilhersteller in diesem Bereich gerechnet, sagte Otto. Das betreffe etwa Produzenten von Autositzen. Er verwies beispielsweise auf die Situation des Volkswagenwerkes in Zwickau, wo das Unternehmen die Kapazitäten angesichts mangelnder Nachfrage deutlich herunterfahren will. Das treffe auch die Zulieferer in der Region massiv.
Forderung: Wertschöpfungskette erhalten
Aus Sicht der Branche müsse alles dafür getan werden, die vorhandene textile Wertschöpfungskette in Deutschland zu erhalten. Nur so könne sie ihre Flexibilität und Innovationskraft bewahren. „Billig können andere“, sagte Otex-Chef Teutsch. Europaweit gebe es nur noch zwei Unternehmen, die so aufgestellt seien wie seines. Stärken der hiesigen Branche seien Flexibilität, Kundennähe und ein hoher Innovations- und Servicegrad.
Gerade die Corona-Zeit habe gezeigt, wie wichtig diese Faktoren seien, ergänzte Verbandschef Thomas Lindner, der eine Strumpffabrik in Hohenstein-Ernstthal (Landkreis Zwickau) leitet. Damals waren internationale Lieferketten in vielen Bereichen ins Stocken geraten, was zu einem Mangel etwa an textilen Medizinprodukten wie speziellen Masken führte.
Die Textil- und Bekleidungsindustrie war in Ostdeutschland einst eine bestimmende Branche mit rund 300 000 Beschäftigten. Der Umbruch mit dem Ende der DDR und die zeitgleich einsetzende Globalisierung setzten ihr arg zu. T-Shirts und Blusen, Röcke und Hosen werden inzwischen vorwiegend in Asien genäht. In Ostdeutschland werden noch drei Prozent der Umsätze mit Bekleidung erwirtschaftet.