Wirtschaft

Lieferkettengesetz: Europaparlament stimmt Verschiebung der umstrittenen Richtlinien zu

Aus der Wirtschaft gab es große Kritik an dem zum Bürokratiemonster aufgeblasenen Lieferkettengesetz. Unternehmen sehen darin übertriebene Vorgaben, die ihnen große bürokratische Bürden auferlegten und die Wettbewerbsfähigkeit Europas minderten. Neue Regelungen ab 2028? Jetzt sind die EU-Staaten am Zug.
08.04.2025 05:57
Lesezeit: 3 min
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Unter massivem Druck aus der Wirtschaft will die Europäische Kommission die Anwendung des umstrittenen EU-Lieferkettengesetzes verschieben und die Auflagen für Unternehmen deutlich abschwächen. Damit bekommen Unternehmen mehr Zeit, sich vorzubereiten. Es stehen aber noch weitere intensive Verhandlungen bevor.

Europäisches Lieferkettengesetz kann verschoben werden – erste Regelungen ab 2028

Das Europaparlament hat den Weg für eine Verschiebung des europäischen Lieferkettengesetzes freigemacht. Eine breite Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Straßburg dafür, dass erste Regelungen des umstrittenen Vorhabens ein Jahr später in Kraft treten sollen. In einem Eilverfahren hat das Europäische Parlament der Verschiebung des EU-Lieferkettengesetzes zugestimmt: 531 Abgeordnete stimmten dafür, 69 dagegen und 17 enthielten sich, wie das EU-Parlament am Donnerstag nach der Abstimmung in Straßburg mitteilte.

Ursprünglich sollte das Gesetz im Juli 2027 in Kraft treten, nun wird die Umsetzung um ein Jahr auf Juli 2028 verschoben. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) wird ebenfalls verzögert. Beide Gesetze werden auch inhaltlich neu verhandelt.

Bürokratiepause? EU-Staaten müssen den Schritt noch abnicken

Die EU-Staaten müssen den Schritt nur noch abnicken, damit die Änderung im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden kann. Die Länder hatten sich vorab bereits für eine Verschiebung ausgesprochen, der Schritt gilt als Formsache. Die beiden Institutionen folgen einem Vorschlag der EU-Kommission, wonach erste Regeln 2028 gelten. Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn sprach von einer Bürokratiepause. Nun soll die Richtlinie aber auch inhaltlich geändert und vereinfacht werden, damit Unternehmen langfristig mit weniger Bürokratie belastet werden.

Die Europäische Kommission hatte im Februar weitreichende Änderungen an den EU-Umweltschutzvorschriften vorgeschlagen: Demnach sollten die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Tausende Unternehmen abgeschafft und ihre Sorgfaltspflicht um ein Jahr verschoben werden. Nach den Vorschlägen sollen nur noch Unternehmen mit mehr als tausend Beschäftigten verpflichtet sein, über ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte zu berichten. Derzeit gelten die Vorschriften für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten. Die Kommission erklärte, dass durch die Änderung 40.000 Unternehmen – oder 80 Prozent aller Unternehmen, für die die Richtlinie ursprünglich gelten sollte – ausgenommen würden.

Rotstift für Bürokratiemonster Lieferkettengesetz

Wie weitreichend diese Änderungen werden, steht noch nicht fest und dürfte intensiv diskutiert werden. Für die SPD ist etwa wichtig, dass die Haftung von Unternehmen nicht abgeschwächt wird. „Unsere Zustimmung ist ein riesiger Vertrauensvorschuss mit Blick auf die Verhandlungen zu den Sachfragen, die erst noch anstehen“, sagte der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, René Repasi. Seine Unions-Amtskollegen Daniel Caspary (CDU) und Angelika Niebler (CSU) teilten nach der Abstimmung mit: „Europa braucht den Mut zum Rotstift.“ Alle Auflagen, die nur Bürokratie und keinen Mehrwert bringen würden, müssten weg.

Unterstützung bei der Haftungsfrage bekommt Repasi von der Grünen-Europaabgeordneten Anna Cavazzini. „Ohne zivilrechtliche Haftung ist das EU-Lieferkettengesetz ausgeweidet“, teilte sie mit. Sie appellierte, „innerhalb der demokratischen Fraktionen“ einen Kompromiss zu finden.

Europäisches Lieferkettengesetz erst vergangenes Jahr beschlossen

Das europäische Lieferkettengesetz wurde erst vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Aus der Wirtschaft gab es aber große Kritik an dem Vorhaben. Unternehmen sehen darin übertriebene Vorgaben, die ihnen große bürokratische Bürden auferlegten und die Wettbewerbsfähigkeit Europas minderten.

Das Lieferkettengesetz in seiner bisherigen Form sah vor, dass Unternehmen auch für Erzeugnisse und Vorleistungsgüter aus dem Ausland die Verantwortung übernehmen, die sie nicht selbst herstellen. Dabei geht es sowohl um Produktionsverfahren als auch um Arbeitsbedingungen. Wenn sie bekannte Missstände nicht abstellen, drohen Bußgelder und Schadensersatz. Damit verbunden sind umfangreiche Berichtspflichten, damit die Anstrengungen der Unternehmen nachvollziehbar werden.

DIHK: „Hoffnungsschimmer, aber nicht mehr“

Deutsche Wirtschaftsverbände begrüßten zuletzt die Vorschläge, verlangten aber weitere Zusagen aus Brüssel. So sprach die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) von einem „Hoffnungsschimmer, aber nicht mehr“. Die mit dem Aufschub des Lieferkettengesetzes gewonnene Zeit müsse „dringend genutzt werden, um die Richtlinien praxistauglich zu gestalten“, forderte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Peter Leibinger.

Trotz ihrer Zusagen an Unternehmen will die Kommission am Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festhalten. Die EU werde bei ihren Reformen „ohne Kettensäge“ vorgehen, betonte Industriekommissar Stéphane Séjourné unter Anspielung auf US-Milliardär Elon Musk und den argentinischen Präsidenten Javier Milei, die eine Kettensäge als Symbol für einen radikalen Staatsabbau nutzen.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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