Wirtschaft

Lieferkettengesetz: Europaparlament stimmt Verschiebung der umstrittenen Richtlinien zu

Aus der Wirtschaft gab es große Kritik an dem zum Bürokratiemonster aufgeblasenen Lieferkettengesetz. Unternehmen sehen darin übertriebene Vorgaben, die ihnen große bürokratische Bürden auferlegten und die Wettbewerbsfähigkeit Europas minderten. Neue Regelungen ab 2028? Jetzt sind die EU-Staaten am Zug.
08.04.2025 05:57
Lesezeit: 3 min
Lieferkettengesetz: Europaparlament stimmt Verschiebung der umstrittenen Richtlinien zu
Umstrittenes Lieferkettengesetz: In einem Eilverfahren hat das Europäische Parlament in Straßburg der Verschiebung des EU-Lieferkettengesetzes zugestimmt. (Foto: dpa) Foto: Philipp von Ditfurth

Unter massivem Druck aus der Wirtschaft will die Europäische Kommission die Anwendung des umstrittenen EU-Lieferkettengesetzes verschieben und die Auflagen für Unternehmen deutlich abschwächen. Damit bekommen Unternehmen mehr Zeit, sich vorzubereiten. Es stehen aber noch weitere intensive Verhandlungen bevor.

Europäisches Lieferkettengesetz kann verschoben werden – erste Regelungen ab 2028

Das Europaparlament hat den Weg für eine Verschiebung des europäischen Lieferkettengesetzes freigemacht. Eine breite Mehrheit der Abgeordneten stimmte in Straßburg dafür, dass erste Regelungen des umstrittenen Vorhabens ein Jahr später in Kraft treten sollen. In einem Eilverfahren hat das Europäische Parlament der Verschiebung des EU-Lieferkettengesetzes zugestimmt: 531 Abgeordnete stimmten dafür, 69 dagegen und 17 enthielten sich, wie das EU-Parlament am Donnerstag nach der Abstimmung in Straßburg mitteilte.

Ursprünglich sollte das Gesetz im Juli 2027 in Kraft treten, nun wird die Umsetzung um ein Jahr auf Juli 2028 verschoben. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) wird ebenfalls verzögert. Beide Gesetze werden auch inhaltlich neu verhandelt.

Bürokratiepause? EU-Staaten müssen den Schritt noch abnicken

Die EU-Staaten müssen den Schritt nur noch abnicken, damit die Änderung im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden kann. Die Länder hatten sich vorab bereits für eine Verschiebung ausgesprochen, der Schritt gilt als Formsache. Die beiden Institutionen folgen einem Vorschlag der EU-Kommission, wonach erste Regeln 2028 gelten. Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn sprach von einer Bürokratiepause. Nun soll die Richtlinie aber auch inhaltlich geändert und vereinfacht werden, damit Unternehmen langfristig mit weniger Bürokratie belastet werden.

Die Europäische Kommission hatte im Februar weitreichende Änderungen an den EU-Umweltschutzvorschriften vorgeschlagen: Demnach sollten die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung für Tausende Unternehmen abgeschafft und ihre Sorgfaltspflicht um ein Jahr verschoben werden. Nach den Vorschlägen sollen nur noch Unternehmen mit mehr als tausend Beschäftigten verpflichtet sein, über ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte zu berichten. Derzeit gelten die Vorschriften für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten. Die Kommission erklärte, dass durch die Änderung 40.000 Unternehmen – oder 80 Prozent aller Unternehmen, für die die Richtlinie ursprünglich gelten sollte – ausgenommen würden.

Rotstift für Bürokratiemonster Lieferkettengesetz

Wie weitreichend diese Änderungen werden, steht noch nicht fest und dürfte intensiv diskutiert werden. Für die SPD ist etwa wichtig, dass die Haftung von Unternehmen nicht abgeschwächt wird. „Unsere Zustimmung ist ein riesiger Vertrauensvorschuss mit Blick auf die Verhandlungen zu den Sachfragen, die erst noch anstehen“, sagte der Vorsitzende der SPD-Abgeordneten im Europaparlament, René Repasi. Seine Unions-Amtskollegen Daniel Caspary (CDU) und Angelika Niebler (CSU) teilten nach der Abstimmung mit: „Europa braucht den Mut zum Rotstift.“ Alle Auflagen, die nur Bürokratie und keinen Mehrwert bringen würden, müssten weg.

Unterstützung bei der Haftungsfrage bekommt Repasi von der Grünen-Europaabgeordneten Anna Cavazzini. „Ohne zivilrechtliche Haftung ist das EU-Lieferkettengesetz ausgeweidet“, teilte sie mit. Sie appellierte, „innerhalb der demokratischen Fraktionen“ einen Kompromiss zu finden.

Europäisches Lieferkettengesetz erst vergangenes Jahr beschlossen

Das europäische Lieferkettengesetz wurde erst vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Aus der Wirtschaft gab es aber große Kritik an dem Vorhaben. Unternehmen sehen darin übertriebene Vorgaben, die ihnen große bürokratische Bürden auferlegten und die Wettbewerbsfähigkeit Europas minderten.

Das Lieferkettengesetz in seiner bisherigen Form sah vor, dass Unternehmen auch für Erzeugnisse und Vorleistungsgüter aus dem Ausland die Verantwortung übernehmen, die sie nicht selbst herstellen. Dabei geht es sowohl um Produktionsverfahren als auch um Arbeitsbedingungen. Wenn sie bekannte Missstände nicht abstellen, drohen Bußgelder und Schadensersatz. Damit verbunden sind umfangreiche Berichtspflichten, damit die Anstrengungen der Unternehmen nachvollziehbar werden.

DIHK: „Hoffnungsschimmer, aber nicht mehr“

Deutsche Wirtschaftsverbände begrüßten zuletzt die Vorschläge, verlangten aber weitere Zusagen aus Brüssel. So sprach die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) von einem „Hoffnungsschimmer, aber nicht mehr“. Die mit dem Aufschub des Lieferkettengesetzes gewonnene Zeit müsse „dringend genutzt werden, um die Richtlinien praxistauglich zu gestalten“, forderte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Peter Leibinger.

Trotz ihrer Zusagen an Unternehmen will die Kommission am Ziel der Klimaneutralität bis 2050 festhalten. Die EU werde bei ihren Reformen „ohne Kettensäge“ vorgehen, betonte Industriekommissar Stéphane Séjourné unter Anspielung auf US-Milliardär Elon Musk und den argentinischen Präsidenten Javier Milei, die eine Kettensäge als Symbol für einen radikalen Staatsabbau nutzen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

DWN
Technologie
Technologie Fahrerlose Taxis in Hessen: Chinesische Technik, deutscher Pilotbetrieb
01.06.2025

In Deutschland startet das erste Pilotprojekt für autonome Taxis: Ohne Fahrer, aber mit Überwachung aus der Ferne. Ein Modell mit...

DWN
Technologie
Technologie Goldrausch 2.0: Wie Google KI neu definiert – und Europa zuschaut
01.06.2025

Google I/O 2025 bietet einen tiefen Einblick in die nächste Ära der Künstlichen Intelligenz – von echten 3D-Videocalls bis hin zu...

DWN
Panorama
Panorama Nur noch fünf Minuten: Schlummertaste in Deutschland beliebt
01.06.2025

Mit der Schlummertaste kann man das Aufstehen verzögern. Ärzte raten davon ab, aber die Praxis ist gerade in Deutschland gängig....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Gesundheitscheck vor der Einstellung: Rechte und Grenzen für Bewerber
01.06.2025

Ein Vorstellungsgespräch ist erfolgreich verlaufen, doch bevor der Arbeitsvertrag unterschrieben wird, fordert der potenzielle Arbeitgeber...

DWN
Technologie
Technologie SaaS ist tot – die Zukunft gehört der KI, nicht Ihrer Plattform
01.06.2025

Niemand will die Nutzung Ihrer Plattform lernen – Unternehmen wollen Ergebnisse. Künstliche Intelligenz ersetzt Tools durch fertige...

DWN
Panorama
Panorama EU-Reform könnte Fluggastrechte deutlich schwächen
01.06.2025

Von Verspätungen betroffene Fluggäste haben in Zukunft möglicherweise deutlich seltener Anspruch auf Entschädigung. Die EU-Staaten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wettlauf um die Zukunft: Wie die USA ihre technologische Überlegenheit retten wollen
01.06.2025

China wächst schneller, kopiert besser und produziert billiger. Die USA versuchen, ihre Führungsrolle durch Exportverbote und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Freelancer: Unverzichtbare Stütze in flexiblen Arbeitswelten
01.06.2025

Trotz Homeoffice-Boom bleibt die Nachfrage nach Freelancern hoch. Warum Unternehmen auf Projektarbeiter setzen, wo die Vorteile liegen –...