Die estnische Crowdfunding-Plattform Estateguru, einst gefeiert als innovatives Bindeglied zwischen Kleinanlegern und Immobilienprojekten, steht in Deutschland massiv unter Druck. Rund 77 Millionen Euro an ausstehenden Krediten sind derzeit offen – das entspricht mehr als 74 Prozent des gesamten deutschen Kreditportfolios der Plattform. Bisher wurden gerade einmal 1,1 Millionen Euro im Jahr 2024 zurückgeholt.
Anlegergelder blockiert – Rückflüsse schleppend
Was als vielversprechende Investition in Immobilien begann, entwickelt sich für viele Investoren zum Albtraum. Einer der betroffenen Anleger berichtet gegenüber einem baltischen Nachrichtenportal, er habe im Jahr 2021 20.000 Euro investiert. Anfangs seien die Zinsen planmäßig gezahlt worden, doch bald begannen die ersten Verzögerungen – schließlich blieben die Zahlungen ganz aus.
Die Reaktion der Plattform: vage Aussagen, Verträge wurden verlängert, konkrete Rückzahlungen blieben aus. „Von diesem Moment an habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt“, sagt der Investor heute – anonym, aber desillusioniert.
Estateguru-Chef räumt Schwierigkeiten ein
Estateguru-CEO Mihkel Stamm gesteht mittlerweile öffentlich ein, dass der Rückforderungsprozess in Deutschland schleppend vorankommt. In einem Interview mit dem Portal Mano pinigai spricht er von mangelnder Kooperationsbereitschaft der Kreditnehmer, bürokratischen Hürden und langwierigen Gerichtsverfahren. Die letzte nennenswerte Rückzahlung in Höhe von 1,1 Millionen Euro erfolgte im Mai 2024.
„Alle anderen Fälle sind noch vor Gericht“, erklärt Stamm. Weitere Rückflüsse erwarte man frühestens im Mai oder Juni – der gesamte Rückgewinnungsprozess könne aber noch bis zu vier Jahre dauern.
Vertrauen in Mitleidenschaft gezogen
Die Plattform, die mit Versprechungen von sicheren Immobilieninvestments und transparentem Risikomanagement warb, verliert zunehmend das Vertrauen der Anleger – insbesondere in Deutschland. Einige Investoren berichten von eingeschränkter Kommunikation, fehlender Transparenz und dem Eindruck, dass die Verantwortlichen die Kontrolle über die Situation verloren haben.
Der große Test für die Crowdfunding-Branche
Der Fall Estateguru könnte zu einem Wendepunkt für die gesamte europäische Crowdinvesting-Landschaft werden. Der Sektor, lange Zeit unreguliert und von Euphorie getragen, sieht sich nun mit der harten Realität fauler Kredite und gescheiterter Projekte konfrontiert – und mit Investoren, die weder ihr Geld noch klare Antworten bekommen.
Was einst als Demokratisierung des Immobilienmarktes verkauft wurde, entpuppt sich im Nachhinein möglicherweise als systemische Schwäche des Modells: fehlende Kontrolle, zu viel Optimismus – und zu wenig juristische Schlagkraft bei Zahlungsausfällen.
Bleibt am Ende nur die Hoffnung, dass wenigstens ein Teil der Millionen in den kommenden Jahren zurückfließt. Doch schon jetzt steht fest: Das Vertrauen ist schwer beschädigt. Und es wird dauern, bis Anleger sich wieder an den Markt wagen.