Freihandel mit Indien und den USA – Symbolik statt Substanz
Die jüngsten Handelsabkommen mit Indien und den Vereinigten Staaten wurden in London als Erfolg verkauft. In der Realität aber sind ihre wirtschaftlichen Effekte marginal. Analysten wie Daniel Kral von Oxford Economics erwarten einen Anstieg des britischen BIP um gerade einmal 0,1 bis 0,2 Prozent – ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts einer seit Jahren stagnierenden Wirtschaft, einer rekordhohen Inflation und einer historisch schwachen Investitionsquote. Der Deal mit den USA dient vor allem dazu, Trump-Ära-Zölle zu entschärfen, nicht jedoch zur echten Marktöffnung.
Die EU bleibt der entscheidende Faktor
Wirtschaftlich wie geopolitisch bleibt die EU der wichtigste Partner Großbritanniens – auch nach dem Brexit. Über 50 Prozent des britischen Außenhandels laufen über den Kanal. Die neue Regierung weiß das – und handelt entsprechend. Bereits am 19. Mai könnte es auf dem Londoner EU-Gipfel zu einem umfassenden Kooperationsabkommen kommen. Offiziell wird über Sicherheit und Verteidigung gesprochen. Doch hinter verschlossenen Türen geht es um weit mehr: Emissionshandel, Energieintegration, Agrarhandel, Freizügigkeit für junge Menschen.
Grenzkontrollen, Emissionshandel, Fischerei: Brüssels Bedingungen setzen sich durch
Dass Brüssel den Ton angibt, ist unverkennbar. Großbritannien zeigt sich bereit, EU-Fischern auch nach 2026 Zugang zu seinen Gewässern zu gewähren – ein sensibles Thema im Vereinigten Königreich. Im Gegenzug winkt britischen Fischern eine erleichterte Ausfuhr nach Europa. Auch der Beitritt zum europäischen Emissionshandel wird ernsthaft diskutiert. Damit könnte London die strengen Brüsseler CO₂-Grenzausgleichsmechanismen umgehen – ein Schritt, der wirtschaftlich attraktiv, politisch aber heikel ist.
Der neue Kurs: technokratisch, leise – aber eindeutig europäisch
Analysten wie Joel Reland vom Think Tank UK in a Changing Europe sprechen offen von einem Kurswechsel. Die Regierung wählt bewusst eine Strategie der „Langeweile“: komplexe Verhandlungen, keine Schlagzeilen, keine Polarisierung. Doch gerade das macht die Entwicklung gefährlich. Denn während in der Öffentlichkeit weiter das Narrativ der „post-Brexit-Freiheit“ gepflegt wird, vollzieht sich im Hintergrund die faktische Rückbindung an die EU – ohne demokratische Debatte, ohne öffentliche Kontrolle.
Fazit: Großbritannien – zurück im EU-Schattenreich?
Was sich derzeit zwischen London und Brüssel abspielt, ist mehr als bloße Kooperation. Es ist ein schleichender Wiedereintritt in zentrale europäische Strukturen – allerdings ohne Mitspracherecht. Großbritannien zahlt den Preis des Brexits: geringere Souveränität bei gleichzeitig wachsender Abhängigkeit. Premierminister Starmer hofft, die alten Wunden mit technokratischen Pflastern zu schließen. Doch ob dieser leise EU-Kurs Bestand hat, wenn politische Stürme zurückkehren, bleibt offen.
Ist das Vereinigte Königreich auf dem Weg zurück nach Europa – oder verliert es sich endgültig zwischen den Fronten?