Technologie

Schwedisches Start-up stellt KI-Giganten in Frage

Ein schwedisches Start-up stellt das gängige KI-Paradigma auf den Kopf: Maschinen sollen nicht mehr mit riesigen Datensätzen trainiert, sondern wie Menschen zum Lernen befähigt werden – in Echtzeit und aus der Umwelt. Eine technologische Kampfansage an die ganz Großen der Branche.
30.05.2025 07:34
Lesezeit: 3 min
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Schwedisches Deeptech-Unternehmen plant radikalen Kurswechsel in der KI

Mit Wurzeln in der neurowissenschaftlichen Spitzenforschung will das schwedische Deeptech-Start-up Intuicell die KI-Welt revolutionieren. Ziel ist es, Maschinen zu schaffen, die in Echtzeit lernen – so wie Menschen und Tiere. „Wir betrachten Intelligenz als Ausgangspunkt, nicht als Ziel“, sagt CEO Viktor Luthman.

„Wir haben die erste Software entwickelt, die Maschinen – ob Roboter oder digitale Systeme – ermöglicht, auf dieselbe Weise zu lernen wie biologische Wesen“, erklärt Luthman. Intuicell ist eine Ausgründung der Universität Lund, gegründet auf Basis von 35 Jahren Forschung des Neurophysiologen und Professors Henrik Jörntell.

Zu den frühen Investoren gehört der Serienunternehmer Christer Fåhraeus. Mittlerweile hat das Unternehmen Kapital von Vinnova, der EU, Navigare Ventures (Wallenberg-Gruppe) sowie dem norwegischen Snö Ventures erhalten – letzteres unterstützt durch Tech-Investor Peter Thiel. Derzeit bereitet Intuicell eine größere Seed-Runde vor, um vom internen Showcase zu industriellen Pilotprojekten mit zahlenden Kunden überzugehen.

Lernen in der Realität – statt Training mit Massendaten

Im Zentrum der Technologie steht eine neue Softwarearchitektur, die Maschinen befähigt, direkt aus der Interaktion mit ihrer Umwelt zu lernen. Das bedeutet einen grundsätzlichen Bruch mit dem etablierten KI-Paradigma, bei dem Modelle mit riesigen Datensätzen trainiert und bei jeder Veränderung manuell nachjustiert werden müssen.

Zur Veranschaulichung dient Roboterhündin Luna, die von Intuicell mit einer „digitalen Wirbelsäule“ ausgestattet wurde – einem reflexartigen System, das ihr erlaubt, ihren Körper zu kontrollieren und sensorische Reize zu interpretieren. „Die Roboterhündin lernt zu lernen“, sagt Luthman. „Wir haben gezeigt, dass ein synthetisches Wesen autonom lernen kann, wie sein Körper funktioniert und wie es seine Probleme durch Interaktion mit der Umwelt reduziert.“

Der nächste Entwicklungsschritt ist eine „digitale Großhirnrinde“, die Luna eigene Motivation und Zielverständnis geben soll.

Intuicell positioniert sich gegen das KI-Establishment

Laut Luthman ist Intuicell derzeit das einzige Unternehmen, das den Grundlagenrahmen des maschinellen Lernens neu aufsetzt – nicht durch Nachbau des Gehirns, sondern inspiriert durch die biologischen Mechanismen des Lernens. „Wir wollen keine Kopie des Gehirns bauen. Wir beginnen bei den Prinzipien, wie Lernen in der realen Welt entsteht.“

Er kritisiert die am weitesten verbreitete Methode – Backpropagation, ein neuronales Lernverfahren aus den 1950er Jahren – als überholt. Auch hochentwickelte Systeme von OpenAI oder DeepMind seien darauf gebaut. „Man kann diese Systeme zu guten Leistungen bringen, indem man sie mit allen verfügbaren Daten füttert – aber das schafft keine echte Intelligenz. Sobald sie mit etwas konfrontiert werden, das sie nicht kennen, versagen sie“, sagt Luthman.

Intuicell sieht Anwendungsfelder sowohl im digitalen als auch physischen Bereich: humanoide Roboter, mobile Roboter für Baustellen, Krankenhauslogistik, Rasenroboter. Auch ein Proof-of-Concept mit ABB zur Anomalieerkennung bei Motoren wurde bereits durchgeführt – ohne Vortraining und ohne manuelle Konfiguration. Das System erlernte eigenständig, was im Betrieb „normal“ ist.

„Wir wollen das Nervensystem liefern und mit den besten Partnern zusammenarbeiten, um unsere künstliche 'Hirnstruktur' dort einzusetzen, wo sie den größten Nutzen schafft.“

Luthman betont, dass die Roboterhardware inzwischen reif sei – es mangele aber an einer funktionierenden Intelligenz, die deren volles Potenzial erschließen könne. „Was wir heute sehen, ist entweder vorprogrammiert oder auf risikoarme Umgebungen beschränkt. Genau dort wollen wir ansetzen.“

Er ist überzeugt, dass Systeme der Zukunft in der Lage sein müssen, kontinuierlich in Echtzeit zu lernen, um in komplexen, realen Umgebungen bestehen zu können. „Systeme, die nicht lernen können, sind nicht überlebensfähig. Sie sind anfällig, teuer und zeitaufwendig. Wir wollen beweisen, dass es besser geht.“

Bedeutung für Deutschland: Neue Denkmodelle für KI-Strategie

Für Deutschland und Europa wirft Intuicells Ansatz grundsätzliche Fragen auf. Während viele Forschungsgelder in die Verfeinerung bestehender Modelle fließen, zeigt das schwedische Unternehmen, dass es Alternativen zur heutigen datenintensiven, zentralisierten KI-Logik geben kann. Auch für Deutschlands Industrie – etwa im Maschinenbau, der Robotik und der Fertigung – ist Echtzeitlernen in dynamischen Umgebungen von hoher Relevanz.

Derzeit dominiert in Europa eher die Strategie, vorhandene US-Modelle zu adaptieren oder eigene Varianten zu trainieren. Doch der Ansatz von Intuicell könnte langfristig den Grundstein für eine europäische KI-Denkweise legen – jenseits der bloßen Rechenleistung.

Fazit: KI neu gedacht – und biologisch inspiriert

Intuicell stellt den aktuellen Stand der KI infrage – nicht aus ideologischen, sondern aus funktionalen Gründen. Die schwedischen Entwickler setzen auf biologische Prinzipien, um lernfähige Maschinen zu schaffen, die sich ohne Trainingsdatenflut an reale Situationen anpassen können. Sollte sich dieser Ansatz bewähren, wäre es nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der globalen KI-Forschung – mit enormem Potenzial für industrielle Anwendungen.

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