Wirtschaft

Nasdaq-Chefökonom: Kapitalmärkte brauchen starke Rentensysteme

Europas Börsen bleiben schwach – nicht wegen fehlender Innovation, sondern wegen fehlender Renten. Ohne Anlegerkapital wird es keine Kapitalmarktunion geben.
10.06.2025 07:17
Lesezeit: 3 min
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Nasdaq-Chefökonom: Kapitalmärkte brauchen starke Rentensysteme
Ohne starke Rentensysteme kein Börsenboom. (Foto: dpa | Alicia Windzio) Foto: Alicia Windzio

Handelskonflikte und Prognoseunsicherheit

Phil Mackintosh, Chefökonom und Senior Vice President von Nasdaq, betont im Gespräch mit Verslo Žinios, dass Länder, die ihre Kapitalmärkte nachhaltig entwickeln wollen, ein solides Fundament brauchen – und dieses Fundament sei ein starkes Rentensystem. Nur so könne eine stabile Nachfrage nach Aktien entstehen, die wiederum Unternehmen anzieht, die auf Finanzierung über die Börse setzen.



Viele aktuelle Wirtschaftsprognosen hängen vom Ausgang des US-Zollkonflikts ab. Unternehmen geben inzwischen unterschiedliche Szenarien für den Fall einer Rezession oder deren Ausbleiben ab. Auch Ökonomen sind uneins: Drohen neue Zölle oder sinken sie wieder?



Die Bandbreite möglicher Entwicklungen ist groß – und das verunsichert Unternehmen, die Investitionen verschieben, solange nicht klar ist, wie sich die Handelsbedingungen entwickeln. Das wiederum bremst das Wirtschaftswachstum – obwohl harte Daten bislang keine Abschwächung der US-Konjunktur erkennen lassen.

Weiche und harte Daten im Widerspruch

Umfragen (weiche Daten) zeigen teils panische Stimmung – bei CEOs, Arbeitsmarkterwartungen, Konsumklima. Doch diese spiegeln sich nicht im realen Konsumverhalten wider. „Die Menschen sagen das eine, verhalten sich aber anders“, so Mackintosh. Die Modelle, mit denen Analysten arbeiten, geben mittlere Zölle von 14 % aus – zehn Prozentpunkte mehr als vor dem Konflikt. Je nach Verhandlungsverlauf könnten sie sinken oder weiter steigen.

Handelsunsicherheit belastet Unternehmensplanung

Mackintosh warnt: Unternehmen finden es zunehmend schwierig, unter solchen Bedingungen ihre Jahresplanung aufzustellen. Viele senken bereits ihre Gewinnerwartungen. Zwar seien die Q1-Ergebnisse solide, aber die Unsicherheit wächst.

Aktienmärkte von realer Wirtschaft entkoppelt

Ironischerweise liefen die US-Börsen 2023 gut, obwohl Wirtschaft und Löhne schwächelten. Der Treiber war nicht die Konjunktur, sondern das Gewinnwachstum einiger weniger Tech-Konzerne, die massiv in Künstliche Intelligenz (KI) und Halbleiter investierten – die sogenannte „glorreiche Sieben“. 2024 jedoch verlangsamt sich das KI-Investment, und die Auswirkungen von Handelskonflikten werden spürbarer.

US-Schuldenproblem verschärft sich

Viele Unternehmensvertreter äußern laut Mackintosh deutlich mehr Sorge über das wachsende US-Haushaltsdefizit als Politik oder Medien. Die Zinslast sei mittlerweile die dritt- oder vierthöchste Ausgabenposition im Bundeshaushalt. Zölle allein könnten das Defizit nicht ausgleichen.

Kapitalflucht aus den USA?

Die Schlagzeile „Sell America First“ sei übertrieben. Es gebe zwar Abflüsse aus US-Aktien, aber kein massives Kapitalflucht-Szenario. Vielmehr werde US-Kapital in europäische Aktien umgeschichtet, die sich seit Februar besser entwickeln.

Konsum ist Amerikas Wachstumsmotor

Der entscheidende Unterschied zu Europa: Der US-Konsum erholte sich nach der Pandemie viel schneller. Dieser Konsumschub erklärt weitgehend, warum das US-BIP deutlich stärker wächst als das europäische.

Mackintosh warnt: Sollte es zu Entlassungen kommen, könnte dies den Konsum dämpfen – und damit das Rückgrat der US-Wirtschaft gefährden. Noch sei der Arbeitsmarkt allerdings stabil.

Europa als Profiteur des US-Handelskonflikts?

Möglicherweise. Europas Börsen entwickeln sich aktuell besser als die der USA. Sollte sich Europa neue Absatzmärkte erschließen, könnte das wie im Verteidigungssektor Investitionen, Know-how und hochwertige Arbeitsplätze generieren. Auch die USA könnten durch Reindustrialisierung mittelfristig profitieren – etwa durch neue Fabriken, Forschung und steigende Löhne.

Kapitalmarktunion braucht starke Pensionsfonds

Europa diskutiert über die Vertiefung der Kapitalmarktunion, doch laut Mackintosh fehlen strukturelle Voraussetzungen. Die größte Schwäche: Viele Länder verfügen über keine ausgebaute Rentensysteme, die als institutionelle Anleger auftreten. Märkte mit viel Liquidität – etwa Australien, die USA oder Skandinavien – besitzen starke Pensionsfonds. Diese erzeugen eine beständige Nachfrage nach Aktien und motivieren Unternehmen, Kapital an der Börse aufzunehmen.

In vielen Teilen Europas fehlen diese Ankerinvestoren. Auch die komplexe Steuerstruktur innerhalb Europas bremst grenzüberschreitenden Handel und erschwert Privatanlegern den Zugang zu Aktienmärkten. Das System sei nicht nur fragmentiert, sondern auch teuer – allein schon durch Clearing- und Abwicklungskosten.

Skandinavien als Vorbild

Mackintosh nennt die nordischen Länder eine Erfolgsgeschichte. Sie zogen früh internationale Investitionen an – dank ausgereifter Pensionssysteme und stabiler Marktinfrastruktur. In anderen europäischen Ländern seien solche Strukturen noch immer unterentwickelt.

Aufbau braucht Jahrzehnte

Ein leistungsfähiges Rentensystem lasse sich nicht über Nacht errichten. Selbst wenn man heute beginne, 5–10 % des Einkommens steuerbegünstigt in Fonds umzuleiten, würde es Jahrzehnte dauern, bis daraus eine Anlagebasis erwächst, die Börsenfinanzierungen ermöglicht. „Zuerst braucht man Kapital von Investoren. Erst dann kommen die Unternehmen.“

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Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

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