Hälfte der Bevölkerung gegen den Euro
Ministerpräsident Rosen Scheljaskow von der Mitte-rechts-Partei GERB betrachtet den Beitritt zur Eurozone als eines der zentralen Ziele seiner Regierung. Die gemeinsame Währung solle die Stabilität des Landes stärken und seine wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen, so Scheljaskow laut dem Nachrichtenportal Puls Biznesu.
Gleichzeitig nehmen in Bulgarien die Proteste zu, angeheizt von nationalistisch orientierten Parteien, die vor steigenden Preisen und dem Verlust wirtschaftlicher Souveränität warnen. Laut einer EU-Umfrage lehnt die Hälfte der bulgarischen Bevölkerung die Einführung des Euro ab.
Auch Ökonomen und Fachleute verweisen auf mögliche Risiken. Eines der Hauptprobleme sei die Gefahr von Inflation während der Umstellungsphase, insbesondere durch Preisrundungen bei der Umrechnung.
„Die größte Sorge ist der Preisanstieg beim Übergang – viele Bulgaren fürchten um ihre Kaufkraft, vor allem in den ärmeren ländlichen Regionen“, erklärte Valentin Tataru, Bulgarien-Experte bei ING. Allerdings sei der bulgarische Lew schon seit Langem an den Euro gekoppelt – „ein inflatorischer Schock dürfte daher moderat ausfallen“.
Ein weiteres Problem ist der symbolische Verlust an Unabhängigkeit – der Verzicht auf die nationale Währung wird von Teilen der Bevölkerung als Preisgabe staatlicher Souveränität empfunden.
„Die Einführung des Euro kann von manchen als Einschränkung der Kontrolle über die Geldpolitik gewertet werden“, so Andrius Tursa, Mittel- und Osteuropa-Analyst beim Beratungsunternehmen Teneo. Er verweist darauf, dass sich Euroländer den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank unterordnen müssen – was bedeutet, dass die bulgarische Zentralbank künftig keine eigenständige Zinspolitik mehr betreiben könnte.
Euro als Chance: Handel, Vertrauen, Stabilität
Gleichzeitig nennt Tursa auch die Vorteile: Das Vertrauen in die EZB und der Wegfall von Wechselkursrisiken führten üblicherweise zu niedrigeren Zinssätzen, was die Kreditaufnahme erleichtere.
Auch Jasmin Groeschl, Chefökonomin bei Allianz, sieht in der Euro-Mitgliedschaft und der EZB-Aufsicht eine Chance auf mehr wirtschaftliche Stabilität und Wachstumsdynamik.
Die tiefere finanzielle Integration könne sowohl die Attraktivität für ausländische Investoren erhöhen als auch das BIP-Wachstum ankurbeln. „Eine stärkere Einbindung in den europäischen Finanzraum würde das bulgarische Finanzsystem stabilisieren und die monetäre Resilienz stärken“, so Groeschl.
Die Euro-Einführung würde zudem die Anbindung Bulgariens an die EU vertiefen – mit positiven Auswirkungen auf den politischen Einfluss und die internationale Glaubwürdigkeit des Landes. Schlüsselbereiche wie Außenhandel und Tourismus könnten ebenfalls profitieren.
Die wichtigsten Handelspartner Bulgariens befinden sich ohnehin in der EU – laut nationaler Statistikbehörde ging 2023 der Großteil der Exporte in EU-Staaten. Die bulgarische Wirtschaft basiert vor allem auf Maschinenbau, Transportausrüstung, Industrieprodukten und Nahrungsmitteln.
Tourismus ist ein bedeutender Einnahmefaktor: 2024 besuchten über 13 Millionen ausländische Gäste das Land – sowohl im Sommer als auch im Winter.
„Der Euro wird Handel und Tourismus innerhalb der Eurozone erleichtern, da Kosten und bürokratische Hürden beim Währungstausch entfallen“, so Tursa. Gerade mit Blick auf Bulgariens enge Verflechtung mit den Lieferketten der EU sei das ein entscheidender Aspekt.
Stabilität gegen Souveränität – eine politische Gratwanderung
Doch die Einführung des Euro birgt auch politische Risiken. „Die Ablehnung in der Bevölkerung hat bereits zu Protesten geführt und könnte mittelfristig populistischen und europaskeptischen Kräften Auftrieb verleihen“, warnt Tursa.
Ein Teil der Unzufriedenheit wurde zudem durch gezielte Desinformationskampagnen im In- und Ausland geschürt – mit der Behauptung, der Euro würde Armut und Inflation verstärken.
Präsident Rumen Radew versuchte, diese Ängste zu instrumentalisieren, indem er ein Referendum zur Euro-Frage ins Spiel brachte. Die proeuropäische Mehrheit im Parlament wies den Vorschlag jedoch zurück und warf Radew vor, Moskau zu dienen und den Euro-Beitritt sabotieren zu wollen.
Für Jasmin Groeschl ist klar: Trotz berechtigter Sorgen überwiegen langfristig die Vorteile. „Es ist ein wirtschaftlicher Kompromiss: weniger Unabhängigkeit im Gegenzug für stärkere Integration.“
Bulgarien werde zwar fiskalpolitische Disziplin einhalten und nationale Spielräume aufgeben müssen – gewinne aber an wirtschaftlicher Stabilität, geringeren Transaktionskosten und engerer Anbindung an die Märkte der Europäischen Union.
Inflation bremste Beitritt – Entscheidung naht
EZB und EU-Kommission bescheinigen Bulgarien inzwischen die Erfüllung aller wirtschaftlichen Kriterien für den Beitritt: darunter Staatsverschuldung, Haushaltsdefizit, Preisstabilität, Zinsniveau und Währungsbindung. Die finale Entscheidung liegt nun bei den Finanzministern der Eurogruppe – sie wollen am 8. Juli tagen.
Seit dem EU-Beitritt 2007 strebt Bulgarien die Einführung des Euro an. Doch politische Instabilität und hohe Inflationsraten bremsten den Prozess immer wieder. Auch 2024 verzögerte sich der Zeitplan, da die Inflation – besonders infolge der Energiekrise nach Russlands Angriff auf die Ukraine – lange nicht unter Kontrolle war.
Erst im April fiel die jährliche Inflationsrate (CPI) auf 3,5 Prozent – und damit nahe an das EU-Ziel von 3 Prozent. Damit ist der Weg frei für die letzte Etappe in Richtung Eurozone.