Panorama

Versandapotheken-Urteil: BGH kippt deutsche Preisbindung für EU-Versender

Medikamente kosten überall in Deutschland das Gleiche – meistens jedenfalls. Denn die gesetzliche Preisbindung regelt den Verkauf verschreibungspflichtiger Arzneien streng. Doch ausländische Online-Apotheken hebeln diese Regeln zunehmend aus. Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden: Versandapotheken aus dem EU-Ausland dürfen deutschen Kunden wieder Boni auf verschreibungspflichtige Medikamente gewähren.
17.07.2025 13:54
Lesezeit: 4 min

EuGH-Urteil: Versandapotheke durfte Bonusprämien gewähren

Eine im EU-Ausland ansässige Versandapotheke durfte Kunden in Deutschland vor mehr als zehn Jahren Bonusprämien auf rezeptpflichtige Medikamente anbieten. Die bis Ende 2020 hierzulande geltenden Vorgaben zur Arzneimittelpreisbindung seien für Versandapotheken mit Sitz in anderen EU-Ländern nicht anzuwenden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Sie hätten gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoßen. (Az. I ZR 74/24)

DocMorris kündigt neue Boni an

Das Unternehmen DocMorris, dessen inzwischen integrierte Tochter Tanimis Pharma in dem Fall betroffen war, kündigte an, aufgrund des Urteils seinen Kunden ab sofort wieder einen finanziellen Bonus zu gewähren. "Wir haben unseren Kunden stets Rezept-Boni zu unseren Lasten gewährt und werden dies nun auch wieder tun", sagte Konzernchef Walter Hess laut Mitteilung. Die durchschnittliche Zuzahlung von Patienten pro Packung habe sich seit 2019 um zehn Prozent auf 3,30 Euro erhöht. "Der Bonus reduziert diese Belastung."

BGH folgt Maßgaben des Europäischen Gerichtshofs

Das Urteil des ersten Zivilsenats bezieht sich konkret auf Regelungen des Arzneimittelgesetzes in einer bis vierzehnten Dezember 2020 gültigen Fassung. Der BGH folgt dabei den Maßgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hatte für Maßnahmen, die wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung wirken, Hürden aufgestellt. Eine Neuregelung im Sozialgesetzbuch beziehe sich nur noch auf gesetzlich Versicherte, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Koch.

Apothekerverbände reagieren mit Kritik

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) bedauerte das Urteil. "Vorbehaltlich der Prüfung der schriftlichen Entscheidungsgründe gehen wir aber davon aus, dass es bei der durch das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz eingeführten sozialrechtlichen Preisbindung bleibt", teilte ABDA-Präsident Thomas Preis mit. "Im Fünften Sozialgesetzbuch ist die Preisbindung gesetzlich festgelegt." Sollte die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Zweifel gezogen werden, wäre die Politik gefordert, schnellstmöglich Lösungen mit uns zu erarbeiten.

Gerichte bislang auf Seite der bayerischen Apotheker

Die Versandapotheke Tanimis Pharma mit Sitz in den Niederlanden hatte 2012 Kunden den Angaben nach beim Einlösen eines Rezepts einen Bonus von drei Euro pro Medikament bei höchstens neun Euro pro Rezept versprochen. Prämien gab es auch für Menschen, die per Formular oder Telefon an einem Arzneimittelcheck teilnahmen.

Der Bayerische Apothekerverband sah darin einen Verstoß gegen Wettbewerbsrecht und die Arzneimittelpreisbindung – und klagte. In den Vorinstanzen in München hatte er damit noch Erfolg.

Preisbindung bleibt strittig

Für verschreibungspflichtige Medikamente ist die Preisbildung – anders als bei rezeptfreien – gesetzlich geregelt. Der Grundgedanke: Die betroffenen Arzneimittel sollen in jeder Apotheke zum gleichen Preis angeboten werden. Das solle die Apotheken vor ruinösem Wettbewerb und die Patienten vor Übervorteilung schützen, erklären die Apothekerverbände.

Umstritten war seit Jahren, ob die Preisbindung auch für Versandapotheken im EU-Ausland gilt – oder ob das gegen den freien Warenverkehr der EU verstößt. Das Oberlandesgericht (OLG) München hatte entschieden, die Preisbindung sei nicht unionsrechtswidrig. Der Gesetzgeber habe davon ausgehen können, dass die Regelung ein geeignetes Mittel sei, um die Arzneimittelversorgung in Deutschland zu sichern. Das OLG gab der Klage des Verbands daher statt.

Der BGH verwies jedoch auf die Maßstäbe des EuGH. Der Kläger habe keine ausreichenden Daten oder andere "harte Fakten" vorgelegt, um zu belegen, dass ohne die Arzneimittelpreisbindung eine flächendeckende Arzneimittelversorgung nicht aufrechterhalten werden könne und deshalb die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sei, erläuterte Richter Koch.

Da der Senat im Ergebnis auf Basis der alten Regelung also keinen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sah, kommt es dem Urteil zufolge nicht darauf an, ob die gewährten Boni gegen eine inzwischen in Kraft getretene Neuregelung im Sozialgesetzbuch verstoßen. Es fehle an der Wiederholungsgefahr, sagte Koch. Schon deshalb sei die Klage abzuweisen.

Warum Medikamente kosten, was sie kosten

Hinter den Preisen, die Verbraucher in der Apotheke für Schmerzmittel, Antibiotika oder Nasenspray zahlen, stecken oft komplexe Prozesse der Preisbildung. Was schreibt das Gesetz vor?

Einheitliche Preise in der Apotheke – mit Ausnahmen

Ob auf dem Land, in der Großstadt oder auf einer Insel: Wer mit einem Rezept vom Arzt in der Apotheke vorstellig wird, kann sich eigentlich sicher sein, dass das Medikament überall in Deutschland gleich viel kostet. Dafür sorgt die gesetzliche Arzneimittelpreisbindung. Doch ausländische Online-Apotheken stellen dieses Prinzip zunehmend auf die Probe. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat daher nun zentrale Rechtsfragen geprüft. Heute steht eine Entscheidung an.

Wann gilt die gesetzliche Preisbindung?

Für Medikamente, die man ohne Rezept in der Apotheke erwerben kann, existiert keine gesetzliche Preisbindung. Jede Apotheke bestimmt also selbst, wie viel sie dafür verlangt. Für verschreibungspflichtige Medikamente sind die Preise hingegen gesetzlich geregelt – über die Arzneimittelpreisverordnung. Der Grundgedanke dahinter ist, dass Medikamente in jeder Apotheke zum gleichen Preis angeboten werden. Das soll die Apotheken vor ruinösem Wettbewerb und die vulnerablen Patienten vor Übervorteilung schützen.

Wie wird der Preis für rezeptpflichtige Medikamente festgelegt?

Zunächst definiert das Pharmaunternehmen den Verkaufspreis für sein Arzneimittel selbst. Der Großhandel und die Apotheken schlagen darauf Zuschläge auf – diese sind gesetzlich vorgeschrieben. Der Großhandel darf maximal 3,15 Prozent plus einen Festzuschlag von 73 Cent je Packung, höchstens jedoch 37,80 Euro aufschlagen. Die Apotheken erheben darauf wiederum einen Zuschlag von drei Prozent plus einen Fixbetrag von 8,35 Euro je Packung. Hinzu kommen 21 Cent für die Sicherstellung des Notdienstes sowie 20 Cent für die Förderung zusätzlicher pharmazeutischer Leistungen.

Welche Regeln gelten für Geschenke und Gutscheine?

Zur Arzneimittelpreisbindung gehört grundsätzlich auch, dass Apotheken beim Verkauf von rezeptpflichtigen Medikamenten keine Werbegeschenke oder Gutscheine für den nächsten Einkauf beilegen dürfen. Im Juni 2019 entschied der BGH, dass selbst Mini-Geschenke wie Taschentücher oder Traubenzucker von der Apotheke nicht erlaubt sind. Zuvor war in der Rechtsprechung noch Kleinigkeiten bis zu einem Wert von einem Euro erlaubt gewesen.

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