Rückbau der Atomkraftwerke: Mammutaufgabe nach dem Ausstieg
Fast 63 Jahre produzierten Kernkraftwerke in Deutschland Strom. Da Kernbrennstoff hochgefährlich ist, brauchte es komplexe Anlagen. Deren Abriss dauert viele Jahre – und kostet Milliarden. Vor gut zwei Jahren gingen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland endgültig vom Netz. Die Betreiber mussten laut Atomgesetz "unverzüglich" mit dem Rückbau starten – wie bei allen zuvor abgeschalteten Reaktoren auch. Wie steht es um den Rückbau? Wie lange dauert es? Wer trägt die Kosten? Ein Überblick über die wichtigsten Punkte.
Wie viele Kernkraftwerke müssen abgebaut werden?
33. So viele Reaktoren mit Leistungsbetrieb sind abgeschaltet, teilt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) mit. Die meisten liegen im Westen der Republik. Für alle Standorte existieren die erforderlichen Stilllegungs- und Abbaugenehmigungen.
Ja. "Seit dem Ende der kommerziellen Kernenergie in Deutschland am 15. April 2023 ist der Rückbau sämtlicher Atomkraftwerke in vollem Gange", heißt es vom BASE. Je nach Beginn der Maßnahmen ist der Fortschritt unterschiedlich weit. Eine Ausnahme gibt es in Hamm-Uentrop: Dort wurde der Thorium-Hochtemperaturreaktor stillgelegt und nach Entfernung der Brennelemente 1997 versiegelt. Es ist die einzige Anlage im "Sicheren Einschluss". Laut BASE ist der "nukleare Abbau" dort erst ab 2030 geplant.
Gibt es bereits komplett zurückgebaute Reaktoren?
Ja, drei kleinere Anlagen. Darunter das Versuchs-Atomkraftwerk Kahl in Unterfranken nahe Aschaffenburg. Es war das erste kommerzielle Kernkraftwerk Deutschlands. Im November 1960 ging es in Betrieb. 1985 wurde es abgeschaltet. Der Rückbau dauerte bis 2010. Weil sich ein Kernkraftwerk aus Sicherheitsgründen nicht einfach abreißen lässt. In einem komplexen Prozess wird jedes Bauteil erfasst, zerlegt, auf Radioaktivität geprüft und ggf. gereinigt. Laut Bundesumweltministerium kalkulieren Betreiber meist zehn bis fünfzehn Jahre bis zur Entlassung aus atomrechtlicher Überwachung. Getrödelt werde nicht: Betreiber erfüllten die Pflicht zum unverzüglichen Rückbau "ordnungsgemäß", betont das Ministerium online.
Einige Projekte sind schon weit fortgeschritten, etwa Würgassen und Stade, berichtet das BASE. Stade wird seit 2005 abgebaut. "Aktuell läuft Phase 4, in der kontaminierte Anlagenteile entfernt und Kontaminationsfreiheit nachgewiesen werden", erklärt die Behörde. Der konventionelle Abriss hat ebenfalls begonnen. Er soll bis Ende 2026 beendet sein.
Was passiert mit den drei zuletzt abgeschalteten Meilern?
In Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland wurden die Brennelemente entnommen und in Lagerbecken umgesetzt. Zudem sei laut BASE der Primärkreislauf dekontaminiert worden. Im Kraftwerk Emsland laufen derzeit Vorbereitungen für die Demontage großer Anlagenteile. In den kommenden Wochen startet der Abbau zentraler Wasser- und Dampfleitungen, so RWE. Der 108 Tonnen schwere Deckel des Reaktordruckbehälters liegt bereit zum Zerschneiden. RWE plant, den Rückbau Mitte der 2030er abzuschließen.
"Der Rückbau eines Atomkraftwerks ist eine enorm komplexe und kostenintensive Aufgabe", so BASE-Präsident Christian Kühn. Die Zuständigkeiten sind klar: Für Stilllegung, Abbau und Verpackung der radioaktiven Abfälle in Spezialbehältern sind in Westdeutschland die Betreiber verantwortlich. Zwischen- und Endlagerung übernimmt der Bund. Dafür zahlten die Stromkonzerne Milliarden in einen Fonds. Für den Rückbau kalkulieren Behörden und Betreiber etwa eine Milliarde Euro pro Reaktorblock. Es kann aber deutlich mehr kosten. So hat RWE für Emsland aktuell Rücklagen von 1,37 Milliarden Euro gebildet.
Die Bundesregierung erstellt jährlich einen Bericht für den Bundestag zu Rückstellungen. Laut dem jüngsten Bericht hatten RWE, Eon, Vattenfall, EnBW und die Stadtwerke München Ende 2023 zusammen rund 19,3 Milliarden Euro zurückgelegt. In Ostdeutschland gelten andere Regeln. Weil Greifswald und Rheinsberg zu DDR-Zeiten staatlich waren, zahlt der Bund den Rückbau.
Rückbau von Atomkraftwerken: Gibt es auch Kritik am Ablauf?
Ja. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert, dass der Rückbau in Greifswald nun bis in die 2040er Jahre dauern wird. "Ursprünglich war das Jahr 2012 anvisiert. Das zeigt einmal mehr, wie schlecht kalkulierbar Atomkraftprojekte sind", sagt Juliane Dickel, beim BUND für Atom- und Energiepolitik zuständig. Beim Rückbau müsse der Schutz von Mensch und Umwelt vor Strahlung oberste Priorität haben, fordert der Verband. Jede Strahlenbelastung müsse vermieden werden. "Nur die Stoffe, die nachweislich keine Kontamination durch den Betrieb aufweisen, dürfen freigegeben werden", so Dickel weiter.



