Mehr als die Hälfte der Deutschen wünscht kürzere Arbeitszeiten
Die Debatte über die Arbeitszeit gehört zu den strittigen Themen in der schwarz-roten Regierungskoalition. Denn bis zum Ende von Friedrich Merz’ Amtszeit werden rund zwei Millionen Menschen mehr in Rente gehen, als junge Beschäftigte nachrücken. Deshalb will Bundeskanzler Friedrich Merz, dass die Deutschen mehr arbeiten. Auf dem CDU-Wirtschaftstag im Mai formulierte er dazu die plakative Formel: „Mit Viertagewoche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“
Während führende CDU-Politiker und Teile der Wirtschaft nun fordern, dass die Bevölkerung mehr arbeitet, zeichnen aktuelle Umfragen jedoch ein gegenteiliges Bild.
Neues Arbeitszeitgesetz: Wird der 8-Stunden-Tag abgeschafft?
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hält in der Debatte um ein neues Arbeitszeitgesetz dagegen wenig davon, die tägliche auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden umzustellen, wie sie die Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union vorsieht. Diese Verabredung aus dem Koalitionsvertrag sei keine Idee ihrer Partei gewesen, betonte Bas. Der Arbeitsschutz müsse gewahrt bleiben.
Arbeitnehmervertreter argumentieren, dass mit der Novelle Arbeitstage von mehr als zwölf Stunden möglich würden, was der Gesundheit und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schade.
Bevor am Mittwoch (10.09.25) auf Einladung von Bas der zweite Sozialpartnerdialog zu der geplanten Reform des Arbeitszeitgesetzes stattfindet, positioniert sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) mit einer repräsentativen Umfrage. Der zweite Sozialpartnerdialog soll mögliche Kompromisslinien ausloten. Doch die Fronten wirken verhärtet: Während die Union auf Lockerungen drängt, bleibt der DGB bei seiner Kritik und verweist auf die Arbeitgeberseite als eigentliche Ursache vieler Probleme.
DGB: Arbeitgeberseite ist das Problem
Die repräsentative Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) kommt zu einem Ergebnis, das den Politikern der Regierungspartei nicht sonderlich gefallen dürfte: Mehr als jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland will weniger arbeiten. Der Umfrage zufolge würden 53 Prozent der Arbeitnehmer gern weniger Stunden pro Woche arbeiten. Weniger als die Hälfte der Befragten (40 Prozent) sind zufrieden mit der Anzahl ihrer Arbeitsstunden und nur sieben Prozent hätten gern mehr Arbeitsstunden in der Woche.
Das Handelsblatt berichtete zuerst über die Ergebnisse. Von Januar bis Mai wurden für die Untersuchung 4.018 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – Auszubildende ausgeschlossen – im Rahmen des DGB-Index Gute Arbeit telefonisch befragt.
Kritik: Starre Arbeitsabläufe sind hinderlich
Warum aber können die Beschäftigten ihre Arbeitszeit nicht reduzieren? Das liegt nach Einschätzung der Befragten am häufigsten an den Arbeitsabläufen. Diesen Grund gaben 63 Prozent an. Ähnlich viele Teilnehmer gaben an, dass die Arbeit sonst nicht zu schaffen sei (60 Prozent) und das Geld sonst nicht reichen würde (59 Prozent). Unterscheidet man die Antworten nach Geschlecht, sticht heraus, dass besonders viele Frauen (66 Prozent) angaben, mehr arbeiten zu müssen, weil das Geld sonst nicht ausreicht.
Auch unter den 7 Prozent der Befragten, die gern länger arbeiten würden, waren die Arbeitsabläufe der am häufigsten genannte Grund (51 Prozent) für die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Interessant hier: Der zweithäufigste Grund war mit 36 Prozent der Vorgesetzte, der eine Erhöhung der Arbeitszeit ablehne.
„Das Problem bei der Gestaltung von Arbeitszeiten ist nicht das Arbeitszeitgesetz, sondern sehr oft sind es die Arbeitgeber selbst“, kritisierte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. „Wir wissen, dass rund 2,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Teilzeit gern mehr arbeiten würden, aber Vorgesetzte, das oft ablehnen und starre Arbeitsabläufe hinderlich sind.“
Politik fordert: „Wir müssen mehr arbeiten"
Vor allem der Bundeskanzler betonte zuletzt immer wieder, dass die Menschen in Deutschland „wieder mehr und vor allem effizienter“ arbeiten sollten, um den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu sichern. Der Kanzler forderte eine „gewaltige Kraftanstrengung“, um die Produktivität zu steigern. Auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sprach sich dafür aus, dass die Menschen in Deutschland „mehr und länger arbeiten müssen“, um den Wohlstand und die Rentensysteme angesichts des demografischen Wandels zu sichern. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht es ähnlich: „Dass wir ausgerechnet in einer Krise weniger arbeiten wollen, ist völlig aus der Zeit gefallen“, hatte der Grünenpolitiker im April dem Magazin Stern gesagt. Die Jahresarbeitszeit aller Industrienationen sei in Deutschland am geringsten. „Wir müssen mehr arbeiten.“
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat sich auf die Suche nach Gründen gemacht. Was hindert Deutsche, mehr oder länger zu arbeiten?
72 Prozent würden mehr arbeiten bei geringeren Abgaben
Eine aktuelle Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ergibt, dass grundsätzlich große Bereitschaft zur Mehrarbeit vorhanden ist – allerdings nur unter bestimmten Bedingungen: 72 Prozent der Befragten knüpfen eine längere Arbeitszeit an die Bedingung niedrigerer Steuern und Sozialabgaben. Die finanziellen Aspekte sind den Beschäftigten mit Abstand am wichtigsten.
Auf Platz zwei folgt das Homeoffice: Mit 57 Prozent sagt mehr als jeder zweite Befragte, dass er mehr arbeiten würde, wenn er im Homeoffice oder mobil arbeiten könnte. Fast genauso wichtig ist den Befragten eine flexiblere Arbeitszeit. Außerdem wird deutlich: Unter 30-Jährige sind mit 86 Prozent grundsätzlich viel bereit, mehr zu arbeiten als 55-Jährige und Ältere – hier sind es lediglich 69 Prozent.
„Wenn die Politik will, dass die Leute wieder mehr arbeiten und dadurch den Wohlstand sichern, müssen sie die richtigen Rahmenbedingungen schaffen“, sagt IW-Studienautor Holger Schäfer. „Die Befragung zeigt sehr deutlich, dass etwa eine geringere Abgabenlast Mehrarbeit attraktiver macht. Eine Forderung nach Mehrarbeit muss durch geeignete Anreize ergänzt werden, damit sich mehr Arbeit lohnt.“
Fazit Arbeitszeit-Debatte: Realität und politischer Anspruch klaffen auseinander
Die Diskussion zeigt ein grundlegendes Missverständnis: Politik und Wirtschaft pochen auf mehr Arbeitsstunden, während viele Beschäftigte ihre Belastung verringern möchten. Gleichzeitig gibt es Millionen Teilzeitkräfte, die gern mehr arbeiten würden, aber von betrieblichen Strukturen ausgebremst werden. Damit ist klar: Die Debatte lässt sich nicht allein mit Parolen über Fleiß oder Work-Life-Balance führen. Notwendig sind differenzierte Lösungen, die sowohl ökonomische Erfordernisse als auch individuelle Bedürfnisse berücksichtigen. Dazu gehören flexiblere Arbeitszeitmodelle, gezielte steuerliche Entlastungen und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den strukturellen Hürden in den Unternehmen.
Der Einsatz von KI wird den Arbeitskräftemangel nicht abfedern können, wenn in den kommenden Jahren Millionen Babyboomer in Rente gehen. Und wer will schon die Hälfte des Jahres nur für den Staat arbeiten? Die Abgaben müssen gesenkt werden. Arbeit muss sich finanziell wieder lohnen – für den eigenen Unterhalt und für die eigene Vorsorge im Alter. Man darf gespannt sein, wie es am Mittwoch auf dem Sozialpartnerdialog mit der geplanten Reform des Arbeitszeitgesetzes weiter geht. Wird sich die Union oder werden sich die SPD nahen Gewerkschaften durchsetzen?


