Politik

Die große Illusion: Warum Trumps Ukraine-Rhetorik eine Falle für Europa sein könnte

Donald Trump inszeniert sich als Unterstützer der Ukraine – doch hinter der neuen Rhetorik steckt offenbar ein klarer Plan: Kiew wird hingehalten, Europa zum Sündenbock gemacht.
29.09.2025 09:57
Lesezeit: 4 min
Die große Illusion: Warum Trumps Ukraine-Rhetorik eine Falle für Europa sein könnte
Treffen von Trump und Selenskyj: Freundliche Gesten nach außen, stille Abkehr im Hintergrund. (Foto: dpa/AP | Evan Vucci) Foto: Evan Vucci

Trumps Rückzugsstrategie – Kiew bleibt allein, Europa trägt die Last

Obwohl die rhetorischen Veränderungen von US-Präsident Donald Trump zum Krieg in der Ukraine anfänglich positive Reaktionen auslösten, raten Experten, Washingtons Sprachwandel nicht zu vertrauen – vor allem Europa müsse wachsam sein. Analytiker erkennen Trumps Wunsch, sich vom Konflikt in der Ukraine die Hände zu waschen und die Verantwortung den Verbündeten zuzuschieben.

Vor wenigen Tagen bestritt Trump in einem sozialen Netzwerk seine früheren Aussagen, wonach die Ukraine „keine Karten“ habe, die sie im Kampf gegen die Aggressorin ausspielen könnte. Doch er bot keine neuen US-Maßnahmen zur Unterstützung Kiews an, sondern überließ dies den Europäern. Auch schärfere Sanktionen gegen Moskau wurden nicht genannt. Öffentlich begrüßten ukrainische und europäische Vertreter den Rhetorikwandel, der nach einem Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj erfolgte. Hinter verschlossenen Türen zeigten sie sich jedoch deutlich vorsichtiger. Indem er Russland als „Papier-Tiger“ am Rande einer Wirtschaftskrise darstelle, wolle Trump „einfach Putin provozieren“, ist Kurt Volker überzeugt, der in Trumps erster Amtszeit Sondergesandter für die Ukraine war. Zudem, so der Experte, behaupte Trump nicht, etwas unternehmen zu wollen.

Seit seiner Rückkehr ins Amt im Januar drohte Trump wiederholt mit neuen Sanktionen gegen Russland, die den Kreml angeblich an den Verhandlungstisch zwingen würden. Doch umgesetzt wird nichts. Immer wieder nennt er neue Daten für Strafen gegen Moskau – doch dieses „Etwas“ bleibt aus. Stattdessen erhöhte Trump den Druck auf Europa, während die Verbündeten ihn aufforderten, Russland stärker ins Visier zu nehmen. Washington verlangt, dass der Kontinent Öl- und Gaseinfuhren reduziert. Die EU versprach, verbleibende Öl- und LNG-Ströme einzuschränken, in der Hoffnung, Trump damit zu besänftigen.

Ablenkungsmanöver

Deutlich schwieriger ist für Europa Washingtons Forderung, Zölle von bis zu 100 Prozent einzuführen und so Länder zu bestrafen, die nach der Invasion ihre Energieimporte aus Russland erhöhten (China und Indien – VŽ). Die EU verhängt gewöhnlich keine derart umfassenden Sekundärsanktionen, zudem ist sie stark von Handel mit China abhängig. Hindernisse bereiten auch prorussische Staaten wie die Slowakei und Ungarn. Mehrere nicht genannte EU-Vertreter sagten der Financial Times, Washington stelle bewusst unrealistische Forderungen, im Wissen, dass Europa sie kaum erfüllen könne. „Das ist der Beginn einer Schuldverschiebungs-Strategie. Die USA wussten, dass die EU Zölle solchen Ausmaßes gegen China und Indien nicht beschließen kann. Also bereitet sich Trump darauf vor, den Tisch zu verlassen, um Europa die Schuld zu geben, sobald er es braucht“, erklärte ein Berater einer europäischen Regierung gegenüber der FT.

Laut Volker will Trump „immer noch einen Deal mit Putin machen und daraus Geld schlagen“. Neue Sanktionen könnten die Verhandlungen erschweren – weshalb Washington sie gar nicht erst plane. „Also schiebt er die Verantwortung auf Europa. Zudem kann sich alles in einem Tag ändern. Er ruft einfach Putin an, verkündet anschließend, das Gespräch sei großartig gewesen – und alles beginnt von vorn“, so der Experte. Nick Paton Walsh, außenpolitischer Analyst bei CNN, ist weniger kategorisch und sieht dennoch gute Nachrichten für Kiew. „Es wäre töricht zu leugnen, dass Trumps jüngste Haltung keine gute Nachricht für die Ukraine ist. Er erkennt den ukrainischen ‚Kampfgeist‘ an und unterstützt ihre Maximalpositionen zur Rückeroberung des gesamten besetzten Territoriums. Er unterstützt die NATO, die sie mit US-Waffen bis an die Zähne rüstet. Außerdem betont er, dass Moskau militärisch klar ein ‚Papier-Tiger‘ bleibt, nach dreieinhalb Jahren vergeblicher Versuche, mehr als 20 Prozent eines Landes einzunehmen, das er binnen einer Woche erobert glaubte. Doch im Grunde enden hier die guten Nachrichten“, erklärte der Experte.

Das britische Medium Sky News nennt vier Gründe, weshalb die USA dennoch in eine andere Richtung steuern könnten. Erstens könne dies mit der militärischen und wirtschaftlichen Realität zusammenhängen. Russland zahle einen hohen Preis – an Menschen wie finanziell. Trump räumte „ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten“ Moskaus ein, was das westliche Argument ukrainischer Siegeschancen stärke. Auch die Widerstandskraft der Ukraine habe die Wahrnehmung verändert – was einst unmöglich schien, erscheint nun erreichbar, falls die Verbündeten Kurs halten. Zweitens habe das Handeln der Partner gewirkt: Europas Staatschefs reisten massenhaft nach Washington, um Trump zu Vorsicht im Umgang mit Putin zu mahnen. Zudem steigerten NATO-Mitglieder ihre Unterstützung für Kiew – wodurch die US-Rhetorik über Amerikas finanzielle Last geschwächt wurde. Drittens spiele Innenpolitik eine Rolle: Trump werde parteiübergreifend kritisiert, gegenüber Russland „zu weich“ zu sein. „Eine härtere Linie in Sicherheitsfragen könnte ihm helfen, republikanische Unterstützung zu festigen und Moderaten zu gewinnen, die die Verteidigung der Ukraine als Test nationalen Prestiges betrachten“, so Sky News. Viertens sei es auch Verhandlungstaktik: „Trump ändert oft seine Position, um Einfluss zu nehmen. Gerede über Kompromiss könnte Strategie gewesen sein, um Ukraine und Russland an den Tisch zu bringen. Da Moskau jedoch keine Kompromissbereitschaft zeigte, änderte er seinen Plan – nun will er über Kiew wirken“, schreibt das Medium.

Teil einer Rückzugsstrategie

Dennoch verkündete Trump nichts Neues – die NATO kauft der Ukraine weiterhin, was ohnehin vorgesehen war, und drückt Moskaus Wirtschaft. Trumps unerklärliche Sympathien für den wegen Kriegsverbrechen beschuldigten Kremlchef Wladimir Putin sind ebenso wenig verschwunden. „Sein einziges Versprechen ist, weiter Waffen an die Verbündeten zu verkaufen. Das ist kaum ein Wendepunkt. Mit dem Risiko, seine Reputation aufs Spiel zu setzen, indem er Putin nach Alaska zu Verhandlungen einlädt und selbst im Zentrum steht, hat Trump eine harte Lektion gelernt: Kriege sind schwer zu beenden. Offenbar reicht es ihm, also zieht er sich vom Tisch zurück“, urteilt das britische Blatt The Telegraph.

Igor Reiterowitsch, Leiter politischer und rechtlicher Programme am Zentrum für soziale Entwicklung der Ukraine, teilt die Ansicht, dass Washington kaum Druck auf Moskau ausüben werde. „Wir sollten nicht zu optimistisch sein angesichts solcher Trumpschen Aussagen. Die Rhetorik ist eine positive Verschiebung, aber wir müssen konkrete Taten abwarten. In einer Woche könnte er wieder völlig anderes sagen. Jetzt hat er die Richtung geändert – doch wie lange? Wir müssen überlegen, wie wir ihn so reden lassen. Das sollten nicht nur wir, sondern auch unsere westlichen Partner tun“, sagte Reiterowitsch der ukrainischen Agentur Unian.

Ein deutscher Beamter bemerkte, Washington setze Europa bewusst eine hohe Hürde – aus gutem Grund. „Trump will vermeiden, dass dieser Krieg nach neun Monaten Amtszeit auch zu seinem Krieg wird“, so Carlo Masala, Professor für internationale Beziehungen an der Münchner Bundeswehr-Universität. Ein EU-Diplomat wies darauf hin, dass Trumps aufsehenerregender Netz-Eintrag mit den Worten endete: „Viel Glück allen!“ „Das zeigt klar, dass Washington sich distanziert“, sagte er. Selbst wenn Europa die Forderungen erfüllte und hohe Zölle gegen Peking und Neu-Delhi verhängte, sei kaum zu glauben, dass Trump Wort halte, erklärte Liana Fix. „In dieser Frage ist er nicht verlässlich“, so die Analystin. Das positive Signal aus Washington könnte bloß eine Nebelwand sein – es deutet an, dass Trump plant, den Tisch zu verlassen und die weitere Verhandlungs- wie Unterstützungsrolle für Kiew den Europäern zu überlassen. Europa wollte lange zeigen, dass Putin ihn an der Nase herumführt und der Schlüssel zum Kriegsende in Druck auf Russland liegt. Doch der US-Präsident dürfte den einfacheren Weg wählen – den Rückzug.

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