Politik

Verteidigungspolitik: Ausnahmesituation „Spannungsfall“ – Was bedeutet er für die Bürger und für die Bundeswehr?

Für den Ernstfall, dass Deutschland militärisch bedroht oder angegriffen wird, gibt es Notstandsgesetze, wie den sogenannten „Spannungsfall“. Eine Einstufung als Spannungsfall würde weitreichende Eingriffe in das Leben der Menschen ermöglichen. Was genau bedeutet diese Art von Verteidigungsfall?
14.11.2025 11:10
Lesezeit: 5 min
Verteidigungspolitik: Ausnahmesituation „Spannungsfall“ – Was bedeutet er für die Bürger und für die Bundeswehr?
Nachdem wiederholt Drohnen in den Luftraum europäischer Staaten eingedrungen sind, forderte der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter, dass Deutschland den sogenannten Spannungsfall ausruft. (Foto: dpa) Foto: Jan Woitas

Zwischen Frieden und Krieg: Wann tritt ein „Spannungsfall“ ein?

Wird ein sogenannter Spannungsfall festgestellt, hat das fast ebenso schwere Auswirkungen wie die Ausrufung des Verteidigungsfalls: Der Spannungsfall ist eine vom Bundestag mit Zwei-Drittel-Mehrheit festzustellende Zwischenstufe zwischen Frieden und Verteidigungsfall. Das Grundgesetz ermöglicht die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften, die sonst nur im Verteidigungsfall gelten. Wenn der Spannungsfall festgestellt werden würde, könnten Maßnahmen ergriffen werden, um die Wehrfähigkeit zu verbessern. Die jetzt noch „ruhende“ Wehrpflicht würde dann in Deutschland wieder in Kraft treten.

Zudem gibt es „Sicherstellungsgesetze“, die nur für die Bewältigung von Gefahrenlagen vorgesehen sind.

Wann tritt der Spannungsfall ein?

Der Verteidigungsfall liegt nach dem Grundgesetz dann vor, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird. Bevor das passiert und wenn eine bedrohliche Situation existiert, regelt der Artikel 80a den sogenannten Spannungsfall.

Der Artikel 80a im Grundgesetz enthält Vorschriften darüber, wie der Spannungsfall ausgelöst wird. Der Spannungsfall ist eine Art Vorstufe zum Verteidigungsfall. Man verstehe darunter eine „schwere außenpolitische Konfliktsituation“, schreiben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages unter Berufung auf ein „Handbuch Sicherheits- und Staatsschutzrecht“.

Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig

Im Spannungsfall sei zu erwarten, dass eine Konfliktsituation „zu einem Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet führen“ könne und „erhöhte Verteidigungsbereitschaft herzustellen“ sei. Genau gesetzlich definiert ist der Spannungsfall allerdings nicht.

Wird er im Bundestag festgestellt, würde automatisch die Wehrpflicht wieder gelten. Zudem wären sogenannte Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze anwendbar. Der Staat könnte tief in das Leben der Menschen eingreifen, um in einem solchen Krisenfall die Versorgung der Bevölkerung einerseits und der Streitkräfte andererseits zu gewährleisten.

Die Feststellung, ob der Spannungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. Das Grundgesetz schreibt dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit vor – zurzeit müsste die schwarz-rote Koalition dafür also auch in anderen Fraktionen um Zustimmung werben. Einen Antrag zur Abstimmung könnte entweder die Bundesregierung einbringen oder eine Fraktion des Bundestags oder fünf Prozent seiner Abgeordneten gemeinsam.

Spannungsfall: Grundrechte stark eingeschränkt

Die beiden einen Notstand definierenden Ausnahmesituationen, der Verteidigungsfall (GG, Art. 115a) und der Spannungsfall (GG, Art. 80a) sind im Grundgesetz geregelt. Der Spannungsfall ermöglicht die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften, die sonst nur im Verteidigungsfall gelten.

Zu diesen gehört auch das Arbeitssicherungsgesetz (ASG). Nach § 2 ASG können Männer und Frauen zwischen dem 18. und 65. Lebensjahr in ein neues, dem Militär oder der Zivilverteidigung dienendes Arbeitsverhältnis zwangsverpflichtet werden.

Die Ablehnung aus Gewissensgründen ist nach § 13 ASG ausgeschlossen. Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit und der freien Wahl des Arbeitsplatzes werden in § 39 ASG ausdrücklich eingeschränkt.

Werden Arbeitskräfte etwa für die Waffenproduktion, Betreuung der IT für Drohnen, das Einsammeln von Minen oder für die Pflege verletzter Soldaten benötigt, erhalten Betroffene nach § 13 ASG einen „Verpflichtungsbescheid“ für ihre neue Tätigkeit. Die Agentur für Arbeit entscheidet, was zumutbar ist. Nach § 33 ASG kann auch ein Arbeitsort in einem anderen Bundesland zumutbar sein.

Die Weigerung kann als Straftat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden.

Militärmanöver mit der Agentur für Arbeit

Neben dem ASG ließen sich dann weitere spezielle, sogenannte Sicherstellungsgesetze wie das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz anwenden. Auch könnte die Bundeswehr verstärkt im Innern eingesetzt werden.

Im September wurde in Hamburg die Militärübung „Red Storm Bravo“ durchgeführt. Dabei wurden auch 75 Arbeitende der Agentur für Arbeit eingesetzt. Nach einem Bericht des Hamburger Abendblatts sollte mit ihnen der Einsatz des ASG geprobt werden.

Spannungsfall bereits in einem Gesetzentwurf

Erwähnt wird der Spannungsfall bisher im Gesetzesentwurf zur Stärkung der Militärischen Sicherheit in der Bundeswehr. Über diesen Gesetzesentwurf hat der Bundestag am Donnerstag, 9. Oktober, in erster Lesung beraten und im Anschluss zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen. Federführend ist hier der Verteidigungsausschuss.

Auszug: § 52 Spannungs- und Verteidigungsfall (1) – Drucksache 21/1846, Seite 41

1. findet § 2 Absatz 1 Satz 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass der Militärische Abschirmdienst für die Erfüllung der dort genannten Aufgaben zuständig ist, sofern sich Bestrebungen oder Tätigkeiten gegen Personen, Dienststellen oder Einrichtungen des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung richten können… . ,

2. finden die Herausgabefristen für Systeme der Informationstechnik nach § 26 Absatz 5 Satz 3 und 4 keine Anwendung,

3. findet die Übermittlung von personenbezogenen Daten nach § 31 Absatz 1 Satz 1 mit der Maßgabe Anwendung, dass das Vorliegen einer konkretisierten Gefahr für ein besonders gewichtiges Rechtsgut vermutet wird und

4. finden die Mitteilungspflichten nach § 23 Absatz 1 und das Auskunftsrecht nach § 50 Absatz 1 Satz 1 mit der Maßgabe Anwendungen, dass eine Mitteilung oder Auskunftserteilung nicht vor Beendigung des Spannungs- und Verteidigungsfalls erfolgen muss. (2) Soweit im Spannungs- und im Verteidigungsfall die Bundesregierung mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums festgestellt hat, dass dies aus Gründen der Verteidigung zwingend notwendig ist, 1. findet die Vorschrift des § 22 Absatz 1 über die Anordnung von besonderen Befugnissen mit der Maßgabe Anwendung, dass eine gerichtliche Anordnung nur in den Fällen des § 11 erforderlich ist, und 2. finden die Vorschriften über die unabhängige Datenschutzkontrolle nach § 46 Absatz 1 und 2 keine Anwendung.

Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Fall, dass der Spannungs- und der Verteidigungsfall unmittelbar bevorsteht und die Bundesregierung mit Zustimmung des Parlamentarischen Kontrollgremiums festgestellt hat, dass dies aus Gründen der Verteidigung zwingend notwendig ist... .

Der Gesetzesentwurf soll das Vorgehen gegen Sabotage und Spionage in der Bundeswehr stärken und die Cyberabwehr verbessern. Dabei soll auch über einige Vorschriften abgestimmt werden, die im Spannungsfall gültig würden, etwa die Regelung bestimmter Zuständigkeiten. Diese würde erst greifen, wenn der Spannungsfall festgestellt würde.

Spannungsfall und die Aufgaben der Geheimdienste

Dafür benötigen die deutschen Geheimdienste, BfV, BND und MAD, nach Ansicht des Vorsitzenden des zuständigen Bundestagsgremiums, Marc Henrichmann, mehr Befugnisse und klarere Regeln. „Insbesondere müssen wir endlich klar regeln, was in einem sogenannten Spannungsfall von den Diensten erwartet wird. Dann reicht eine reine Nachrichtenbeschaffung meiner Ansicht nach nicht mehr aus“, sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vor einer öffentlichen Anhörung der Präsidenten der Nachrichtendienste am 13. Oktober.

Bundeskanzler Merz sieht Deutschland nicht im Spannungsfall

Auf die Frage eines Journalisten, ob Merz Deutschland in einem Spannungsfall sehe, antwortete Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) Anfang Oktober: „Ich sehe das nicht so.“

Kurz zuvor hatte Ende September der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter gefordert, den Spannungsfall auszurufen. Dieser im Grundgesetz verankerte Schritt sei notwendig, damit Drohnen von der Bundeswehr sofort abgewehrt werden könnten, sagte Kiesewetter dem Handelsblatt.

Auf dpa-Anfrage teilte Kiesewetter mit, dass er keine weiteren Schritte veranlasst habe, um eine Abstimmung über die Feststellung des Spannungsfalls zu beantragen. Er wies darauf hin, dass einen solchen Antrag eine Fraktion oder mindestens fünf Prozent aller Abgeordneten stellen müssten. „Beides ist nicht absehbar“, teilte Kiesewetter per E-Mail mit. Dennoch sehe er die Voraussetzungen zur Prüfung des Spannungsfalls „schon länger gegeben“.

Wurde der Spannungsfall schon einmal festgestellt?

In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gab es bisher weder einen Spannungs- noch einen Verteidigungsfall. Die Beistandspflicht nach Artikel 5 des NATO-Vertrages greift erst bei einem Angriff auf das Bündnisgebiet.

Fakt ist: Für die Feststellung eines Verteidigungsfalles in Deutschland ist die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrats nötig. Für den Spannungsfall hingegen reicht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag über die Feststellung – somit würde auch die Wehrpflicht automatisch reaktiviert: Männer ab 18 müssten unbefristet zur Bundeswehr oder zum zivilen Ersatzdienst. Frauen könnten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen verpflichtet werden. Das Grundgesetz lässt keine Totalverweigerung zu. Der Staat kann sogar bestimmen, wo der Bürger arbeitet und eingesetzt wird. In der aktuell angespannten Sicherheitslage könnte somit das Ausrufen eines Spannungsfalls auch zum Vorboten eines Verteidigungsfalls werden – allerdings, genau gesetzlich definiert ist der Spannungsfall nicht.

Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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