Politik

Demokratie unter Dauerstress: Der globale Trend zur Autokratie

2026 könnte zum Wendepunkt werden: Von Washington bis Berlin geraten liberale Demokratien unter Druck. Autokraten gewinnen Einfluss, Populisten wachsen, China zieht wirtschaftlich vorbei. Experten warnen vor einem Kipppunkt – und fragen, ob die freie Ordnung noch rechtzeitig verteidigt werden kann.
26.12.2025 05:50
Lesezeit: 4 min
Demokratie unter Dauerstress: Der globale Trend zur Autokratie
(Foto: iStockphoto.com/Stadtratte) Foto: Stadtratte

Schicksalsjahr 2026: Wie bedroht ist die Demokratie?

Die Demokratie gerät global ins Wanken. In den USA könnten die Kongresswahlen im kommenden Jahr eine Weichenstellung werden. Und auch für Deutschland sehen Fachleute dunkle Wolken aufziehen.

Donald Trump hat das Rampenlicht seit jeher gesucht. Als 1992 in einem seiner Luxushotels die Fortsetzung des Hollywood-Blockbusters "Kevin allein zu Haus" entstand, stellte er laut Regisseur Chris Columbus eine klare Bedingung: "Ihr könnt das Plaza nur nutzen, wenn ich in dem Film vorkomme." So verschaffte er sich einen kurzen Auftritt im bis heute populären Weihnachtsfilm. Der kleine Kevin irrt durchs Hotel und bittet einen Mann um Orientierung. Dieser Typ, damals schon unverkennbar mit blonden Haaren und roter Krawatte, wenn auch noch ohne orangefarbene Gesichtstönung, dreht sich knapp um und weist ihm den Weg.

Heute wirkt diese Szene wie ein Menetekel: Trump als Wegweiser, als jemand, der den Kurs setzt. Damals, 1992 im Jahr der Kinopremiere, war sein späterer politischer Aufstieg noch kaum vorstellbar. Die Sowjetunion war gerade zerfallen, Diktaturen rund um den Globus kollabierten. Viele glaubten, die liberale Demokratie westlicher Prägung werde sich nun überall durchsetzen – sogar "das Ende der Geschichte" wurde verkündet. Ein Happy End ohne Ablaufdatum?

Seit 2006 befindet sich die Welt in einer demokratischen Rezession

Inzwischen ist deutlich: Das war eine fatale Fehleinschätzung. Der Demokratisierungsschub von damals lief rückwärts – nach Analysen der Nichtregierungsorganisation Freedom House setzte die Wende im Jahr 2006 ein. Seitdem sei die Zahl der Staaten, in denen Demokratie gewinnt, stets niedriger gewesen als die der Länder, in denen Entdemokratisierung voranschreitet. Auch der britische "Economist", der jährlich einen Demokratie-Index veröffentlicht, spricht seit 2006 von einer "Demokratie-Rezession".

Autokratien gewinnen an Kraft. Das bedrückendste Beispiel ist Russland. 1992 nahm man im Westen noch an, das Land werde sich dauerhaft in den Kreis großer Demokratien einreihen. Doch ein Raubtier-Kapitalismus ohne wirksame staatliche Regulierung ließ in den 90er Jahren breite Schichten verarmen – eine Entwicklung, die dem heutigen Kremlchef Wladimir Putin half, sich als Erlöserfigur zu inszenieren.

Vielleicht die letzte Chance, Trump aufzuhalten

Aus der Perspektive von 1992 wirkt die US-Entwicklung wie ein überhitzter Polit-Thriller mit rabenschwarzer Komik: Die älteste Demokratie der Welt, seit 1776 bestehend, driftet seit dem Start von Trumps zweiter Amtszeit Richtung Autokratie. Ex-Außenminister Joschka Fischer nennt die USA inzwischen eine "Borderline-Demokratie". Für ihn sei es extrem schmerzhaft, diesen Prozess zu verfolgen, sagte Fischer dieses Jahr der Deutschen Presse-Agentur. "Ich bin Jahrgang 48, das heißt, es ist meine Welt, die jetzt gerade zugrunde geht."

Der britische Historiker und Karlspreisträger Timothy Garton Ash warnte im September in einem Gastbeitrag für die "SZ": "Es bleiben 400 Tage, die US-Demokratie zu retten." Sollten die Demokraten bei den Kongresswahlen am 3. November 2026 die Kontrolle über das Repräsentantenhaus nicht zurückerobern, sei die Abwicklung der liberalen Demokratie kaum noch aufzuhalten.

In der Europäischen Union, die nur noch rund 5,5 Prozent der Weltbevölkerung stellt, rücken rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien vor. In Deutschland wird 2025 als das Jahr gelten, in dem die AfD in Umfragen erstmals bundesweit auf Platz eins lag. In Sachsen-Anhalt, einem der fünf Bundesländer mit Wahlen im nächsten Jahr, kommt die vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei in einer Insa-Umfrage vom Oktober auf 40 Prozent.

China läuft den Demokratien den Rang ab

"Die Gefährdungslage für die liberale Demokratie ist schlimmer denn je", sagt der Soziologe Steffen Mau. Der gebürtige Rostocker, der derzeit mit dem Buch "Der große Umbruch" präsent ist, zeigt sich im dpa-Interview sehr besorgt: "Ich glaube schon, dass unsere Demokratie noch ein ganzes Stück überleben kann, aber sie ist an vielen Stellen zu unbeweglich geworden." In den vergangenen Jahren habe sich mit Blick auf die Politik die Haltung "Die können’s nicht" verfestigt. Das Vertrauen, dass Politik noch zu einer Wende zum Besseren fähig sei, sei erodiert. Wenn aber das Aufstiegsversprechen nicht mehr greife, entstehe "eine Riesenchance für populistische Kräfte".

Forscher wie Mau fragen, was geschieht, falls China Deutschland beim Wohlstand überholt. China hat bereits zwei sozialwissenschaftliche Grundannahmen widerlegt: Erstens, dass nur freie Gesellschaften dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich sein können, weil nur sie wirklich innovativ seien. Und zweitens, dass wachsender Wohlstand quasi automatisch zur Demokratisierung führt, weil eine wachsende Mittelschicht Mitsprache einfordert.

Mau verweist auf den kürzlich erschienenen "Nature Index", ein Ranking von Institutionen mit den meisten Publikationen in führenden naturwissenschaftlichen Zeitschriften: "Da wurden acht von den zehn vorderen Plätzen von chinesischen Institutionen belegt. Auf Platz 2 war die Harvard-Universität, auf Platz 10 die Max-Planck-Gesellschaft, sonst alles chinesisch." Ähnlich sei das Bild bei Patenten oder technologischen Erfindungen. "Die Dynamik, die von China ausgeht, ist enorm."

Leiden die Deutschen an "demokratischer Demenz"?

Beim Blick auf Demokratie dürfe man sich nichts vormachen: Für viele Menschen sei Wohlstand mindestens so bedeutsam wie Freiheitswerte oder politische Teilhabe, sagt Mau. "Wesentlich ist deshalb, dass wir wieder eine vorteilhafte wirtschaftliche Entwicklung hinbekommen, von der breite Bevölkerungsschichten partizipieren."

Für den Historiker Christoph Nonn, Herausgeber des Buchs "Wie Demokratien enden", lautet das Schlüsselwort "demokratische Demenz". Gemeint ist, dass man in Demokratien mit der Zeit dazu tendiert, Freiheitsrechte als selbstverständlich zu betrachten – und zugleich die mühsamen, langsamen demokratischen Verfahren als lästig empfindet.

Ist die Demokratie also ein Auslaufmodell? Für die nähere Zukunft zeigt sich Nonn pessimistisch, doch er glaubt nicht, dass Demokratien langfristig verschwinden. "Wir sehen das ja gerade auch in Ländern wie der Türkei oder Ungarn: Da will eine Mehrheit den autokratischen Machthaber gern wieder loswerden, weil sich eben herausstellt, dass er die Probleme nicht lösen kann. Die Frage ist dann allerdings immer, ob eine Rückkehr zur vollwertigen Demokratie überhaupt noch möglich ist." In der Türkei ist der aussichtsreichste Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan, der Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu, schon vor vielen Monaten im Gefängnis verschwunden.

Hoffnungsschimmer: "Wenn die Bude brennt, dann können wir"

An dieser Stelle knüpft auch Marcel Dirsus an, Autor des Buchs "Wie Diktatoren stürzen und wie Demokraten siegen können": "Ich glaube keinesfalls, dass die liberale Demokratie ein Auslaufmodell ist", sagt der Politikwissenschaftler überzeugt. "Im Allgemeinen sind Diktaturen sehr viel fehleranfälliger, weil es dort eben nur eine kleine Clique von Machthabern ist, die die Entscheidungen trifft."

Dirsus warnt zudem davor, die deutsche Politik pauschal als unfähig abzustempeln: "Denken wir mal an das Jahr 2022, als es infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine und dem Stopp der Gaslieferungen so aussah, als müssten wir im Winter frieren. Da haben sich unsere Regierenden auf allen Ebenen zusammengesetzt und gehandelt. Mit Erfolg. Wenn wirklich die Bude brennt, dann können wir."

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