Politik

Wikileaks: Bundeskanzleramt drängte Deutsche Telekom zur Überwachung

Aus einem von Wikileaks zugänglich gemachten Dokument geht hervor, dass das Bundeskanzleramt offenbar die Deutsche Telekom gedrängt haben soll, die Massenüberwachung der Deutschen durch die US-Geheimdienste am Knoten Frankfurt zuzulassen. Der Präsident des Verfassungsschutzes fordert die strafrechtliche Verfolgung der Whistleblower. Politische Verantwortung hat für den Skandal bis dato noch niemand übernommen.
13.05.2015 00:49
Lesezeit: 2 min

Die Whistleblower-Plattform WikiLeaks hat die Protokolle aus zehn Monaten des laufenden 1. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestag zu den NSA-Aktivitäten in Deutschland veröffentlicht. Die Dokumente enthalten brisante Details, die einiges über die offenbar sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den Geheimdiensten aussagen.

So stellte sich in der 26. Sitzung heraus, dass vom Bundeskanzleramt ein Brief direkt an Kai-Uwe Ricke, den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutsche Telekom AG, geschickt wurde. In diesem Schreiben wurde die Deutsche Telekom AG dazu angehalten, fortlaufende Massenüberwachung deutscher und internationaler Internet- und Telekommunikationsdaten am Frankfurter Knotenpunkt der Deutschen Telekom AG zuzulassen und zu unterstützen. Im Rahmen dieser Operation, Codename "Eikonal", wurden abgehörte Daten dann vom BND an die NSA weitergegeben. Der Brief war an Ricke adressiert und trug den Vermerk “persönlich”. Während der Vernehmung im Untersuchungsausschuss gab Ricke an, er habe solch einen Brief nie gesehen. Nachdem dieser Brief versendet worden war, wurde dem BND der geforderte Zugang ermöglicht. Der entsprechende Brief durfte im Untersuchungsausschuss öffentlich weder verlesen noch sein Inhalt diskutiert werden, da er als geheim eingestuft ist. Nichtsdestotrotz kamen die vorher nicht bekannte Existenz des Briefes sowie die Umstände der Beihilfe zur Kooperation durch den Prozess der Untersuchung ans Licht.

Die veröffentlichten Transkriptionen dokumentieren, wie die Abwesenheit einer vollständigen öffentlichen Dokumentation dazu geführt hat, dass Zeugen den Untersuchungsprozess missbrauchen. Mindestens drei Mal widersprechen die öffentlichen Aussagen eines Zeugen denen, die er in geheimen Sitzungen macht. Die Transkriptionen zeigen außerdem, dass die Möglichkeiten der Untersuchungskommission, Zeugen sorgfältig und gewissenhaft zu befragen, beschnitten werden durch umfangreiche Schwärzungen. In einem Fall wurde die Sitzung unterbrochen, weil der Zeugen ungeschwärzte Dokumente zur Vorbereitung erhalten hatte, während den parlamentarischen Mitgliedern des Ausschusses nur eine geschwärzte Version zur Verfügung gestellt worden war.

WikiLeaks hat zu jeder Sitzung sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch eine Zusammenfassung erstellt. Die Dokumente können mit einer Suchfunktion bearbeitet werden.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sieht durch die vielen Veröffentlichungen in der Spionageaffäre insgesamt Deutschlands innere Sicherheit bedroht.

Bisher waren die Protokolle des Ausschusses nicht öffentlich zugänglich - auch nicht solche der öffentlichen Sitzungen. Nun finden sich in den WikiLeaks-Dokumenten sogar einige Protokolle nicht öffentlicher Sitzungen. Gründer Julian Assange betonte, nur durch öffentliche Kontrolle könne der Ausschuss Transparenz und Gerechtigkeit herstellen. Der Ausschuss arbeitet die Spionageaffäre rund um den US-Geheimdienst NSA und denBundesnachrichtendienst auf.

Maaßen kritisierte im SWR, seit Monaten kursierten auch vertraulichste Informationen in den Medien. Dies sei «ein Skandal, der bisher nicht als Skandal bezeichnet worden ist». Die Vorgänge müssten strafrechtlich aufgearbeitet werden.

Der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) sagte dem Spiegel online: «Für die Aufklärung der Sache sind diese Offenlegungen jedenfalls nicht hilfreich.» Zeugen dürften sich nicht indirekt auf Aussagen eines anderen Zeugen stützen können.

Ins Verhör nahm der Ausschuss bisher schwerpunktmäßig teils auch hochrangige Mitarbeiter des BND, der Telekom und der NSA. Vertreter der Öffentlichkeit dürfen bei den öffentlichen Sitzungen mitschreiben, Blogger stellen die Äußerungen auch online. Ton- oder Videoaufzeichnungen sind aber nicht erlaubt. Der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags hatte entschieden, dass die Veröffentlichung der Protokolle derzeit nicht möglich sei.

Die Zeugen werden in der Sitzung von einem Anwalt begleitet. Er und auch Vertreter der Bundesregierung schreiten immer wieder ein, wenn die Abgeordneten Dinge wissen wollen, die die Regierung als vertraulich einstuft. Dann wird darauf verwiesen, dass darüber nur in nichtöffentlicher Sitzung Auskunft gegeben kann. Für regelmäßige Beobachter des Ausschusses wirklich brisante Informationen sind in den WikiLeaks-Veröffentlichungen zunächst nicht aufgefallen.

SPD-Obmann Christian Flisek sagte, er habe sich immer für ein hohes Maß an Öffentlichkeit eingesetzt. «Deshalb habe ich immer wieder angemahnt, dass auch nicht öffentliche Teile der Protokolle, die nicht geheimhaltungsbedürftig sind, zugänglich gemacht werden.»

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Grenze zu – zumindest teilweise: Polen kontrolliert ab Montag
01.07.2025

Polen wird ab kommendem Montag vorübergehend wieder Grenzkontrollen an der Grenze zu Deutschland einführen. Das kündigte...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionsstau: Kaputte Straßen, marode Schulen – Kommunen am Limit
01.07.2025

Viele Städte und Gemeinden stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Allein die Instandhaltung von Straßen, Schulen und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Alt gegen Jung: Wie die Generation Z das Arbeitsleben umkrempelt – und was zu tun ist
01.07.2025

Alt gegen Jung – und keiner will nachgeben? Die Generationen Z und Babyboomer prallen aufeinander. Doch hinter den Vorurteilen liegen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeitsmarkt ohne Erholung im Juni: Warten auf den Aufschwung
01.07.2025

Die erhoffte Belebung des Arbeitsmarkts bleibt auch im Sommer aus: Im Juni ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland nur minimal um...

DWN
Politik
Politik Schlachtfeld der Zukunft: Die Ukraine schickt ihre Kampfroboter ins Gefecht
01.07.2025

Die Ukraine setzt erstmals schwere Kampfroboter an der Front ein. Während Kiew auf automatisierte Kriegsführung setzt, treiben auch...