Politik

Eskalation droht: Merkel will Nato vor die türkische Küste entsenden

Bundeskanzlerin Merkel will die Nato vor die türkische Küste entsenden. Das Militär-Bündnis soll die Türkei im Kampf gegen Schlepper unterstützen. Es ist unklar, ob die verstärkte Militär-Präsenz im Zusammenhang mit der Zuspitzung in Syrien zusammenhängt. Merkel übte ungewöhnlich scharfe Kritik am russischen Einsatz in Syrien.
08.02.2016 16:29
Lesezeit: 3 min

Deutschland und die Türkei wollen die Nato in den Kampf gegen Schlepper in der Ägäis mobilisieren. Beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in dieser Woche müsse erörtert werden, "inwieweit die Nato bei der Überwachung der Situation auf See hilfreich sein und die Arbeit von Frontex und der türkischen Küstenwache unterstützen kann", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag nach Beratungen mit ihrem türkischen Kollegen Ahmet Davutoglu in Ankara.

Merkel kündigte außerdem gemeinsame Einsätze deutscher und türkischer Polizisten gegen den "illegalen Grenzübertritt" in der Türkei an. Zudem müsse geprüft werden, wie die Arbeit der türkischen Küstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex in den Gewässern zwischen der Türkei und Griechenland koordiniert werden könne. Wie all diese Koordinierungen auch noch mit der Nato koordiniert werden sollen, ist unklar.

Tatsächlich stellt sich die Frage, welchen Zweck eine stärkere Nato-Präsenz in der Region haben sollte. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass  Merkel Russland erstmals ausdrücklich die Schuld für das neue Flüchtlingsdrama in Nordsyrien gegeben und der Türkei deutsche Hilfe zur Bewältigung der Lage angeboten hat. Merkel verurteilte die Angriffe der russischen Luftwaffe und der syrischen Armee rund um die Stadt Aleppo in ungewöhnlich scharfen Worten: "Wir sind in den letzten Tagen nicht nur erschreckt, sondern auch entsetzt, was an menschlichem Leid für Zehntausende Menschen durch Bombenangriffe entstanden ist, vorrangig von russischer Seite", sagte Merkel am Montag in Ankara nach einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Deutschland und die Türkei würden beim UN-Sicherheitsrat auf eine Einhaltung der gemeinsamen Syrien-Resolutionen dringen. Auch Russland habe am 18. Dezember zugestimmt, dass die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in Syrien sofort beendet werden müssten.

Russland unterstützt seit Wochen die syrische Armee mit Luftangriffen, um die verschiedenen Terror-Milizen zu bekämpfen. Zuletzt war die syrische Armee nach Aleppo vorgestoßen und hatte die verschiedenen Terror-Gruppen weitgehend vertrieben. Vor allem der al-Kaida-Ableger al-Nusra hatte Aleppo zwischenzeitlich kontrolliert. Die al-Nusra arbeitet mit den USA zusammen und wird vor allem von Saudi-Arabien und der Türkei unterstützt. Russland beschuldigt die Türkei, auch mit der Terror-Miliz IS zusammenzuarbeiten. In den vergangene Tagen sind nach türkischen Angaben Zehntausende Menschen an die türkische Grenze geflohen. Die Türkei behauptet, dies sei geschehen, nachdem die syrische Armee um die Stadt Aleppo eine von Russland unterstützte Militäroffensive begonnen hatte. Es liegen keine unabhängigen Bestätigungen für diese Darstellung vor. Die russische Nachrichtenagentur TASS schweigt zu den Vorwürfen.  Russland hatte zuletzt vor einer Invasion der Türkei in Syrien gewarnt.

Die investigative Nachrichten-Website Consortiumnews berichtet, dass sich sowohl die USA als auch Saudi-Arabien und andere Golfstaaten auf eine Boden-Initiative in Syrien vorbereiteten. Es könnte dabei nicht nur gegen den IS gehen, schreibt Consortiumnews. Vielmehr sei man in Washington über den russischen Militär-Erfolg besorgt und wolle die Aufteilung Syriens nicht den Russen allein überlassen. Ob diese Pläne im Zusammenhang mit der von Merkel vorgeschlagenen Verstärkung der Nato in der Region zusammenhängen, ist objektiv nicht zu beurteilen. Es ist allerdings relativ schwer zu erkennen, mit welchen Mitteln die Nato die Schlepper bekämpfen soll. Es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass das Militärbündnis Schlepper-Boote abschießen will. Damit würden auch die Flüchtlinge unmittelbar in Lebensgefahr gebracht.

Merkel erwartet von den in Genf geplanten Syrien-Friedensgesprächen der UN keinen Erfolg. Die von den Saudis zusammengestellte syrische "Opposition" hatte zuletzt wegen der russischen Angriffe die Teilnahme an den Gesprächen verweigert. Die von der Türkei bekämpften, von Russland unterstützten Kurden der YPG wurden dagegen gar nicht zu den Gesprächen eingeladen.

Ein Hinweis für eine mögliche Zuspitzung in Syrien könnte auch ein UN-Bericht geben, der dem syrischen Präsidenten schwere Verbrechen im Umgang mit Gefangenen vorwirft: UN-Ermittler haben die syrische Regierung für die Tötung zahlloser Häftlinge in den Gefängnissen des Landes verantwortlich gemacht. Seit Beginn des Syrien-Konflikts vor fast fünf Jahren habe es in den Gefängnissen "Todesfälle in einem massiven Ausmaß" gegeben, erklärte die UN-Ermittlungskommission für Syrien am Montag in Genf. Mit der "Vernichtung" von Teilen der Bevölkerung begehe die Regierung in Damaskus Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Den Erkenntnissen der UN-Ermittler zufolge werden in den Gefängnissen der syrischen Behörden Männer, Frauen und sogar Kinder hingerichtet, zu Tode gefoltert oder unter so erbärmlichen Bedingungen festgehalten, dass sie daran zugrunde gehen. Es sei klar, dass die Regierungsbehörden darüber informiert seien, was sich in den Haftanstalten abspiele und dass es dort zahllose Todesfälle gebe, befanden die Experten. Ziel der staatlichen Politik sei es, "die Zivilbevölkerung anzugreifen".

Der Bericht basiert auf 621 Befragungen von Betroffenen. Mehr als 200 der befragten früheren Häftlinge waren selbst Zeugen des Todes von Mitgefangenen.

Nahezu alle Überlebenden seien während ihrer Haft Opfer "unvorstellbarer Misshandlungen" geworden, sagte Kommissionschef Paulo Pinheiro.

Die Überlebenden berichteten, wie Zellengenossen in der Zelle oder beim Verhör totgeprügelt wurden, an Folterwunden oder wegen nicht behandelter Erkrankungen starben. Andere Häftlinge starben laut Bericht an den Folgen "unmenschlicher Lebensbedingungen" in völlig überfüllten und unhygienischen Zellen mit nicht ausreichender Versorgung mit Essen und Wasser. Viele Überlebende berichteten, sie hätten aus der Toilette trinken müssen, um überhaupt Wasser zu bekommen.

Neben der Tötung von Häftlingen sei die syrische Regierung auch für weitere Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich, darunter Mord, Vergewaltigung, Folter und Verschleppungen, erklärten die UN-Ermittler.

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