Politik

Auf Distanz zu Merkel: Niederlande wollen Türkei nicht provozieren

Die Niederlande gehen in der Türkei-Politik auf Distanz zu Deutschland: Sie werden den Begriff Genozid für das Massaker an den Armeniern nicht verwenden. Auch Großbritannien und die USA haben bewusst auf eine Provokation der Türkei verzichtet, um ihre Sicherheitsinteressen nicht zu gefährden. Der türkische Präsident Erdogan sagt, die Bundestags-Resolution werde Auswirkungen auf das Verhältnis zu Deutschland haben.
05.06.2016 01:47
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Die niederländische Regierung wird den Begriff des „Genozids“ im Zusammenhang mit der Deportation der Armenier nach Syrien durch das Osmanische Reich im Jahr 1915 nicht verwenden. Das sagte der niederländische Vizepremier Lodewijk Asscher am Samstag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Anadolu. Asscher zufolge wird in offiziellen Papieren und Beschlüssen von „Sachverhalt“ die Rede sein, wenn es um die Umschreibung der „Vorkommnisse“ von 1915 geht.

Doch auch im US-Repräsentantenhaus wurde im vergangenen Jahr eine Resolution eingebracht, die nicht der Türkei die Alleinschuld zuspricht, sondern vor allem für die Verständigung von Armeniern und Türken vorantreiben solle. Die USA habe die Aufgabe, die türkisch-armenischen Beziehungen für die kommenden 100 Jahre zu sichern. Maßgeblich seien die Interessen beider Länder und natürlich auch die Sicherheitsinteressen der USA.

Der ehemalige US-Abgeordnete Somomon Ortiz sagte der Zeitung Hürriyet: „Im Zuge meiner 28-jährigen Amtszeit im Kongress bewegte sich die Diskussion im Rahmen von gegenseitigen Anschuldigungen. Ich möchte meine Kollegen dazu beglückwünschen, den Dialog dieser beiden starken Staaten zu unterstützen und zu fördern. Das erste Mal wurde eine Resolution auf den Weg gebracht, die sich auf die Zukunft beider Länder bezieht“.

Zuvor hatte der US-Abgeordnete Pete Clawson kritisiert, dass die Armenier-Debatte nicht fair ablaufe. Die USA hätten die Aufgabe, eine faire und neutrale Debatte zu führen und beide Seiten zu unterstützen. Der US-Abgeordnete Bill Shuster hatte in einem offenen Brief an seine Kollegen erklärt, dass es nicht die Aufgabe des US-Kongresses sei, ein von beiden Seiten „über-politisiertes“ Thema über die Stabilitäts- und Sicherheitsinteressen der Region zu stellen. Vom Konflikt im Jahr 1915, den die Armenier und die EU als Völkermord umschreiben, seien schließlich auch über zwei Millionen Muslime in der Region betroffen gewesen, die getötet wurden.

Doch auch Großbritannien ist gegen eine offizielle Einstufung als „Genozid“, berichtet die BBC.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan sagt, dass zur armenischen Frage ein Beschluss des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorliege, der der Türkei Recht gibt.

Nach der Armenien-Resolution des Bundestages hat der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan erneut Kritik an Bundestag und Bundesregierung geübt und eine Neubewertung der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich abgelehnt. „Die vom deutschen Parlament getroffene Entscheidung hat absolut keinen Wert“, sagte er nach Angaben türkischer Medien am Samstag bei einer Afrika-Reise.

Erdogan äußerte sich zudem enttäuscht darüber, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich nicht an der Debatte im Bundestag beteiligt hatte. Die Türkei dürfe auf die Vorkommnisse aber nicht überstürzt reagieren. Erdogan wörtlich:

„Deutschland, was hast du eigentlich vor? Was ist dein Problem? Sag uns das doch zuerst. Wisst ihr, was Merkel gesagt hat, als ich mit ihr gesprochen habe? Drei, vier Tage vor diesem Ereignis? Sie sagte mir, dass sie alles machen werde, was in ihrer Kraft liegt. Sag mal, liegt es etwa in deiner Kraft, nicht an der Abstimmung teilzunehmen? Wenn du an dieser Stelle eine ehrliche Haltung hättest, hättest du an der Abstimmung teilgenommen und genau so abgestimmt, wie diese eine Dame, die gegen die Resolution gestimmt hat. Dann wäre das zweite ,Nein' von dir gekommen und du hättest meinen Applaus verdient. Du hast mir doch gesagt, dass du deine Fraktion unter Kontrolle hast, oder? Doch wir haben gesehen, dass du deine Fraktion nicht unter Kontrolle hast. Das habe ich ihr auch persönlich gesagt. Sie sind nicht ehrlich, sie sind nicht aufrichtig. Ach übrigens, auch das sei gesagt: Dieser Beschluss hat weder einen Wert noch ein Gewicht. Das geht mir zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Es ist uns schlichtweg egal.“

Der Bundestag hatte am Donnerstag mit den Stimmen aller Fraktionen eine Resolution verabschiedet, in der die Tötung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern sowie Aramäern und Angehörigen weiterer christlicher Minderheiten vor rund hundert Jahren im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet wird. Zuvor hatten schon mehr als 20 Länder diese Einstufung vorgenommen, darunter Frankreich, Italien und Russland. Die türkische Regierung lehnt die Bezeichnung der Geschehnisse als Völkermord strikt ab.

Die türkische Haltung zu den Geschehnissen im Jahr 1915 sei bekannt, sagte Erdogan den Berichten zufolge. Die Entscheidung des Bundestages „wird nichts an unserer Position ändern“.

„Aber sie haben nicht die Tatsache berücksichtigt, dass sie riskieren, einen Freund wie die Türkei zu verlieren“, kritisierte der Staatschef die Bundestagsabgeordneten. Er frage sich, wie deutsche Politiker ihm nun „ins Gesicht schauen“ könnten. Die Angelegenheit betreffe aber nur die deutsch-türkischen Beziehungen und nicht das Verhältnis Ankaras zur EU.

Erdogan hatte unmittelbar nach der Bundestagsabstimmung gedroht, die Resolution werde „ernste“ Folgen für die deutsch-türkischen Beziehungen haben. Die Regierung in Ankara rief den türkischen Botschafter aus Berlin zurück und bestellte den deutschen Vertreter in Ankara ein.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Neue Bundesregierung: Union stellt Personal für Ministerposten vor – Kabinettsliste mit Manager für Digitalisierung
28.04.2025

Rund eine Woche vor der geplanten Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler der neuen Bundesregierung haben CDU und CSU ihre Besetzung der...

DWN
Technologie
Technologie Profi für Sicherheitslösungen: Bedrohungen sind alltäglich - so erhöhen Unternehmen die Cybersicherheit
28.04.2025

Cybersicherheitsabteilungen in Unternehmen ähneln zunehmend Notaufnahmen – jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Die Bedrohungen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft E-Mobilität in China: Warum der Westen zurückfällt
28.04.2025

Chinas Autobauer überrollen die E-Mobilitätswelt – effizient, günstig, selbstbewusst. Während westliche Marken im Reich der Mitte an...

DWN
Politik
Politik Nato-Beitritt Deutschlands: 70 Jahre Bündnistreue im Wandel der Sicherheitspolitik
28.04.2025

Mit einem feierlichen Festakt wird heute in Brüssel an den Nato-Beitritt Deutschlands vor fast 70 Jahren erinnert. Für den Festakt im...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: Trump glaubt an Selenskyjs Verzicht auf Krim
28.04.2025

Bislang hat Selenskyj eine Abtretung von Territorium an Russland ausgeschlossen. Trump glaubt nach einem Treffen in Rom, dass sich diese...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Ausblick: Deutscher Aktienmarkt weiterhin im Zoll-Chaos – Berichtssaison nimmt Fahrt auf
28.04.2025

Der weltweite Zollstreit dürfte auch in der kommenden Woche das Geschehen am deutschen Aktienmarkt prägen. "Aktuell ist alles an der...

DWN
Politik
Politik Friedensforschungsinstitut Sipri: Weltweite Militärausgaben erreichen neues Rekordhoch
28.04.2025

Die weltweiten Militärausgaben haben 2024 erneut ein Rekordhoch erreicht. Laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri summierten sich die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Der Seeweg kann zur neuen Umweltroute werden – so sieht das neue Klimapaket aus
28.04.2025

Die internationale Schifffahrt galt lange als Klimasünder mit Sonderstatus. Nun ändert sich das grundlegend: Die...