Politik

Spanien: Erste Rufe nach Neuwahlen, Rajoy droht Schicksal wie Papandreou

Die Krise in Spanien könnte innerhalb weniger Monate zur Ablösung von Premier Rajoy führen. Alle Institutionen des Staates haben erheblich an Vertrauen verloren. Ein politisches Chaos wie in Griechenland ist nicht auszuschließen.
23.07.2012 00:05
Lesezeit: 2 min

Die wütenden Proteste der Spanier gegen die Regierung von Premier Mariano Rajoy und eine katastrophale Kommunikation der Regierenden mit den Bürgern könnten das Land schneller als erwartet in eine ähnliche Lage wie Griechenland bringen. Die Eskalation der Gewalt deutet darauf hin, dass die Regierung die Kontrolle über die Bevölkerung verliert - was in erster Linie damit zu tun hat, dass die Spanier nicht verstehen, warum die Regierung die Banken von Europa retten läßt - und den Bürgern zugleich harte Sparmaßnahmen auferlegen will.

Der ehemalige Chefredakteur der angesehenen Zeitung El País, Jesús Ceberio, sagte der FT: „Die zentralen Einrichtungen sind schwer beschädigt. Das ist die schlimmste Krise in Spanien seit der Promulgation der Verfassung im Jahr 1978. Ich glaube, wir nähern uns einem Szenario wie mit Papandreou innerhalb eines Jahres.“ Der griechische Ministerpräsident Georgios Papandreou war, ähnlich wie Rajoy, mitten in der Krise an die Macht gekommen. Nachdem ihm das Geschehen vollständig entglitten war, musste Papandreou zurücktreten – seither ist die griechische Parteienlandschaft zersplittert, es ist kaum möglich, eine funktionsfähige Regierung für Athen zu bilden.

In Spanien ist die Lage vor allem deshalb kritisch, weil die Regierung eine katastrophale Kommunikations-Strategie verfolgt. Rajoy tritt kaum öffentlich auf. Neue Maßnahmen sickern teilweise falsch und jedenfalls verspätet durch. So hatte die Regierung das jüngste Sparpaket zuerst nur auf Englisch auf der Website des Finanzministeriums publiziert – um den internationalen Investoren zu imponieren. Als die Version dann auf Spanisch erschien, gab es eine Lücke von 10 Milliarden Euro bei den erwarteten Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen. Kein Wunder, dass die Spanier mehr als misstrauisch sind und vermuten, dass die Regierung ein doppeltes Spiel betreibt. Und selbst diese Rechnung geht nicht auf: Analysten kritisieren, dass eine Regierung auch für die Märkte nicht glaubwürdig sei, wenn sie nicht in der Lage sei, ihrem eigenen Volk die Wahrheit zu sagen. Die logische Folge: Trotz aller heldenhaft inszenierten Sparankündigungen stiegen die Zinssätze für spanische Staatsanleihen am Freitag auf ein neues historisches Hoch (hier).

Das Problem Spaniens: Keine Institution genießt noch wirklich Ansehen bei den Bürgern. Die Tatsache, dass bei dem Börsengang der Sparkassen unter dem Bankia-Dach 700.000 Kleinanleger ihr Erspartes verloren haben, hat die Bevölkerung in Rage versetzt. Und das ist noch nicht das Ende: Bei der spanischen Bankenrettung werden erneut zahlreiche Kleinanleger ihr Erspartes bei einem Schuldenschnitt verlieren (hier).

José Ignacio Torreblanca vom Europäischen Rat für Internationale Beziehungen sieht die Ursache darin, dass alle Einrichtungen von den Parteien „kolonisiert“ wurden. Nicht einmal der Verfassungsgerichtshof kann entscheiden, weil sich die Parteien gegenseitig blockieren. Dieser Missstand erinnert doch sehr an Griechenland – wo im Grunde die Parteien den Staat als ihre Privatsache betrachten und politische Entscheidungen vor allem und dem Gesichtspunkt der Parteien-Opportunität und der Selbstbedienung getroffen werden.

Hinzu kommt, dass im Grunde niemand glaubt, dass die Zentralregierung in Madrid die Regionen dazu wird bewegen können zu sparen. Bereits mehrere Regionen haben angekündigt, um Grunde zahlungsunfähig zu sein, und wollen Geld aus dem nationalen Rettungsfonds.

Die ersten Rufe, die nun bei den Demonstrationen nach Neuwahlen erschallten, könnten daher den Druck auf Rajoy signifikant erhöhen. Wenn jedoch wirklich gewählt werden sollte, werden die großen Parteien – Konservative und Sozialisten – ähnlich wie in Griechenland schwere Verluste einstecken müssen. Danach würde die Regierbarkeit noch schwerer fallen. Spanien ist von einer „nationalen Einheit“, wie viele sie jetzt fordern, weiter entfernt denn je. Sollte Spanien jedoch denselben Weg wie Griechenland gehen, wäre der Schaden für die Demokratie in Europa unübersehbar: Das zweite Land würde damit nicht nur zahlungs- und handlungsunfähig, sondern hätte jene Institutionen massiv untergraben, die zu stützen einmal eines der hehren Gründungsideale der Europäischen Union gewesen ist.

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