Politik

Die Wandlung des IWF: Vom Helfer der Bedrängten zur globalen Wirtschafts-Polizei

Der Internationale Währungsfonds spielt eine immer wichtigere Rolle in der Weltpolitik. Er agiert als Weltpolizei zur Überwachung der Einhaltung von Spardisziplin, wenn ein Staat internationale Finanzhilfe erhalten hat. Aber handelt der IWF wirklich immer im Interesse der Nationalstaaten? Oder verfolgt er eine übergeordnete Agenda? Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten beleuchten den IWF in einer Serie, wie der IWF von einer helfenden zu einer knallhart fordernden globalen Institution geworden ist.
09.09.2012 16:18
Lesezeit: 5 min

Teil 1: Quo Vadis IWF?

Als der österreichische Politiker Heinz-Christian Strache neulich in einem Fernsehinterview gefragt wurde, ob er, wenn er wolle, dass Österreich aus dem Euro austritt, nicht auch gleich fordern sollte, dass Österreich auch aus dem IWF austreten sollte, antwortete der eigentlich um keine Breitseite verlegene Politiker: „Natürlich nicht!“ Der Frager hatte unterstellt, dass die Mitgliedschaft im IWF gottgegeben sei, und selbst ein durch und durch respektloser Politiker erstarrte bei der Nennung des Namens IWF in Ehrfurcht (Interview im ORF - hier).

Weniger Kilometer weiter östlich kämpft dagegen ein anderer Politiker einen verbissenen Abwehrkampf gegen den IWF: Der ungarische Regierungschef Victor Orban, der sein Land in ein Jammertal der Schulden geführt hat, will die Auflagen des IWF nicht akzeptieren – und versucht, dem strengen Regime von Christine Lagarde zu entkommen (mehr hier).

Die EZB hat bei der Bekanntgabe ihres jüngsten Angebots an die Euro-Staaten zur Rettung beiläufig erwähnt, dass der IWF involviert sei solle, wenn die Sparauflagen der Euro-Zone erfüllt werden müssten (hier). Demnach würde in jedes Land eine der gefürchteten Troikas (auch Men in Black genannt, eine Combo von Finanzexperten aus der EZB, der EU und eben dem IWF) entsandt, die schon den Kurs in Griechenland (hier), in Portugal (hier) und in Irland (hier in Kürze) überwachen.

Allein die Erwähnung des IWF bewirkte, dass Spanien plötzlich überhaupt keine Notwendigkeit sieht sich helfen zu lassen (hier); und Italien nun fest entschlossen ist, die Krise aus eigenen Mitteln zu bestehen (hier). Der IWF seinerseits erklärte, dass er die Rolle der Überwachung in allen europäischen Rettungsprozessen übernehmen wolle (mehr hier).

Grund genug zu fragen, wer denn dieser IWF ist, woher er kommt, und welche heimliche Veränderung seiner Rolle vollzogen wird – hin von einem helfenden Partner zu einem immer mehr fordernden, global agierenden Agitations-Instrument. Der IWF ist heute mehr gefürchtet als geachtet – und das aus gutem Grund, wie wir sehen werden.

Aber der Reihe nach.

Bretton Woods in New Hampshire im April 1944. Im mondänen Hotel Mount Washington treffen sich die Notenbankgouverneure und Finanzminister von 44 Staaten (der späteren Siegerallianzen) , um - aufbauend auf den Basispapieren der Ökonomen John M. Keynes (UK) und Harry D. White (USA) -, die Neuordnung der Währungen der Welt zu beraten. Vorrangiges Ziel ist den dazumal noch goldgedeckten Dollar als Leitwährung der Weltwährung zu implementieren und daraus ableitend für jede andere Währung der Welt einen fixen Umrechnungskurs zu erstellen (ebenso wurde das Verhältnis zwischen Dollar und einer Unze Gold festgelegt). Das Bretton-Woods-Abkommen wird unter Insidern auch „White Plan“ genannt, da eine „Kombination“ der Thesen von Keynes und White nicht möglich waren, sodass nur die Pläne von White umsetzbar schienen – und auch den USA sehr entgegen kamen.

Triebfeder dieser sogenannten Weltwirtschaftsordnung war aber nicht – wie fälschlicherweise oft behauptet – die USA sondern das Vereinigte Königreich. Großbritannien war in den letzten Kriegsjahren definitiv bankrott und hätte ohne die massive Unterstützung der USA keinen weiteren (Kriegs)Tag mehr weiter überstehen können (70 Prozent der britischen Goldreserven waren, zur „Absicherung der Gläubigerforderung der USA“, damals bereits im Fort Knox).

Sozusagen als Nebenprodukte des Bretton-Woods-Abkommens wurden dann aber noch zwei Institutionen aus der Taufe gehoben: die Weltbank (erst 1945 tatsächlich gegründet; mittlerweile aufgeteilt in fünf Bereiche) und der Internationale Währungsfonds (gegründet 1944). Die Aufgaben des International Monetary Fund (IMF) wären nun folgende: Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Währungspolitik, Ausweitung des Welthandels, Stabilisierung von Wechselkursen, Kreditvergabe, Überwachung der Geldpolitik, Technische Hilfe. Anzumerken wäre noch folgendes: Beide Institutionen, Weltbank und IWF, sind „Sonderorganisationsformen der UNO“. (Auch wenn IWF und Weltbank Teile der Vereinten Nationen ist – und somit der Welt „verpflichtet“ --, sollte man nie den Einfluss der USA außer Acht lassen.)

So weit, so gut.

Die ersten Jahrzehnte nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges nahm der IWF seine Rolle so wahr, wie er eben auch von der internationalen Staatengemeinschaft angedacht war: Entwicklungs- und Schwellenländern günstige Kredite und Darlehen zu gewähren, um die Wirtschaft anzukurbeln und – letztendlich -- der Bevölkerung damit zu helfen und nicht mehr (gegebenenfalls) von Entwicklungshilfe abhängig zu sein.

Da dies aber alles in der Zeit des Kalten Krieg passierte und die USA geradezu hinter jedem Strauch einen „Roten“ vermuteten, war es für mit dem kommunistischen Manifest auch nur eher leicht sympathisierende Staaten in Asien, Afrika oder Südamerika ungeheuer schwer, an IWF-Gelder zu gelangen. Aber auch hier gab es natürlich Möglichkeiten: Je nachdem, wie stark man nun mit Marx und Engels liebäugelte – Russland half (im Rahmen seiner dazumal auch nur beschränkten Devisenvorräte; manchmal auch nur mit technischem Know-how und Ideologie).

Mitte der Achtziger des vorigen Jahrhunderts vollzog sich aber ein grundlegender Paradigmenwandel innerhalb des IWF. Dies bedeutet: Der IWF „wartete“ nicht mehr auf eine Meldung oder ein Ansuchen dieses oder jenes Staates (passive, defensive Strategie), sondern ging von sich aus auf die Staaten zu, um die Gelder anzubieten (aktive, offensive Strategie). Dieses offensive Vorgehen überlies der IWF aber auch immer öfter halbstaatlichen und privaten Agenturen, die sozusagen einmal das „Vorfeld“ bearbeiteten und die Lage sondierten. Dies war sozusagen die Geburtsstunde der „Korpokratie“ und der Maßlosigkeit war damit Tür und Tor geöffnet.

Und dies führte nicht nur einmal dazu, dass manche Staaten bzw dessen Vertreter geradezu „überzeugt“ werden mussten, die IWF-Mittel anzunehmen. Eine andere Möglichkeit war aber auch, dass der IWF „nur“ als Vermittler auftrat (in Zusammenarbeit eben mit diesen oa Agenturen).

Ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Überzeugungsarbeit bestand in der „extrapolierenden“ Ökonometrie. Die Ökonometrie ist ein Teil der Wirtschaftswissenschaften und beschäftigt sich mit (theoretischen) empirischen Modellen, unter anderem mit Investitions- und Konsumfunktionen.

Besonders „interessant“ war - und ist es noch immer - natürlich dann, wenn der Staat Rohstoff-Ressourcen vorzuweisen hatte und internationale Konzerne ins Land drängten.

Ein besonders anschauliches Beispiel eines IWF-Engagements ist das jenes (rohstoffreichen) Staates in Afrika, dem der IWF die finanzielle Hilfe zwar versagte, aber dem Land dann doch einen internationalen Saatgutkonzern „vermittelte“. Dieser Konzern gab Angola kostenlos das Saatgut (Mais). Was man nicht erwähnte, war, dass es bei diesem Saatgut um Hybridmais handelte, der zwar sehr resistent gegen Umweltbedingungen ist – aber sich eben nicht zur weiteren Aussaat eignete und das Saatgut jedes Jahr wieder neu eingekauft werden musste. So hielt man diesen Staat, dessen Politik und das Volk in wirtschaftlicher und politischer Abhängigkeit – und machte sich über die Rohstoffe her (da ja das neue Saatgut „irgendwie“ bezahlt werden musste).

Da sich solche Aktivitäten natürlich im globalen Dorf recht schnell herumsprechen, ist der IWF nun die letzten Jahre darauf bedacht, „seriöser“ aufzutreten.

Ein anderes Beispiel aus Asien (Sri Lanka) zeigt auch, dass sich die Staaten mittlerweile sehr wohl bewusst sind, welche „Risiken“ sich aus dem Engagement des IWF ergeben: Verlust der Eigenständigkeit, massive Kontrolle durch den IWF und – bei Zahlungsausfällen – direkter oder indirekter Zugriff auf die Rohstoffressourcen. Letztendlich ein Verlust der staatlichen Souveränität.

In Sri Lanka wurde vor einigen Jahren die Niederlassung des IWF geschlossen. Nicht nur Sri Lanka, sondern auch andere Länder im südostasiatischen Bereich kümmern sich jetzt eher um einen guten „Draht“ zu den Nachbarn in der Region und in ganz Asien; die Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit werden also verstärkt wahrgenommen und gefördert.

Nicht nur innerhalb des IWF war ein Paradigmenwechsel festzustellen, sondern die Staaten der Welt in Asien, Afrika und Südamerika besannen sich wieder auf Ihre Stärken und die eigene Identität , die durch die vorangegangene Kolonisation und Unterdrückung durch die westliche Lebens- und Denkweisen verschüttet waren.

Und: Sie wollen vor allem als gleichberechtigte Partner wahrgenommen werden.

Auch stellt sich für viele dieser Entwicklungs- und Schwellenstaaten die Frage nach dem Sinn des „westlichen Wegs“ von Prosperität, jährlichen (zweistelligen) Wirtschaftswachstumsraten und Turbokapitalismus.

Dass gerade der „American Way of Life“ nicht nur Vorteile bringt, ist nach dem kurzem Triumph über den Zerfall der Sowjetunion mittlerweile eine weltweit anerkannte Sicht der Realitäten. Dies läßt auch die Rolle des IWF in einem neuen Licht erscheinen. Denn der IWF hat in den vergangenen Jahren oft eine sehr unrühmliche Rolle gespielt.

Mehr dazu in Teil 2 unserer Serie, den wir in den kommenden Tagen veröffentlichen werden.

Teil 2: Big Brother unter afrikanischer Sonne

Teil 3: „Black Swan“-Ereignisse in Asien

Teil 4: Wiederentdeckung von Eldorado in Südamerika

Teil 5: Is small beautiful?

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