Aktuell: Deutschland: ESM gerät immer stärker ins Visier
George Soros hat in der New York Review of Books einen interessanten Aufsatz geschrieben: Er überlegt darin, wie es mit der Euro-Zone weitergehen könnte. Soros sieht im Wesentlichen zwei Szenarien: Die seiner Meinung nach beste wäre, wenn Deutschland sich aufraffen könnte, die Rolle einer „gütigen Hegemonial-Macht“ zu übernehmen . In diesem Fall würden die anderen Nationalstaaten mehr oder weniger von der Gnade Deutschlands leben. Dies hätte sich etwa im Fall der USA in der Vergangenheit bewährt. Auch die USA seien der heimliche Weltherrscher gewesen und hätten den anderen Staaten genug Freiraum gelassen, um sich einigermaßen gedeihlich zu entwickeln. Die schmutzigen Interventionen der USA, wenn es um ihre „nationalen Interessen“ ging (vom Vietnam bis zum Irak), erwähnt Soros nicht.
Ebenso wenig beschäftigt sich Soros mit dem Gedanken, dass es ein politisches Selbstbestimmungsrecht der Völker gibt. Er schreibt, dass Deutschland wirtschaftlich so stark sei, dass es den Rest der EU ruhig dominieren könne. Der Preis dafür wäre eine gemeinsame Schuldenübernahme – also die Tatsache, dass Deutschland für die gesamten Schulden des Euro-Raumes haften solle. Dies sei wirtschaftlich für Deutschland besser als jede andere Lösung. Diese Lösung ist allerdings vor allem für die Banken und die internationale Finanzwirtschaft besser als jede andere Lösung. Denn dann wäre sichergestellt, dass die aufgehäuften Schulden bei den Banken auch bezahlt werden. Von wem ist für Soros in diesem Fall nicht so wichtig. Allerdings, so räumt Soros ein, müssten sich die Deutschen in diesem Fall mit einer Inflation abfinden, die „vorübergehend über 2 Prozent“ liegen werde. Soros präzisiert nicht, was vorübergehend heißt (10 Jahre?), und auch nicht, wie viel die Inflation ausmachen könnte (auch 100 Prozent ist über 2 Prozent).
Mit dieser dezenten Rute im Fenster macht Soros klar, dass Deutschland seinem Plan A niemals wird zustimmen können. Er bezeichnet eine Deflation als die größte Gefahr für Europa, verschweigt jedoch, dass im Fall einer so gigantischen Schuldenlast eine Inflation nach der Deflation unausweichlich ist. Aber auch für den Rest der Euro-Zone ist das angebotene Szenario eine vergiftete Pille: Warum sollten sich Völker Europas auf einmal unter die Vorherrschaft Deutschlands begeben? Es spricht für Deutschland, dass es diese Rolle in den vergangenen Jahrzehnten stets von sich gewiesen hat. Und es mutet seltsam an, dass jene, die immer vor einer Vorherrschaft Deutschlands gewarnt hatten, diese nun als die ideale Lösung präsentieren (auch Soros selbst hat diesen Zustand noch vor wenigen Wochen als nicht wünschenswert beschrieben - zum Kurzzeitgedächtnis eines Investors mehr hier).
Die Alternative für Europa ist nach Soros‘ Meinung der Austritt Deutschlands aus dem Euro. Diese Variante findet er bei genauer Lektüre attraktiver als die erste – und vor allem viel realistischer. Denn Soros erkennt, dass das Konzept der EU in ihrer derzeitigen Form gescheitert ist. Dies nicht etwa, weil den EU-Institutionen die demokratische Legitimation fehlt, sondern weil Soros davon ausgeht, dass die deutsche Öffentlichkeit die Euro-Zone in ihrer derzeitigen Form ablehnt. Der Investor nimmt Angela Merkel ausdrücklich in Schutz. Sie sei eine pragmatische Politikerin, die ihr Fähnchen nach dem Wind richtet im Grunde immer im Interesse der EU gehandelt habe. Aber die deutsche Öffentlichkeit verstehe, angeführt von dem „irregeleiteten“ Hans Werner Sinn die Zusammenhänge nicht.
Soros ist ohnehin kein Freund der öffentlichen Meinung. Er begeht denselben Kurzschluss wie Herman Van Rompuy und all die anderen EU-Granden, die die Euro-Skeptiker gerne als Chaoten darstellen. Soros: „Gegenwärtig ist die Öffentlichkeit in vielen Ländern der Euro-Zone nervös, verwirrt und zornig. Dies findet seinen Ausdruck in Fremdenfeindlichkeit, anti-europäischen Attitüden und extremistischen politischen Bewegungen.“ Daher, so Soros, müssten sich die pro-europäischen Kräfte in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aufraffen, um dem Zeitgeist der gemeinsamen Verschuldung neuen Europa zum Durchbruch zu verhelfen. Dass man gegen ein undemokratisches, intransparentes Zentralgebilde und gleichzeitig kein Rassist sein kann, blendet Soros der Einfachheit halber aus. Dass gerade die Fehler der „Men in Black“ das Entstehen von Xenophobie befördert haben, weil sie den Verteilungskampf beschleunigt haben, kommt in der Argumentation nicht vor (jüngstes brutales Beispiel in Griechenland – hier).
Zwischen den Zeilen des Essays wird klar, dass Soros genau weiß, was er sagt, wenn er sich für eine Aufspaltung des Euro einsetzt. Das kommt nicht von ungefähr: Erst kürzlich wurde bekannt, dass Soros – wie andere Investoren auch – massive gegen den Euro spekuliert (hier). Er hat nach einer langen Pause auch wieder in Gold investiert, was ebenfalls auf die Erwartung eines Crashs hindeutet. In der FT sagte Soros einen entlarvenden Satz: „Ich bin nicht nur ein Spekulant…“ – er ergänzte, dass er auch Menschenfreund sei. Aber das „nicht nur“ sagt alles: Soros hat handfeste Interessen am Auseinanderbrechen des Euro. Seine Vision vom gespaltenen Europa schildert Soros daher in rosa Farben. War es bisher noch üblich, dass alle Spekulanten – inklusive Soros – den Zerfall der Euro-Zone als den Weltuntergang ansahen, ist Soros nun zuversichtlich, dass mit dem Austritt Deutschlands alles besser werde: Die anderen Staaten könnten Eurobonds einführen, sie würden wettbewerbsfähiger, und auch für Deutschland sei ein Zusammenbruch gar nicht schlimm. Nach einer kurzen Schreckphase – mit nicht näher bezifferten Verlusten – würde Deutschland bald wieder zu alter Stärke finden.
Soros Analyse kann als Wendepunkt in der Euro-Diskussion gesehen werden: Noch vor wenigen Monaten hatte er Angela Merkel heftig attackiert (hier – liest er seine alten Texte eigentlich nicht noch einmal?). Nun stellen sich die Wettbüros der Finanzmärkte offenbar auf den Crash ein. Und dieser kann für sie zu einem guten Geschäft werden. Ein Leser auf der FT zählt Soros‘ Track-Record mit Währungsspekulationen auf: Er habe skrupellos dazu beigetragen, das britische Pfund, den thailändischen Baht und die indonesische Rupie zu Fall zu bringen.
Für Deutschland könnte es nun interessant werden: Wenn die Finanzmärkte den Euro aufgeben und mit großen Summen gegen die gemeinsame Währung wetten, steigt die Chance, dass es zu einer Neuordnung in Europa kommt. Die Spekulanten werden dann ein gutes Geschäft machen. Es sei ihnen gegönnt, wenn es am Ende auch Deutschland und einem neu erfundenen Europa der freien Völker hilft (mehr zur Euro-Fehlkonstruktion – hier).