Politik

Merkels Ultimatum an Griechenland ist eine teuflische Falle

Lesezeit: 3 min
13.07.2015 18:34
Die Euro-Retter verlangen vom griechischen Parlament, dass es bis Mittwoch die befohlenen Gesetze verabschiedet. Erst dann gibt es Verhandlungen über Kredite. Doch dieser Deal ist eine teuflische Falle: Wenn der Bundestag nämlich am Freitag nicht zustimmt, oder die ESM-Verhandlungen scheitern, muss Griechenland einen brutalen Austeritätskurs fahren – ohne jemals auch nur einen einzigen Cent von der EU zu bekommen!
Merkels Ultimatum an Griechenland ist eine teuflische Falle

Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der EU-Deal mit Griechenland ist eine teuflische Falle – und es ist erstaunlich, dass noch niemand bisher gemerkt hat, was da gespielt wird: Die Euro-Retter haben den Griechen ein Ultimatum gestellt: Bis Mittwoch müssen die ersten Gesetze beschlossen sein, danach bis 20 Juli der Rest. Dann erst sei der Weg frei für Verhandlungen mit dem ESM. Sollte das griechische Parlament am Mittwoch die ersten Gesetze verabschieden, dann könnte der Deutsche Bundestag der Aufnahme von Verhandlungen zustimmen. Doch das weiß man nicht. Im Grundgesetz steht, dass die Bundestagsabgeordneten in der Ausübung frei seien. Wir wollen hier nicht über das mangelnde Rückgrat der von den Parteien entsandten und abhängigen Abgeordneten sprechen.

Wir wollen bei der Theorie bleiben: Es wäre theoretisch denkbar – und das wäre dann verfassungskonform –, dass man das Ergebnis einer Bundestagsabstimmung nicht vorhersehen kann. Es wäre auch denkbar, zumindest theoretisch, dass eine Regierung ein bestimmtes Ergebnis nicht einmal erzwingen kann. Parteitaktische Erwägungen müssen hier unbeachtet bleiben: Denn es geht nicht darum, dass Merkel und Sigmar Gabriel sagen, wie haben schon genug Leute, die uns gehorchen. Es könnte ja sogar ein Ereignis eintreten, dass es für die Abgeordneten unmöglich macht, neuen ESM-Verhandlungen zuzustimmen: In den vergangenen Tagen sind die Summen für den Finanzbedarf Griechenlands so gut wie stündlich gestiegen. Wir halten heute bei offiziell 86 Milliarden Euro. Es könnte also sein, dass der Deutsche Bundestag am Freitag die Aufnahme von Verhandlungen ablehnt.

In diesem Fall würde folgendes passieren: Das griechische Parlament würde am Mittwoch Steuererhöhungen und Rentenkürzungen beschließen – und würde am Freitag erfahren, dass es keine ESM-Verhandlungen gibt. Deutschland kann – im Unterschied zu den kleineren Ländern, in denen die Parlamente auch zustimmen müssen – den ESM-Prozess per Veto stoppen. Die Bundesregierung müsste das sogar – zumindest dann bei der Unterzeichnung. Deshalb hat Angela Merkel ja auch ganz raffiniert formuliert, sie werde den Bundestag „bitten“, abzustimmen.

Dann stehen die Griechen nämlich über Nacht mit gänzlich leeren Händen da: Sie haben ihre Zusage erfüllt, bekommen aber keinen Kredit. Die EZB gewährt den Griechen weiter das Gnadenbrot. 60 Euro täglich aus dem Bankomaten, bis alle Schulden abgearbeitet isnd.

Die ESM-Verhandlungen werden sich vermutlich über Monate ziehen. Wenn man bedenkt, dass schon die Verhandlungen über die letzte Tranche des zweiten Pakets sechs Monate gedauert haben und am Ende der Crash stand – wie lange wird dann über 86 Milliarden verhandelt?

Angela Merkel und die Euro-Retter zwingen also Griechenland, sich in eine Abstimmung zu begeben, bei der sie zwar den für sie verpflichtenden Teil beschließen können – auf die Gegenleistung haben die Griechen jedoch nicht den geringsten Einfluss.

Das Dilemma ist bisher nur einem aufgefallen: dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis in einem sehr hörenswerten Interview mit einen australischen Radiosender ABC. In einem anderen Interview sagte Varoufakis, er hätte bei den Euro-Gruppentreffen auch „die schwedische Nationalhymne vorsingen“ können – die Antwort wäre stets gewesen: „Es war so, als hätte ich nicht geredet.“

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble sich für das interessieren, was das griechische Parlament sagt. Da sitzen zwar noch ein paar alte Buddys von ihnen, aber im Wesentlichen ist das Parlament für CDU, CSU und SPD eine Haufen „Kommunisten“, wie ein Unionspolitiker am Montag sagte.

Das Ultimatum ist ein solch perfider Plan, dass es eigentlich für jeden Parlamentarier des Deutschen Bundestages nur eine Antwort geben dürfte: Sie müssten sich alle geschlossen verweigern – und die Abstimmung boykottieren. Und zwar nicht aus Solidarität mit „den Griechen“ – da hat ihnen die Bild-Zeitung ja offenbar erfolgreich eingeredet, dass die faul sind. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags müssten diesen Akt des Widerstands leisten, um ihren eigenen Job zu retten: Wenn nämlich Entscheidungen in der EU durch Verfahren herbeigeführt werden, die man im zivilen Leben als „Erpressung“, „Nötigung“ oder aber mindestens als „unsittlich“ qualifizieren würde, dann ist auch der Deutsche Bundestag mit einem Schlag überflüssig. Jedes Parlament kann dann von der Euro-Gruppe oder der Troika zu jeder beliebigen Entscheidung gezwungen werden. Das EU-Parlament könnte die Funktionen der nationalen Parlamente übernehmen.

Durch die Falle von Schäuble und Merkel hat Griechenland nämlich nicht die geringste Möglichkeit, sicherzustellen, dass sich die Deutschen an ihr Versprechen halten. Im normalen Rechtsleben würde man solch einen schwerwiegenden Einschnitt nur mit einer "Zug um Zug"-Regelungen wirksam vereinbaren. Doch Merkel hat den Griechen Glasperlen hingehalten, um an ihr Gold zu kommen. War das unbedacht, ein Missverständnis? Wer Merkels Hassprediger im EU-Parlament gehört hat, kann kaum noch an Zufälle glauben.

Es ist sogar denkbar, dass man darauf hinaus will: Dies würde dem Schäuble-Plan entsprechen, der eine politische Union erzwingen will. Das hat er vor vielen Jahren in einem Interview mit der New York Times gesagt –und er hat auch gesagt, dass es eine Krise braucht, um mit diesem Zwang auch durchzudringen.

Varoufakis‘ Worten zu dem Skandal ist nichts hinzuzufügen, wir bringen ihn wegen des Wortspiels auf Englisch: „In 1967, there was a coup in Greece with tanks. In 2015 we have a coup with banks.“ (1967 übernahm das Militär die Macht mit Panzern, 2015 sind Banken – die geschlossen bleiben und die Leute daher ängstigen – die neuen Waffen).

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..



DWN
Finanzen
Finanzen Smallcap-Aktien: Lohnt sich ein Investment?
29.03.2024

Nebenwerte sind derzeit relativ gering bewertet und könnten von Zinssenkungen profitieren. Macht ein Einstieg Sinn für risikobereite...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Erholung der deutschen Wirtschaft verzögert sich
29.03.2024

Europas größte Volkswirtschaft kommt nicht richtig in Fahrt. Die Aussichten für die nächsten Monate sind nach Experteneinschätzung...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Reiseziele: So manche Überraschung im Sommerflugplan
29.03.2024

Ab Ostern tritt an den deutschen Flughäfen der neue Sommerflugplan in Kraft. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben für Sie als Leser...

DWN
Politik
Politik Vor 20 Jahren: Größte Erweiterung der Nato - eine kritische Betrachtung
29.03.2024

Am 29. März 2004 traten sieben osteuropäische Länder der Nato bei. Nicht bei allen sorgte dies für Begeisterung. Auch der russische...

DWN
Technologie
Technologie Viele Studierende rechnen mit KI-Erleichterungen im Joballtag
29.03.2024

Vielen Menschen macht Künstliche Intelligenz Angst, zum Beispiel weil KI Arbeitsplätze bedrohen könnte. In einer Umfrage stellte sich...

DWN
Politik
Politik Verfassungsgericht stärken: Mehrheit der Parteien auf dem Weg zur Einigung?
28.03.2024

Das Verfassungsgericht soll gestärkt werden - gegen etwaige knappe Mehrheiten im Bundestag in aller Zukunft. Eine Einigung zeichnet sich...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschlands maue Wirtschaftslage verhärtet sich
28.03.2024

Das DIW-Konjunkturbarometer enttäuscht und signalisiert dauerhafte wirtschaftliche Stagnation. Unterdessen blieb der erhoffte...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Lauterbach will RKI-Protokolle weitgehend entschwärzen
28.03.2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat angekündigt, dass einige der geschwärzten Stellen in den Corona-Protokollen des RKI aus der...