Politik

Flüchtlings-Krise: Deutsche haben Vertrauen in Regierung verloren

Eine aktuelle Studie zeigt: Die Bundesregierung hat mit ihrer Handhabung der Flüchtlingskrise das Vertrauen der Deutschen massiv verspielt: Zwei Drittel sind der Ansicht, dass die Politiker ihren Aufgaben nicht gewachsen und die Behörden mit der Krise überfordert sind. Der Studienleiter sieht „ein katastrophales Urteil für die politische Klasse“.
13.07.2016 02:32
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Nachrichten über Terroranschläge und gewaltbereite Extremisten, harte Auseinandersetzungen über die Flüchtlingskrise und die Einwanderungspolitik: Die aktuellen politischen Themen treiben die Sorgen der Deutschen auf Spitzenwerte – so das Ergebnis der repräsentativen R+V-Studie „Die Ängste der Deutschen 2016“.

„Nie zuvor im Laufe unserer Umfragen sind die Ängste innerhalb eines Jahres so drastisch in die Höhe geschnellt wie 2016“, so Brigitte Römstedt, Leiterin des Infocenters der R+V Versicherung, am Dienstag in Berlin. „Die Attentate der Terror-Miliz IS in Europa schüren die Angst vor terroristischen Anschlägen massiv. Sie steigt um 21 Prozentpunkte und erreicht damit ihren bisherigen Höchstwert – und erstmals Platz 1 unseres Ängste- Rankings.“ Extrem angewachsen sind auch die Ängste vor politischem Extremismus und vor Spannungen durch weiteren Zuzug von Ausländern. Beide Themen schrecken in diesem Jahr mehr als zwei Drittel aller Bundesbürger und klettern auf die Plätze 2 und 3. Auffällig: Die überwiegende Mehrheit der Deutschen befürchtet auch, dass die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind und dass die Behörden bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise überlastet sind.

Zum 25. Mal hat das R+V-Infocenter rund 2.400 Bürger nach ihren größten politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Sorgen befragt. Der Angstindex – der Durchschnitt der langjährig abgefragten Sorgen – steigt sprunghaft um 10 Prozentpunkte und erreicht mit 49 Prozent ein enorm hohes Niveau. Das resultiert aus dem ungewöhnlich hohen Anstieg einzelner Sorgen: Ganze zwölf der insgesamt 20 abgefragten Ängste überspringen zum Teil deutlich die 50-Prozent-Marke. Im vergangenen Jahr ängstigten nur vier Themen mehr als die Hälfte der Befragten.

Das Jahr der Ängste

„2016 ist das Jahr der Ängste“, kommentiert Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politologe an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und Berater des R+V-Infocenters, dieses Ergebnis. Er registriert „erdrutschartige Verschiebungen“ im Ranking: „Die Sorgen um Geld, Gesundheit und Umwelt – in früheren Jahren noch Top-Themen – sind nicht verschwunden. Aber jetzt werden sie von schwerwiegenden Gefährdungen wie Terror, Extremismus oder EU-Schuldenkrise überlagert.“ 2016 kommt ein weiterer Angstfaktor hinzu, so Professor Schmidt: „Die große Mehrheit der Deutschen ängstigt der Kontrollverlust des Staates in der Flüchtlingskrise und die Überforderung der Politiker – ein katastrophales Urteil für die politische Klasse.“ Konkret: Zwei Drittel der Bundesbürger befürchten, dass die große Zahl der Flüchtlinge die Deutschen und ihre Behörden überfordert (66 Prozent) und dass die Politiker ihren Aufgaben nicht gewachsen sind (65 Prozent).

Angst vor Eskalation der Gewalt und vor Konflikten durch Zuwanderung

Unter dem Eindruck der Attentate der IS-Terrormiliz und der Flüchtlingswelle in Europa hat sich das Bedrohungsgefühl der Bundesbürger gravierend erhöht. Professor Schmidt nennt die Gründe: „Terroranschläge, Ausschreitungen von Extremisten, aber auch die politische Polarisierung infolge der unkontrollierten Massenzuwanderung erschüttern das ausgeprägte Sicherheitsbedürfnis der Deutschen.“ Die intensive Berichterstattung in den Medien sensibilisiert die Bürger noch weiter, ebenso wie Warnungen des Bundeskriminalamts, dass Deutschland im Visier von Terroristen ist. Wie schon im Vorjahr ist die Angst vor Terror am stärksten gestiegen – bei Männern und Frauen, in Ost und West. Sie springt mit 73 Prozent (+ 21 Prozentpunkte) von Platz 3 erstmals auf den Spitzenplatz der Umfrage.

Interessant ist hier auch ein Blick auf den Langzeitvergleich: „Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York 2001 hat sich die Angst vor terroristischen Attentaten im Durchschnitt der Jahre bis 2014 nahezu verdoppelt – und nahm 2015 und vor allem 2016 noch weiter zu“, so Brigitte Römstedt. Politischer Extremismus, der vor einem Jahr etwa die Hälfte der Bevölkerung beunruhigte, schreckt jetzt über zwei Drittel der Deutschen (68 Prozent) – Platz 2 des diesjährigen Ängste-Rankings. Höher als je zuvor ist auch die Befürchtung, dass es durch weitere Zuwanderung zu Spannungen zwischen Deutschen und hier lebenden Ausländern kommen könnte. Nach einem Zuwachs um 18 Prozentpunkte klettert diese Angst mit 67 Prozent von Platz 4 auf Platz 3 der Skala.

Angst vor Kosten der Euro-Schuldenkrise 

Erhebliche Sorgen bereitet den Deutschen 2016 erneut die Angst ums Geld. Allerdings hat sich die Ursache in Laufe der Studie verschoben. „Nach der Einführung der Euro-Währung war die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten jahrelang der Angstmacher Nummer 1 und stand insgesamt 11 Mal an der Spitze des Ängste-Rankings, zuletzt 2010“, sagt Römstedt. Seit sechs Jahren sind die Kosten der Euro-Schuldenkrise in den Vordergrund gerückt.

2016 befürchten 65 Prozent (2015: 64 Prozent) der Befragten, dass die Euro-Schuldenkrise teuer für den Deutschen Steuerzahler wird.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Friedensverhandlungen ohne Putin, Trump und Selenskyj: Lawrow lästert über Selenskyj und schimpft auf Berlin
15.05.2025

Friedensverhandlungen in Istanbul: Der russische Außenminister Lawrow fordert, den Gesprächen eine Chance zu geben – und zieht...

DWN
Finanzen
Finanzen 33 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen: Wirtschaftskrise kommt beim Bund an - Schätzungen sehen deutlichen Rückgang
15.05.2025

Der schwarz-roten Regierung stehen bis 2029 für die Umsetzung ihrer Koalitionsversprechen 33,3 Milliarden Euro weniger zur Verfügung....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Nach Trump-Zöllen: Weltweit schwindet bei Investoren die Angst vor einer Rezession
15.05.2025

Investoren weltweit atmen auf: Die Angst vor einer Rezession schwindet rapide – dank einer Entspannung im Handelsstreit zwischen den USA...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Lieferketten am Limit: Handelskrieg bringt globale Versorgung ins Wanken
15.05.2025

Die globale Lieferketten geraten durch den Handelskrieg zwischen den USA und China massiv unter Druck. Trotz Zollpause bleiben...

DWN
Finanzen
Finanzen Massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben: Deutschland für höhere Militärausgaben trotz Wirtschaftskrise
15.05.2025

Verteidigungsminister Wadephul stellt sich hinter die Forderung des US-Präsidenten Trump für höhere Verteidigungsausgaben der...

DWN
Politik
Politik Rüstungsskandal bei der Nato: Verdacht auf Bestechung und Geldwäsche – Behörden ermitteln gegen Nato-Mitarbeiter
15.05.2025

Über die Nato-Beschaffungsagentur NSPA werden Waffensysteme und Munition im Milliardenwert eingekauft. Nun gibt es den Verdacht, auf...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Externe IT-Dienstleister: So teuer ist das Auslagern wirklich
15.05.2025

In ganz Europa setzen Organisationen auf externe IT-Dienstleister – und geraten dabei zunehmend in eine Falle: Der Einkauf orientiert...

DWN
Politik
Politik Frühere AfD-Chefin: Frauke Petry kündigt Gründung neuer Partei an - Alternative für die FDP?
15.05.2025

Die frühere Vorsitzende der AfD will vom kommenden Jahr an mit einer neuen Partei bei Wahlen antreten. Ziel der Partei soll sein, dass...