Politik

Macron-Leaks enthüllen: Machtwechsel in Paris von langer Hand geplant

Lesezeit: 4 min
14.05.2017 00:52
Eine Analyse der Libération zeigt: Der Machtwechsel in Frankreich war von langer Hand geplant und perfekt organisiert. Schon als Wirtschaftsminister hatte Macron die Weichen gestellt.

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Viele Beobachter haben sich die Augen gerieben, als scheinbar aus dem Nichts ein angeblich „unabhängiger“ politischer Außenseiter als neuer Stern am politischen Himmel erschien – und im Handstreich die Wahl gewann. Einige Tage nach der zweiten Runde lichten sich die Nebel, und es wird klar: Der Machtwechsel war von langer Hand geplant. Die "Bewegung" von Präsident Emmanuel Macron ist eine zentralistisch geführte sozialdemokratische Abspaltung von der Sozialistischen Partei mit einem Programm, das keine wesentliche Veränderung zum Status quo enthält. Der Machterhalt als Selbstzweck – die Überraschung ist gelungen.

Wer steht personell und finanziell hinter Macron? Das war bis vor kurzem geheim und Treibsatz für allerlei Spekulationen. Die treibenden Köpfe von EM waren ursprünglich zumeist Sozialisten, teilweise sogar prominente. Förderer der ersten Stunde war der populäre sozialistische Bürgermeister von Lyon Collomb. Andere prominente Unterstützer waren ranghohe Mitarbeiter von Macron, von Hollande oder Manuel Valls, das heißt hohe Kader in der Regierung des Präsidenten Hollande. Kurz gesagt sind es zentrumsnahe Sozialdemokraten, denen die innerparteiliche Blockadesituation bei der Arbeitsmarktreform von Macron einerseits, das drohende Debakel der Sozialisten gegen die Konservativen die Idee einer "neuen Bewegung" attraktiv erscheinen ließ. Alter Wein in neuen Schläuchen ist die eine klar erkennbare Seite von RM.

Die andere Seite betreffen Förderer aus dem Wirtschaftsmilieu, die früh auf Macron gesetzt und die finanziellen Mittel für die Kampagne bereitgestellt haben. Die linksliberale Zeitung Libération hat die kurz vor dem zweiten Wahlgang veröffentlichten, in Frankreich aber bis zu den Wahlen verbotenen "Macron-Leaks" minutiös ausgewertet und mit eigenen Recherchen überprüft. Die Zeitung präsentiert mehrere bemerkenswerte Ergebnisse. Das wichtigste: Aus den Dokumenten geht hervor, dass die Kampagne bereits anlief, als Macron noch Wirtschaftsminister in der Regierung Valls war.

Macron sprach also in den ersten Monaten noch als Wirtschaftsminister mit den ersten großen und wichtigen Geldgebern, ein durchaus problematischer Aspekt, weil er auf diese Weise seine staatliche Position zu Parteizwecken missbraucht hat. Das Team Macrons war sich der Problematik offenbar bewusst: Wichtige Namen wurden nicht über Email kommuniziert, sondern über den verschlüsselten Messenger-Dienst Telegram.

Macron sammelte auch Gelder von Franzosen im Ausland, besonders in London und teilweise in New York. Vor Journalisten posierte er dort auch mit dem Wirtschafts-Nobelpreisträger Stiglitz. Insgesamt sammelte er rund 15 Millionen Euro, alles von Privatpersonen. 1,7 Prozent der Geldgeber gaben 45 Prozent der Gelder. 1,9 Millionen Euro sammelte er ein, als er noch Wirtschaftsminister war.

Die Operation war wie ein amerikanisches "Fundraising" angelegt und straff durchorganisiert. Die Begriffe waren aus dem Investemtbanking, etwa, wenn es zu einem bestimmten Zeitpunkt hieß, dass noch fünf Millionen an "equity" fehlten. Der Begriff zeigt, dass die Spender nicht selbstlos helfen sollten, sondern ihre Interessen in der künftigen französischen Politik platzierten.

Die Parteienfinanzierung ist in Frankreich sehr streng geregelt. Es gibt eng begrenzte Maximalbeträge pro Person, und Unternehmen sind ausgeschlossen.

Die Liste EM hat gegen keinerlei Regeln verstoßen, sondern äußerst geschickt ihre beschränkten personellen Mittel eingesetzt. So wurden Spenden zurückgeschickt, die den gesetzlich erlaubten Maximalbetrag überschritten, und nicht verwendet, wenn sie von einem Spender mit einem Bezug zum Wirtschaftsministerium erfolgten. Die Spenden-Kampagne wurde generalstabsmäßig geplant, mit Zusammenkünften, Präsentationen, Einladungen, Mittag- oder Nachtessen etc. mit ausgesuchten Personen.

Die meisten Spender stammen aus Banken, Finanzinstitutionen, französischen Start-ups im Technologiebereich und Anwaltskreisen. Als Helfer erwähnt sind bei der Libération hochrangige Manager bei der BNP Paribas und der britischen HSBC. So nennt die Zeitung Christian Deseglise, der bei der britischen Bank zuständig unter anderem für Zentralbanken und Staatsanleihen. Er stellte unter anderem Kontakte zu amerikanischen Private Equity Unternehmen her. In einer Email ließ Deseglise keinen Zweifel an den Absichten der Bewegung: Ein Meeting mit Financiers in New York sollte zwei Zwecken diesen: dem "Kennenlernen der großen Themen der Präsidentschaftskampagne" und "dem Einsammeln von Spenden".

Wichtig war immer das Netzwerk der Spender. Die Teilnehmer konnten viele Kollegen und Bekannte überzeugen, ebenfalls zu spenden. So ergab sich eine Multiplikator-Wirkung der Marketing-Kampagne.

Ein Chef eines großen Unternehmens beschreibt die Kampagne von Macron im Vergleich mit derjenigen der Konservativen: Die Kampagne der Konservativen sei wie das Marketing eines CAC-40 Unternehmens: Schwerfällig, hoch bürokratisch, mit sklerotisierenden Sitzungen und fruchtlosem Gelaber. Die Kampagne von Macron sei dagegen wie das Marketing eines erfolgreichen Start-up Unternehmens: Erfrischend, ideenreich, mit genauer Zielgruppenanalyse und äußerst konzentriert. Die Präsentationen wurden bis auf die Minute geplant, oft waren es nur Auftritte von 15 oder 20 Minuten, einer nach dem anderen.

Eine ganz wichtige Rolle für den Erfolg von Macron spielte der Zentrist Bayrou. Seine demonstrative und öffentliche politische Unterstützung brachte die Kampagne von Macron richtig zum Laufen.

Nach der Veröffentlichung der Namen der 428 Kandidaten auf der Liste RM brach Bayrou in Zorn und Protest aus und enthüllte, was vorher nicht bekannt war: Die Kandidatenliste verstoße in jeder Form gegen die Abmachungen, die er und Macron schon beim ersten Treffen vorgenommen hätten. Seiner Partei MoDem seien ein Viertel aller Kandidaten versprochen worden statt der 38 Namen, knapp 8% jetzt Zugeteilten. Stattdessen habe Macron eine Operation der Wiederverwertung (frz. ‚recyclage‘) der sozialistischen Partei organisiert. Die große ‚Waschmaschine‘ (‚lessiveuse‘) führe zu einer massiven Überrepräsentation der Sozialisten auf der Liste RM. Die rezyklierten Sozialisten stellen effektiv den Kern der 428 Delegierten dar, es handelt sich um nicht weniger als 153, nicht alles, aber viele ex-sozialistische Abgeordnete.

Kein einziger Konservativer hat den Weg auf die Liste gefunden. Die ausgewählten Kandidaten sind im Übrigen sorgfältig handverlesen. Sie werden durch ein kleines Nominations-Komitee bestimmt, und letzten Endes von Macron persönlich abgesegnet. Macron stellt so sicher, dass gefügige und keinesfalls aufmüpfige, von den lokalen Parteimitgliedern nominierte Abgeordnete wie früher in der sozialistischen Partei in die Nationalversammlung kommen. Sie kandidieren dort, wo sie Wahlchancen haben.

Umgekehrt verzichtet RM auf Kandidaten in den Wahlkreisen, wo es prominente Sozialisten wie den früheren Premier Valls oder sechs andere aktuelle Minister gibt. Auch wo zentrumsnahe prominente Konservative kandidieren, verzichtet die Liste auf eigene Kandidaturen. Den Rest bilden mehr oder weniger unbekannte bisher in der Politik nicht in Erscheinung getretene Personen. Bayrou hat übrigens mit seiner Enthüllung augenblicklich Erfolg gehabt. Seiner Partei MoDem sind nach Diskussionen mit Macron innert weniger als 24 Stunden über 100 Kandidaten für die Liste bei den Legislativwahlen zugeteilt worden.


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