Die EU-Staaten haben ihre Sanktionen gegen die syrische Regierung von Baschar al-Assad um ein weiteres Jahr bis zum 1. Juni 2018 verlängert. Die "Strafmaßnahmen" werden laut dpa mit dem Vorgehen der Führung des Landes gegen die Zivilbevölkerung begründet. Die Maßnahmen sind sehr weitreichend und haben seit ihrem Inkrafttreten die Wirtschaft in Syrien faktisch lahmgelegt. Die Sanktionen bestehen aus einem Ölembargo und Investitionseinschränkungen. Vermögen der syrischen Zentralbank innerhalb der EU ist eingefroren und es gilt ein Exportverbot für Güter, die zur Überwachung und Unterdrückung der Bevölkerung eingesetzt werden könnten.
Auch drei Minister wurden auf die Liste gesetzt. Es handelt sich um Hischam al-Schaar (Justiz), Samer al-Chalil (Wirtschaft und Handel) und Salam al-Saffaf (Verwaltung), wie die dpa erfahren haben will. Damit hat die Europäische Union insgesamt 240 Personen und 67 Körperschaften mit Reiseverboten und Vermögenssperren belegt.
Die Sanktionen haben vor allem eine verheerende Wirkung auf die Zivilbevölkerung. Auf den Tag genau vor einem Jahr hatten sich die Vertreter der christlichen Religion an die EU gewandt und die Aufhebung der Sanktionen erbeten - weil die Sanktionen nicht den Machthabern im Land schaden, sondern der Bevölkerung.
Ein UN-Report hatte vor einigen Monaten aufgezeigt, dass die Sanktionen direkt gegen die Zivilbevölkerug wirken. In einer ausführlichen Analyse kamen die Vereinten Nationen zu dem Schluss, dass die Sanktionen nicht den Eliten in Damaskus schade, sondern der Bevölkerung.
Die UN-Experten erklären die Sanktionen als ein „komplexes Netzwerk ökonomischer Sanktionen, die gegen die Regierung von Syrien sowie gegen bestimmte Einrichtungen und Individuen gerichtet sind, denen Verstöße gegen die Menschenrechte vorgeworfen werden.“ Die Sanktionen und Exportkontrollen der Europäischen Union beinhalten die Einfrierung von Wertanlagen und strenge Einschränkungen der Finanzgeschäfte europäischer Banken in Syrien.
Das Sanktionsprogramm der USA übertrifft jene der EU, schreiben die Vereinten Nationen. Es herrsche ein generelles Exportembargo und scharfe Finanz-Restriktionen. „Aktivitäten von Amerikanern und Nicht-Amerikanern und Organisationen sind mit Verweis auf die US-amerikanische Rechtsprechung beschränkt. Weil die USA Syrien als Staatssponsor des Terrorismus bezeichnet haben, gibt es ein Exportverbot für nahezu alle Waren, die in den USA produziert wurden. Das Verbot schließt außerdem Waren ein, in denen US-Vorprodukte zehn Prozent oder mehr des Gesamtwertes ausmachen.“
Die Vereinten Nationen stellen in ihrem Bericht fest, dass zu bezweifeln ist, dass die Sanktionen ihren beabsichtigten Zweck erfüllen. Zudem wären Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung zwar möglich, würden von den Sanktionsbestimmungen aber massiv erschwert: „Hilfsorganisationen berichten ständig, dass die Art der Verbote, Lizenzen und Exportbestimmungen schwierig zu verstehen sind und häufig einer kostspieligen juristischen Beratung bedürfen und als Hindernis einer schnellen Abwicklung der humanitären Hilfen fungieren.“ Dasselbe gilt für den Wiederaufbau: Baufirmen könnten nicht tätig werden, die Infrastruktur könne nicht wieder hergestellt werden. Auch die Finanzierung von Aufbau-Projekten ist faktisch unmöglich. Damit werden auch jene Regionen gestraft, in denen es gelungen ist, die Kämpfe zu beenden.
Bereits vor einem Jahr hatte Russland angeregt, sich rechtzeitig mit dem Wiederaufbau Syriens zu beschäftigen. Doch auch den Russen sind wegen der Sanktionen die Hände gebunden, vor allem, weil die Banken-Infrastruktur faktisch lahmgelegt ist.
Die Vereinten Nationen kommen zu dem Schluss, dass die Aufrechterhaltung der Sanktionsregime eine wirkungsvolle Hilfe für die Zivilbevölkerung Syriens dauerhaft behindert: „Die kombinierten Effekte der allumfassenden, unilateralen Sanktionen, Sorgen bezüglich des Terrors und die angespannte Sicherheitslage haben immense Hürden für jene geschaffen, die humanitäre Hilfe liefern möchten. (…) In Fällen, in denen Hilfen erlaubt sind, berichten Nichtregierungsorganisationen von signifikanten Verzögerungen bei der Abwicklung von Zahlungen oder der Lieferung von Waren.“
Unter dem Titel „Basta sanzioni alla Siria e ai Siriani“ forderten die Führer der christlichen Kirchen ein Ende der EU-Sanktionen gegen das syrische Volk. Wir dokumentieren den Appell von 2016, der nichts an Dramatik verloren hat (Übersetzung: Bernd Duschner):
2011 hat die Europäische Union beschlossen, Wirtschaftssanktionen gegen Syrien zu verhängen. Die EU stellte sie als „Sanktionen gegen Persönlichkeiten des Regimes“ dar. Tatsächlich verhängte sie gegen das ganze Land ein Öl-Embargo, eine Blockade jeglicher Finanztransaktionen und ein Handelsverbot für sehr viele Güter und Produkte. Diese Maßnahmen sind immer noch in Kraft. Dagegen wurde 2012 aufgrund einer schwer verständlichen Entscheidung das Öl-Embargo für die Regionen aufgehoben, die die bewaffnete und dschihadistische Opposition kontrolliert. Dadurch sollen offenkundig den sogenannten „revolutionären Kräften und der Opposition“ wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
In diesen 5 Jahren haben die Sanktionen gegen Syrien dazu beigetragen, die syrische Gesellschaft zu zerstören: Sie lieferten sie dem Hunger, Epidemien und Elend aus und arbeiten somit den Milizen von Integralisten und Terroristen, die heute auch in Europa zuschlagen, in die Hand. Die Sanktionen vergrößern die Schäden durch den Krieg, der bereits zu 250.000 Toten, 6 Millionen Vertriebenen und 4 Millionen Flüchtlingen geführt hat.
Die Situation im Syrien-Konflikt ist verzweifelt: Es fehlt an Lebensmitteln, es herrscht eine allgemeine Arbeitslosigkeit, medizinische Behandlungen sind unmöglich geworden, Trinkwasser und Strom sind rationiert. Dazu kommt, dass das Embargo die Syrer, die sich bereits vor dem Krieg im Ausland niedergelassen haben, daran hindert, ihren Verwandten und Familienangehörigen im Heimatland Geld zu überweisen. Selbst Nichtregierungsorganisationen, die Hilfsprogramme durchführen möchten, können ihren Mitarbeitern in Syrien kein Geld schicken. Firmen, Stromwerke, Wasserwerke, und Krankenhäuser sind gezwungen, zu schließen, weil sie keine Ersatzteile und kein Benzin bekommen können.
Heute sehen die Syrer nur eine Möglichkeit für das Überleben ihrer Familien: die Flucht aus ihrem Land. Aber auch diese Lösung stößt auf nicht wenige Schwierigkeiten und führt zu hitzigen Auseinandersetzungen innerhalb der Europäischen Union. Es kann nicht sein, dass die Flucht die einzige Lösung ist, die die internationale Gemeinschaft diesen Menschen in ihrer Not noch lässt.
Wir unterstützen deshalb alle Initiativen humanitären Charakters und alle Initiativen für den Frieden von Seiten der internationalen Gemeinschaft, insbesondere die schwierigen Verhandlungen in Genf. In der Erwartung und der Hoffnung, dass sie nach so vielen bitteren Enttäuschungen ein konkretes Ergebnis bringen, fordern wir, dass die Sanktionen, die im tagtäglichen Leben jedes Syrers zu spüren sind, unverzüglich aufgehoben werden. Ohne konkrete Anstrengungen für die Menschen, die heute unter den Folgen des Embargos leiden, kann es nicht zu dem ersehnten Frieden kommen. Die Auswirkungen des Embargos lasten auf dem ganzen Volk.
Das Gerede über die Kriegsflüchtlinge aus Syrien sieht nach purer Heuchelei aus, solange man gleichzeitig, diejenigen, die in Syrien bleiben, weiter aushungert, ihnen die medizinische Versorgung, Trinkwasser, Arbeit, Sicherheit und die elementarsten Rechte verweigert.
Wir wenden uns deshalb an die Abgeordneten und Bürgermeister jedes Landes, damit
die Bürger der Europäischen Union (bis heute absolut unwissend) über die Ungerechtigkeit der Sanktionen gegen Syrien informiert werden und die Sanktionen endlich Gegenstand einer ernsthaften Debatte und entsprechender Beschlüsse werden.
Unterzeichner:
Georges Abou Khazen, Apostolischer Vikar von Aleppo
Pierbattista Pizzaballa, Kustos emeritus des Heiligen Landes
Josef Tobji, Erzbischof der Maroniten von Aleppo
Boutros Marayati, Armenischer Bischof von Aleppo
Die Schwestern der Kongregation des heiligen Josef der Erscheinung des Krankenhauses „Saint Louis“ von Aleppo
Ordensgemeinschaft der Trappistinnen in Syrien
Dr. Nabil Antaki, Arzt in Aleppo von der Ordensgemeinschaft der Gesellschaft Maria
Die Schwestern der Kongregation der immerwährenden Hilfe - Zentrum für Minderjährige und Waise von Marmarita
Pater Firas Loufti, Franziskaner
Jean – Clement Jeanbart, griechisch-orthodoxer Erzbischof von Aleppo
Jacques Behnan Hindo, syrisch-katholischer Bischof von Hassake – Nisibi
Mtanios Haddad, Archimandrit der katholisch-melkitischen Kirche
Hilarion Capucci, emerit. Erzbischof der melkitischen griechisch-kath. Kirche
Ignaz Youssef III Younan, Patriarch der unierten syrisch-kath. Kirche von Antiochien
Georges Masri, Prokurator beim Heiligen Stuhl der syr.isch-kath. Kirche
Gregor III Laham, Patriarch der melkitisch griechisch-kath. Kirche