Finanzen

Ökonom: Abschaffung von Bargeld ist verheerend für die Demokratie

Lesezeit: 7 min
11.06.2017 02:15
Der Ökonom Norbert Häring sieht in der schleichenden Abschaffung von Bargeld eine Bedrohung für die Demokratie.

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Für den Ökonomen Norbert Häring geht es bei der geplanten Bargeldabschaffung nicht nur um eine Beilegung der Schuldenkrise, sondern auch um die Überwachung der Bürger und die Stärkung der Wall Street. Für die Demokratie sei die Entwicklung verheerend, sagt er im Interview mit den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ließe sich die weltweite Schuldenkrise durch eine Bargeldabschaffung in den Griff bekommen?

Norbert Häring: Eine akute Krise würde ich weltweit nicht mehr diagnostizieren. Nur in Europa hat sich die Bankenkrise nach den teuren Rettungsaktionen in eine hartnäckige Staatsschuldenkrise verwandelt, weil die Notenbank den Staaten erst geholfen hat, als der Zusammenbruch der Währungsunion drohte. In den USA hat die Zentralbank die Schulden des Staats frühzeitig durch frisches Geld aufgekauft und bedient.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die hohe Verschuldung von Staaten und Privatwirtschaft ist also kein Problem?

Norbert Häring: Doch, schon. Ein großes sogar. Der Schuldenüberhang muss aus der laufenden Produktion und den laufenden Einkommen bedient werden. Er führt dazu, dass die Produktionskosten steigen und die Einkommen der Nicht-Kapitalbesitzer sinken. Das geht nicht ewig gut. Irgendwann müssen die Schulden abgeschrieben werden und dann droht die nächsten Banken- und Finanzkrise. Mit dieser umzugehen wird leichter, wenn Bargeld keine nennenswerte Rolle mehr spielt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum das?

Norbert Häring: Das Problem der Banken ist, dass sie jederzeitige Auszahlung von Giroguthaben versprechen, das aber nur halten können, wenn wenige davon Gebrauch machen. Denn sie können zwar nach Belieben Giralgeld schaffen, aber kein Bargeld selbst drucken. Gibt es kein Bargeld mehr, muss das Bankensystem insgesamt seine Schulden bei Einlegern nie mehr begleichen. Das Geld wird im Bankensystem eingesperrt. Es kann zwar von einer Bank zur anderen transferiert werden, das Bankensystem aber nicht mehr verlassen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was meinen Sie mit „die Banken schaffen Giralgeld“?

Norbert Häring: Wenn eine Bank mir einen Kredit von 100.000 Euro gibt, dann schreibt sie mir einfach ein Guthaben von 100.000 Euro auf dem Girokonto gut. Das ist neues Geld, das ich zum Zahlen von Rechnungen verwenden kann – und der Empfänger auch wieder. Es war vorher nicht da. Das ist eine Schuld der Bank mir gegenüber, von der die Bank als Teil des Bankensystems erwartet, dass sie diese Schuld nie begleichen muss. Denn als Teil des Bankensystems bekommt sie ungefähr so viel neues Geld von anderen Banken überwiesen, wie ihre Kunden Giralgeld an andere Banken wegüberweisen. Auf der Gegenseite trägt die Bank eine langfristige Forderung an mich ein, die einen höheren Zins trägt, und die ich auf jeden Fall bei Fristablauf begleichen muss.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Der Kredit wäre eine Schuld der Bank Ihnen gegenüber?

Norbert Häring: Mir gehört praktisch ein Schuldschein der Bank. Mehr nicht. Weil dieser Schuldschein aber als Geld fungiert, wird er normalerweise nicht eingelöst, sondern immer weitergereicht. Wenn die Bank mir Kredit gibt, gibt sie mir kein Geld, sondern so einen Geld-Schuldschein, der wie Geld behandelt wird.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Aber wenn eine Bank mehr Schulden als Vermögen hat, ist sie doch trotzdem pleite, auch wenn kein Bargeld abfließen kann?

Norbert Häring: Das stimmt. Eine einzelne, nicht zu große Bank darf dann auch pleite gehen. Eine große Bank, oder viele Banken aber nicht. Wenn etwas schiefgeht, etwa weil sie sich verspekuliert haben, werden sie gerettet. Wir haben jetzt den Vorrang der Gläubigerhaftung im Gesetz. Bevor der Staat hilft, müssen die Gläubiger bluten. Das sind vor allem die Einleger. Damit man sie enteignen kann, muss man sie erst am Weglaufen hindern, indem man ihnen die Möglichkeit nimmt, sich das Geld bar auszahlen zu lassen, und so nicht mehr Gläubiger der Banken zu sein.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie muss man sich das vorstellen? Eine Entwertung der Bankeinlagen wie in Zypern um bis zu 50 Prozent?

Norbert Häring: Das ist der mögliche, aber eher unwahrscheinliche harte Schnitt zur Sanierung der Banken. Wenn man nicht mehr auf Bargeld ausweichen kann, geht das auch gradueller. Bei einem Negativzins von minus 5 Prozent, sind die Guthaben nach ein paar Jahren genug entwertet, um die Banken wieder solvent zu machen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer würde durch derartige Maßnahmen besonders getroffen?

Norbert Häring: Alle, die in größerem Umfang Guthaben auf Bankkonten halten. Das sind vor allem die mit mittleren Einkommen und Vermögen – entweder direkt oder über die Bankeinlagen ihrer Versicherer und Pensionskassen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es Personen, die sich derartigen Maßnahmen entziehen könnten?

Norbert Häring: Wer keine nennenswerten Bankguthaben hat, kann auch nicht enteignet werden. Und wer ein hohes Vermögen hat, dem tut der kleine Prozentsatz, den er auf der Bank liegen hat, nicht sehr weh. Er profitiert vielmehr stark dadurch, dass Vermögenswerte wie Immobilien und Aktien stark aufgewertet werden, wenn der Zins sinkt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gäbe es – angesichts der Schuldenkrise – Alternativen zu einer Bargeldabschaffung? Und wenn ja, welche?

Norbert Häring: Es geht darum, das Verschuldungsniveau zu senken. Wenn die Zentralbanken die Geldschöpfung nicht mehr den Geschäftsbanken überlassen würden, sondern alles neue Geld selbst unter die Leute brächten, wäre das nicht mehr mit ständiger Schuldenzunahme verbunden. Das neue Geld könnte entweder genutzt werden, um Schulden zurückzuzahlen, oder es würde direkt die Nachfrage steigern und die Wirtschaft beleben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie würde das gehen?

Norbert Häring: Die Zentralbank könnte die mit Preisstabilität zu vereinbarende Geldzunahme entweder an den Staat übertragen, was derzeit nicht erlaubt ist, oder sie könnte jedem Bürger einen Scheck schicken. Wenn die Banken kein Geld mehr schaffen könnten, würde alles Geld, das in der Wirtschaft umläuft, so sicher wie Bargeld.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Rechnen Sie mit einer sukzessiven Einschränkung des Bargeldverkehrs in den nächsten Jahren?

Norbert Häring: Das läuft seit Jahren und ist erklärtes Programm. In Deutschland ist der Widerstand besonders groß, deshalb wird hier langsam und vorsichtig vorgegangen, so wie das Anfang des Jahres die Autoren eines IWF-Papiers empfohlen haben. Versuchen Sie mal größere Bargeldbeträge von Ihrem Bankkonto abzuheben, wie Ihnen das eigentlich zusteht. Ich empfehle es nicht. Schon wenn Sie häufiger über tausend Euro abheben, oder – noch schlimmer – ein bisschen weniger als tausend Euro, könnte Ihnen das Konto gekündigt werden, weil Sie in Geldwäscheverdacht geraten. Den Händlern wird der Umgang mit Bargeld verleidet, indem es mit absurden Regeln immer teurer gemacht wird. In weiten Teilen Europas gibt es bereits Obergrenzen für Barzahlungen. Die halte ich übrigens für europarechtswidrig, weil Euro-Banknoten das gesetzliche Zahlungsmittel im Euroraum sind. Ein Staat darf doch den Bürgern nicht verbieten, mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel der EU zu bezahlen. In Griechenland zahlt man inzwischen schon eine Steuerstrafe, wenn man zu viel bar bezahlt, und man muss Bargeld anmelden, das man zu Hause hat. Die Deutsche Bahn will die Fahrkarte abschaffen und nur noch per Handy abrechnen. Der Verkehrsminister will für den Nahverkehr eine „Deutschlandkarte“ einführen. Auf Festivals, im Stadion, beim Finanzamt und auf vielen anderen Ämtern kann man nicht mehr bar bezahlen. Es gibt noch viel mehr Beispiele – und es werden fast täglich mehr.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Würden wir mit dem Bargeld auch ein Stück Freiheit – und damit letzten Endes auch ein Stück Demokratie – aufgeben?

Norbert Häring: Das ist der Hauptgrund, warum ich mich für das Bargeld engagiere. Wer von dem Ausmaß der weltweiten Überwachung durch die Geheimdienste gehört hat, der muss doch extrem naiv sein, wenn er akzeptiert, dass alle unsere Finanztransaktionen digital und überwachbar werden. Überwachbar heißt überwacht. Da gibt es kaum noch einen Unterschied. Und die Zahlungsdaten werden immer feiner, weil immer genauer abgerechnet wird. Wer ist genau wann und wo in welchen Zug oder welchen Bus gestiegen und wann ist er wo wieder ausgestiegen? Wer hat wann und wo ein Fahrrad gemietet und wann und wo wieder abgestellt? All das muss schon zu Abrechnungszwecken aufgezeichnet werden. Was wir im Laden oder im Internet kaufen, erfährt künftig nicht nur die Bank und der Händler, sondern auch noch der Mobile-Payment-Anbieter und womöglich die Kreditkartenfirma, mit der er zusammenarbeitet. Und alle sind mindestens so sehr an der Verwertung und dem Verkauf dieser Daten interessiert, wie an den Gebühren. Wer hat eine heimliche Geliebte und ist damit erpressbar? All das können Geheimdienste dann fast auf Knopfdruck von jedem wissen. Für die Demokratie ist das verheerend.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Welche sind die treibenden Kräfte hinter dem Bestreben, das Bargeld abzuschaffen?

Norbert Häring: Das sind vor allem die Finanz- und die Datenbranche und die Geheimdienste. Die Strafverfolgungsbehörden machen natürlich gern mit. Und die Finanzminister können der Sache auch einiges abgewinnen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie wird dieses Ansinnen offiziell begründet?

Norbert Häring: Das wechselt, je nach Ort und Zeit. In Schwellen- und Entwicklungsländern heißt es „finanzielle Inklusion“, wenn die Leute gedrängt oder gezwungen werden, von der Bargeldnutzung auf förmliche Bankkonten zu wechseln. Das soll auch Frauen „empowern“, die Wirtschaft modernisieren, die Armut beseitigen und einen Wachstumsschub auslösen. Ich übertreibe nicht, auch wenn es so klingt. So absurd übersteigert sind tatsächlich die Versprechungen. Auch die Korruption soll so bekämpft werden. Bei uns ist Terrorbekämpfung seit ein, zwei Jahren ganz vorne, gefolgt von Bekämpfung der Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung und allgemein der Kriminalität. Bargeldnutzung wird bereits sehr weitgehend mit einem starken Verdacht auf kriminelle Absichten oder kriminelles Handeln belegt. In ökonomischen Fachkreisen wurde auch die Notwendigkeit angeführt, Bargeld abzuschaffen, um Negativzinsen durchsetzen zu können. Aber das ist ein heikles Thema und wird daher nicht mehr öffentlich diskutiert.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sind diese Begründungen glaubhaft?

Norbert Häring: An allen ist etwas dran. Deshalb nimmt man sie ja. Bei der Terrorbekämpfung ist am wenigsten dran. Wie soll digitales Bezahlen verhindern, dass jemand einen Laster klaut und in eine Menschenmenge fährt? Bei den Negativzinsen ist recht viel dran, nur nicht unbedingt in der positiven Einkleidung, dass es darum ginge, die Wirtschaft zu retten. Auch bei der Geldwäsche ist etwas dran. Aber man muss die Dimensionen im Auge behalten. Eine große britische Bank hat vor zwei oder drei Jahren angefangen, Kunden die Auszahlung von mehr als 4000 oder 5000 Pfund zu verweigern. Es gab Riesenproteste – und sie knickte ein. Dieselbe Bank war gerichtsnotorisch dafür bekannt geworden, die Hausbank der südamerikanischen Drogenmafia gewesen zu sein und für diese Drogengeld in Milliardenvolumen gewaschen zu haben. Auch die legale oder halblegale Steuervermeidung durch internationale Konzerne hat ganz andere Dimensionen als das, was verhindert wird, wenn der Umgang mit kleinen bis mittleren Mengen Bargeld kriminalisiert wird.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Gibt es auch eine geopolitische Komponente einer geplanten Bargeldabschaffung?

Norbert Häring: Ganz deutlich. Sie müssen sich nur die Schlüsselmitglieder der Better Than Cash Alliance (Besser als Bargeld Allianz) und ähnlicher Gruppen anschauen, die weltweit an der Zurückdrängung des Bargelds und der vollständigen Digitalisierung des Zahlungsverkehrs arbeiten. Das sind die amerikanischen Informationstechnologiekonzerne wie Microsoft, amerikanische Finanzdienstleister wie Citi, Mastercard, Visa und Paypal, beziehungsweise mit den betreffenden Unternehmen verbundene Stiftungen, außerdem das US-Außenministerium und die Weltbank in Washington.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum ist das Interesse an Bargeldabschaffung und Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in den USA besonders groß?

Norbert Häring: US-Konzerne dominieren den internationalen Datenverkehr und den internationalen Zahlungsverkehr. Sie würden also an den zusätzlichen Daten und Gebühren vor allem verdienen. Außerdem sind die amerikanischen Geheimdienste mit ihren Five-Eyes-Alliierten führend darin, weltweit diesen Datenverkehr anzuzapfen und auszuwerten. Und vor allem stärkt Digitalisierung des Zahlungsverkehrs die Rolle des Dollar als Welttransaktionswährung.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Warum ist das wichtig?

Norbert Häring: Der größte Teil des internationalen Handels wird in Dollar abgerechnet. Das ist ein sehr wichtiges Machtmittel für die US-Regierung. Jede Bank im internationalen Geschäft braucht die Genehmigung der US-Regierung, in Dollar handeln zu dürfen. Durch Androhung von Entzug dieser Genehmigung droht die US-Regierung effektiv mit Schließung einer solchen Bank. Das hat etwa dazu geführt, dass die Schweiz ganz schnell ihre Gesetze zum Bankgeheimnis geändert hat, als die US-Regierung das wollte und Schweizer Banken unter Druck setzte. Alle internationalen Banken und viele weitere Unternehmen mit US-Geschäft befolgen US-Sanktionslisten. Das heißt in der Juristerei „extraterritoriale Rechtsanwendung“. Gibt es kein Bargeld mehr, wird es noch schlimmer als bisher schon für ein Land, ein Unternehmen oder eine Person, auf so eine Liste gesetzt zu werden. Sie werden noch mehr dafür tun, dass es nicht dazu kommt oder dass sie wieder von der Liste gestrichen werden.

***

Norbert Häring ist Wirtschaftsjournalist und Blogger sowie Autor populärer Wirtschaftsbücher. Zuletzt erschien „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“.

Er wurde unter anderem bekannt durch sein Beharren auf Barzahlung des Rundfunkbeitrags, über das derzeit in zweiter Instanz vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof verhandelt wird.

Norbert Härings ausgesprochen lesenswertes Buch „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“ kann im gut sortierten Buchhandel oder direkt hier beim Verlag Quadriga für 18 Euro (Taschenbuchausgabe 10 Euro) erworben werden. 


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