Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Hinblick auf eine mögliche Vergemeinschaftung von Schulden in Europa erstmals signalisiert, dass sie den Ansatz nicht grundsätzlich ablehnt: Deutschland sei bereit, in der nächsten EU-Finanzperiode mehr Geld nach Brüssel zu überweisen. "Aber was wir nicht wollen, ist, sozusagen Haftung und Verantwortung durcheinander zu bringen oder Schulden einfach zu vergemeinschaften, ohne wettbewerbsfähig zu werden. Daran wird sich nichts ändern", sagte sie. Angesprochen auf Vorstellungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte sie, man müsse sehr genau darüber reden, dass die Hauptverantwortung weiter bei den Nationalstaaten liege.
Mit der Aussage ist Merkel von der bisherigen kategorischen Ablehnung der Vergemeinschaftung von Schulden in der EU abgewichen. Wie die Vergemeinschaftung mit der Steigerung der "Wettbewerbsfähigkeit" zusammenhängt ist unklar. Die Vorstellungen gehen in der EU weit auseinander. Zuletzt hatte der Chef der Lega Salvini angekündigt, sich nicht an die Defizit-Grenzen der EU halten zu wollen, wenn diese die Entstehung von Arbeitsplätzen verhindern.
Merkel bekannte sich zur Vollendung der Bankenunion, will aber zuvor auf einen weiteren Abbau der Schulden und Risiken nationaler Banken in den EU-Staaten sehen. Deutschland habe immer die Bereitschaft gehabt, Souveränität abzugeben, wenn Dinge durch Europa besser geregelt werden könnten, sagte Merkel im ZDF. Den Euro stabilisieren, die Bankenunion - "das werden wir mitmachen", sagte sie, auch wenn dies harte Diskussionen erfordere.
Der Druck zu einer tieferen Integration unter Einbeziehung der Schulden-Problematik kommt aus Frankreich, das sich in diesem Zusammenhang als Sprecher der Südeuropäer sieht. François Villeroy de Galhau, der Gouverneur der Banque de France, sagte, die Europäische Zentralbank werde zu sehr als Bollwerk gegen weitere Krisen gefordert, und der Fortschritt hin zu einer engeren Wirtschaftsunion werde "in nie endenden Streitigkeiten stecken bleiben". Der Gouverneur der Banque de France sagte laut FT, die Staats- und Regierungschefs müssten aufhören, "die Risikoreduktion gegen die Risikoteilung" aufzurechnen: "Diese Oppositionen schaffen eine sterile Trennung zwischen Nordeuropa und Südeuropa. Um gut zu funktionieren, braucht unsere Gewerkschaft beides: Risikominderungsmechanismen und Risikoteilung." Villeroy de Galhau sagte in Frankfurt, es sei an der Zeit, den "ideologischen Grabenkrieg" zwischen den nordeuropäischen Gläubigerstaaten zu beenden, die verhindern wollen, dass sie in Schuldnerländern und anderen Mitgliedern der Eurozone in Schwierigkeiten geraten.
Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone streiten sich darüber, wie der Block nach der Finanzkrise gestärkt werden kann. Die niederländische Regierung widersetzt sich den französischen Plänen, in der Eurozone einen eigenen Haushalts- und Finanzminister zu etablieren.
Wopke Hoekstra, der niederländische Finanzminister, bekräftigte die Skepsis seines Landes am Mittwoch und sagte in Berlin laut Financial Times, dass eine tiefere Integration in die Eurozone nicht in Betracht gezogen werden könne, solange die Regierungen ihre "Häuser nicht in Ordnung bringen".
Die Kanzlerin trifft am Freitag bei der ersten Auslandsreise ihrer vierten Amtszeit im Elysée-Palast mit Macron zusammen. Dabei geht es auch um die Vorbereitung des EU-Gipfels in der kommenden Woche. Der neue Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wird nach Angaben seines französischen Kollegen Bruno Le Maire am Freitag ebenfalls in Paris erwartet. Macron schlägt unter anderem einen gemeinsamen Haushalt für die Eurostaaten und einen europäischen Finanzminister vor. In der SPD werden diese Pläne mit Sympathie gesehen.
Bundesaußenminister Heiko Maas hofft auf rasche Fortschritte mit Frankreich bei der EU-Reform. Die neue Bundesregierung werde sich nun "sehr intensiv und schnell" mit den Vorschlägen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auseinandersetzen, sagte Maas am Mittwochabend bei seinem Antrittsbesuch in Paris. Die Probleme in Europa seien "vielfältig und nicht nur finanzieller Art", betonte der SPD-Politiker.
Nach den langen Monaten der deutschen Regierungsbildung müsse es nun darum gehen, "die ausgestreckte Hand von Emmanuel Macron mit seinen Vorschlägen zur Erneuerung Europas endlich auch zu ergreifen", betonte Maas vor einem gemeinsamen Arbeitsessen mit Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian.
Le Drian sagte, die Notwendigkeit zur deutsch-französischen Abstimmung sei derzeit "besonders groß". Neben der EU-Reform nannte er Themen wie den Brexit, die Krise in Syrien und in der Ostukraine, das Atomabkommen mit dem Iran und den Streit um US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium.