Politik

Internationale Stimmen zu Merkel: „Deutschland in Aufruhr“

Lesezeit: 5 min
29.10.2018 23:03
Die internationale Presse beschäftigt sich mit dem Abgang von Angela Merkel als CDU-Vorsitzende.
Internationale Stimmen zu Merkel: „Deutschland in Aufruhr“

Türkei

Die türkische Zeitung Habertürk titelt: "In Deutschland geht eine Ära geht zu Ende". "Die Kanzlerin wird solange sie an der Macht ist, mit dem Brexit und den russisch-amerikanischen Spannungen beschäftigt sein", so das Blatt.

Die Zeitung Dünya Bülteni führt aus: "Als ihre Partei im Jahr 2000 von diversen Skandalen erschüttert wurde, hatte sie zunächst Kohl und die anderen Mitglieder der Parteispitze vehement verteidigt. Sie umschrieb alle Vorwürfe als ,totalen Unsinn'. Als die Krise sich aber verschärfte, (...) war sie die Erste, die ihren alten Chef Kohl angeprangert hatte."

Internethaber titelt: "Eine Schock-Entscheidung von Merkel. Deutschland in Aufruhr."

Der Zeitung Yeni Akit zufolge habe der Entschluss Merkels, wonach sie sich schrittweise aus der Politik zurückziehen will, zu einem "Schlag gegen den Euro" geführt. Die europäische Währung verlor ab 12.30 Uhr (29. Oktober 2018) zum Dollar an Wert und fiel auf 1,1361 US-Dollar.

Die türkische regierungsnahe Zeitung Takvim hatte am 3. Juli 2018 angekündigt, dass die Ära von Angela Merkel bald beendet sein wird. Allerdings werde es dem Blatt zufolge zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, ohne dass Merkel als Kanzlerkandidatin antritt. Die neue deutsche Bundesregierung werde, so das Blatt, eine gezieltere transatlantische Linie verfolgen.

USA

Leonid Bershidsky von Bloomberg führt in einem Artikel aus, dass "Politikbeobachter" in Berlin von einer Götterdämmerung sprechen würden. "Jeder Nachfolger wird in stürmischen Gewässern segeln. Das Ergebnis der Wahl am Sonntag in Hessen, dem deutschen Bundesland, das die Finanzhauptstadt Frankfurt umfasst, signalisierte, dass die politische Zerstreuung, die in vielen europäischen Ländern zu langen Sonderiungsgesprächen und wackeligen Kabinetten geführt hat, auch in Deutschland die neue Norm ist", meint er. Merkel werde ein "zerbrochenes Europa" hinterlassen.

Das US-Magazin TIME berichtet: "Merkels Entscheidung, als Parteivorsitzende der regierenden CDU zurückzutreten, bedeutet, dass ihr Nachfolger wahrscheinlich die Möglichkeit haben wird, diese Position vor der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2021 für die Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen. Obwohl Merkels derzeitige Rolle als Parteivorsitzende und Kanzlerin üblicherweise von ein und derselben Person wahrgenommen wird, ist dies keine rechtliche Notwendigkeit. Sie ist seit 2000 Vorsitzende und seit 2005 Bundeskanzlerin."

Politico führt aus, dass die Kandidaten für ihre Nachfolge keine Zeit verschwendeten, und sich sofort für die Nachfolge Merkels angeboten haben. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, ehemalige Ministerpräsidentin des Saarlandes, die in diesem Jahr von Merkel in ihre aktuelle Funktion einberufen wurde, erklärte, sie würde den Platz als Parteivorsitzende übernehmen wollen. Politico berichtet: "Kramp-Karrenbauer ist eine enge Verbündete von Merkel und würde als die Kontinuitätskandidatin gesehen werden, der wahrscheinlich die CDU auf einem zentristischen Kurs halten würde. Sie wird dem Wettbewerb von Gesundheitsminister Jens Spahn gegenüberstehen, der eher konservativ ist (...) Auch Friedrich Merz, früherer Fraktionsvorsitzender des Bundestages, sei bereit, für den Posten zu kandidieren, berichtete die Bild wenige Minuten nach der Nachricht von Merkels Entscheidung."

Jim Cramer von CNBC teilte über Twitter mit: "Ich weiß, dass Merkel von vielen geliebt wird, aber sie ist eine Anführerin der Anti-Wachstumskoalition, die sich mehr Sorgen um Weimar macht als über die Vermeidung der nächsten Rezession."

CNBC führt dazu aus: "Cramers Bezugnahme auf die Weimarer Republik deutet auf eine gemeinsame Sorge in Deutschland hin, als die damalige Instabilität der Regierung und die Hyperinflation in den 1930er Jahren Adolf Hitler hervorbrachte. Niemand erwartet eine Rückkehr zu solch dunklen Tagen, argumentiert Cramer. Merkel sei zu konzentriert, um die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, indem sie Klugheit und Sparmaßnahmen fördere. Ein eventueller politischer Richtungswechsel für Deutschland könnte zu einer Lockerung der Ausgabenpolitik und zu einem Schub für Großunternehmen in der Region führen."

Carsten Nickel, Geschäftsführer von Teneo, meint, dass seit der Flüchtlingskrise 2015 die Macht Merkels geschwunden sei. Mujtaba Rahman, Managing Director der Eurasia Group, ist der Ansicht, dass Merkels Abgang absehbar gewesen sei. "Mit diesen jüngsten Ergebnissen ist es einfach unhaltbar geworden, dass Merkel weiterhin die CDU führt", so Rahman.

Nach Angaben diverser US-Finanzanalysten ist die Gefahr, dass die Regierungskoalition vor der nächsten Bundestagswahl "kollabiert" sehr groß.

"Angesichts ihrer (Angela Merkels, Anm. d. Red.) geschwächten Position kann es länger dauern, bis eine Einigung über den italienischen Haushalt erzielt werden kann, wodurch die Ansteckungsgefahr für andere Märkte und die Risiken für italienische Banken erhöht werden", so Jennifer McKeown von Capital Economics.

International

Gulf News (Vereinigte Arabische Emirate) berichtet: "Die geschwächte Merkel, die oft als mächtigste Frau der Welt und als faktische Führungspersönlichkeit Europas gefeiert wird, sieht sich wachsenden Forderungen ausgesetzt, ihre Nachfolgepläne zu formulieren - nach 13 Jahren an der Macht (...) Merkels Macht ist seit ihrem schicksalhaften Beschluss von 2015, die Grenzen Deutschlands offen zu halten, um  mehr als eine Million Migranten ins Land zu lassen, geschwunden. Die Massenankünfte haben Deutschland stark polarisiert. Dieser Entwicklung wird zugeschrieben, dass sie den Aufstieg der extremen Rechten angeheizt hat."

Die Jerusalem Post (Israel) führt aus: "Der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz hat am Montag erklärt, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Europäischen Union spielt und dass Polen sie als Kanzlerin unterstützt."

Arutz Sheva (Israel) zufolge ist Merkels Entscheidung auf die Niederlagen bei den Landtagswahlen zurückzuführen. "Die Verluste der CDU und CSU bei den Kommunalwahlen sind auf den Niedergang der Partei bei den Bundestagswahlen im vergangenen Jahr zurückzuführen, der teilweise durch eine Gegenreaktion der Bevölkerung auf Merkels Einwanderungspolitik, die zu einem raschen Anstieg der Zahl der Asylbewerber in Deutschland führte, angeheizt wurde."

24 HU berichtet: "Es scheint, dass die hessische Wahl das Ende von Merkels Karriere an der Spitze der CDU war (...) Im Jahr 2017 fanden die letzten Bundestagswahlen statt, so dass Merkel noch weitere vier Jahre vor sich hat. Doch sie ist derart geschwächt, dass jedes weitere Jahr zu viel für sie wäre."

Irak Akhbar (Irak) berichtet, dass Merkels Nachfolger auf dem CDU-Wahlparteitag im Dezember gewählt wird. "Vor dem Hintergrund dieser Nachrichten fiel der Euro um 0,4 Prozent auf 1,1361 und reduzierte anschließend einen Teil seiner Verluste und handelte bei 1,1389 Dollar. Informierte Parteiquellen sagten, dass Merkel ihre Entscheidung am Montag während eines Treffens des Parteipräsidiums klar getroffen habe. Merkel ist seit 18 Jahren Parteichefin."

Le Monde (Frankreich) führt aus, dass Merkels Niedergang sich in mehreren Akten abgespielt habe. Im Jahr 2015 verlor sie aufgrund ihrer Flüchtlingspolitik sehr viel Zuspruch bei den Bürgern (Akt I).

Im September 2016 verzeichnete die CDU bei den Landtagswahlen  in Angela Merkels Heimatland Mecklenburg-Vorpommern einen schweren Rückschlag (Akt II).

Die Welle der sexuellen Übergriffe am Vorabend des Neujahrs 2016 in Köln und eine Reihe von Angriffen von Asylbewerbern führten zur Beunruhigung innerhalb der Bevölkerung, was direkt zur Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik führte. Am 19. Dezember 2016 ereignete sich in Berlin ein Anschlag. AfD-Europaparlamentarier Marcus Pretzell teilte über Twitter mit: "Es sind Merkels Tote!" (Akt III).

Weitere Akte betrafen Le Monde zufolge das schwache Abschneiden der CDU bei den Bundestagswahlen, die Zerwürfnisse zwischen der CDU und der CSU, die Wahlrückschläge in Bayern und Hessen und die Tatsache, dass ihre Autorität innerhalb der Partei in Frage gestellt wurde.

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