Politik

Fünf brennende Lunten auf dem Weg zur großen Krise

Lesezeit: 4 min
06.04.2019 07:03
Fünf große Problemfelder entwickeln sich derzeit scheinbar unabhängig voneinander. Doch der Schein trügt. Die immer deutlicher werdenden Schwierigkeiten weisen alle in die gleiche Richtung und werden in absehbarer Zukunft zusammenzutreffen, sodass eine dramatische Krise droht. Ein Wegweiser durch die kräftig brennenden Lunten.
Fünf brennende Lunten auf dem Weg zur großen Krise
Foto: adobestock

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Lunte Nr. 1: Der technische Wandel gehorcht eigenen Gesetzen

Die Nutzung der modernen Technologien ist nicht mit politischen Grundsatzerklärungen zu bewältigen und ist auch nicht leicht umzusetzen. Man ist geblendet von den einfach funktionierenden Plattformen wie Google, Amazon oder Facebook. Die Mühen sind aber in den zahllosen, einzelnen Betrieben zu bewältigen, und da zeigt sich, dass die Digitalisierung in den Kinderschuhen steckt. Die Umstellung aller Unternehmen auf neue Abläufe ist, begleitet von vielen Rückschlägen, im Gang. Die ersten Ergebnisse bestehen in Rationalisierungen, die unweigerlich massenweise Arbeitsplätze vernichten. Die zweite Phase, die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, ist aufwändig und braucht Zeit.

Zum Vergleich: Der erste Fernsehapparat wurde 1930 präsentiert, erst in den fünfziger Jahren begann die Verbreitung und erst 1967 startete das Farbfernsehen. Wie der Fernseher und zahllose Neuerungen der dreißiger Jahre nach einer längeren Entwicklungsperiode zu Trägern eines spektakulären Wirtschaftsaufschwungs wurden, kündigt sich eine ähnliche Entwicklung für die digitale Welt an. Wie lange es diesmal dauert, ist nicht abzuschätzen.

 

Lunte Nr. 2: Die Arbeitslosen werden von ihrer ungenügenden Bildung eingeholt

In der Phase der Rationalisierung steigt die Zahl der Arbeitslosen. Auch wenn die Konjunktur der vergangenen eineinhalb Jahre für eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt hat, immer noch weist die EU derzeit über 16 Millionen gemeldete Arbeitslose aus und diese Zahl wird während des kommenden technologischen Wandels steigen. Der aktuelle Konjunktureinbruch ist mehr als ein Vorbote.

Allerdings sollte klar sein, dass auch bereits in der schwierigen Umbruchsphase flexible Arbeitnehmer benötigt werden, die sich rasch auf Veränderungen umstellen und neue Herausforderungen annehmen. Das Bildungssystem bereitet seit langem, mit unterschiedlichen Ausprägungen, die Menschen nur mangelhaft auf diese Situation vor: Es ist nur Wenigen selbstverständlich, dass man jederzeit bereit sein muss, neue Techniken, neue Systeme, neue Programme zu lernen und das bis zum Ende der Berufstätigkeit.

Das Bestreben der Politik, Arbeitsplätze zu erhalten, und das Bemühen vieler Arbeitnehmer, Jobs zu bewahren oder andere nur mit gewohnten Tätigkeiten zu suchen, sind entscheidende Fortschrittsbremsen, die die ohnehin schwierige Erneuerung im technischen Wandel behindern.

Damit nicht genug: Auch im Management steht oft die Innovation nicht im Vordergrund. Man versucht vielfach nur mit Einsparungen, mit der Reduktion der Belegschaften, die Unternehmen konkurrenzfähig zu erhalten. Dass die Umsätze von gestern nur selten den Gewinn von morgen sichern, wird oft übersehen.

 

Lunte Nr. 3: Die Bekämpfung des Risikos bedeutet die Bekämpfung der Zukunft

Die Dimension des technologischen Wandels bedeutet, dass die Risiken von Fehlinvestitionen steigen. Da niemand mit Gewissheit sagen kann, welche neuen Abläufe in den Betrieben, welche neuen Produkte, welche neuen Dienstleistungen zum Erfolg führen, müssen auch Fehler und Verluste in Kauf genommen werden. Wer kein Wagnis eingeht, kann auch nicht gewinnen. Diese Einsicht sollte selbstverständlich sein. Das Gegenteil geschieht.

In einem geradezu manischen Eifer bekämpfen die EU-Kommission und die ihr nachgelagerten Stellen jedes Risiko.

Um Investitionen und Innovationen durchzuführen, brauchen die Unternehmen Geld. Also wäre eine wesentliche Voraussetzung für die Bewältigung des Wandels die Finanzierung über Kredite oder über den Kapitalmarkt.

Die Zahl der Regelungen, die die Kreditvergabe erschweren, ist kaum noch überschaubar: Die Politiker und die Bürokraten glauben, die Banken sicherer zu machen, wenn sie die Übernahme von Risiken bekämpfen. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass sie damit das Geschäft der Banken ruinieren und der Wirtschaft eine entscheidende Finanzierungsquelle nehmen. Den Versicherungen wird ebenfalls durch einen Wust an Regulierungen die Finanzierung von Investitionen erschwert bis unmöglich gemacht.

Der Kapitalmarkt sichert die Mittelaufbringung über Aktien und Anleihen fast ausschließlich für Großfirmen, sodass auch die reichlich vorhandenen Gelder der privaten Anleger nur diesen Weg nehmen. Die mit großem Abstand die Volkswirtschaft dominierenden mittelständischen Unternehmen haben zum Kapitalmarkt kaum einen Zugang.

 

Lunte Nr. 4: Die Überschuldung der Staaten

Aus den Erfahrungen vergangener Krisen reifte die Erkenntnis, dass der Staat einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Wirtschaft in Problemphasen zu leisten hat: Durch Investitionen im eigenen Bereich und durch steuerlichen Begünstigungen für Investitionen der Unternehmen kann die Bewältigung von Schwierigkeiten deutlich erleichtert werden. Um diese Politik betreiben zu können, muss der Staat über Reserven verfügen oder in der Lage sein, Kredite aufzunehmen.

Von Reserven kann nicht die Rede sein, aber auch die Kreditfähigkeit ist bei den meisten Staaten kaum gegeben. Seit Jahren werden gigantische Schulden gemacht, um die laufenden Ausgaben zu decken. Hilfreich wäre der Einsatz eines Investitionsvolumens von beispielsweise 3 Prozent des BIP. Gemessen am Sozialprodukt der Euro-Staaten von 11.000 Milliarden Euro würde sich also der Einsatz von 330 Milliarden Euro empfehlen. Die Summe mag groß klingen, in Relation zu dem angesammelten Schuldenberg von 10.000 Milliarden Euro wäre das jedoch nur ein bescheidener Betrag, um den technologischen Wandel besser und rascher zu bewältigen und die drohende Arbeitslosigkeit in Grenzen zu halten.

Die Verschuldung der Staaten ist in erster Linie durch die Explosion der Rentenkosten im Gefolge des frühen Renten-Eintritts und der langen Lebensdauer entstanden. Und im Bereich dieser Lunte entsteht gerade ein zusätzlicher Brand: Die geburtenreichen Jahrgänge der Baby-Boomer gehen jetzt und in den kommenden Jahren in Rente und lassen die Kosten noch einmal kräftig ansteigen.

Dass die Zinsen auf Dauer niedrig bleiben, ist kaum zu erwarten, und so kommt auf die Staaten eine zusätzliche Belastung in Milliardenhöhe zu. Damit nicht genug: Im Rahmen der NATO steigern derzeit die Mitgliederstaaten den Rüstungsaufwand ebenfalls um Milliardenbeträge.

Unter diesen Umständen ist eine Wirtschaftsbelebung durch die Staaten nur schwer umsetzbar.

 

Lunte Nr. 5: Der drohende Anstieg der Preise

Die hohen Steuern und Sozialabgaben von deutlich über 40 Prozent der Wirtschaftsleistung sind in den aktuellen Preisen enthalten. Dass aus dem öffentlichen Bereich keine weiteren, größeren Preisschübe in den vergangenen Jahren entstanden sind, ist eine Folge des Umstands, dass die öffentlichen Stellen die Finanzierungslücken über Anleihen geschlossen haben. Die Methode wurde durch die niedrigen Zinsen und den Umstand erleichtert, dass die Europäische Zentralbank fast 2.000 Milliarden übernommen hat. Nachdem diese komfortable Finanzierungsquelle in absehbarer Zeit versiegt, werden die Staaten auf dem Markt Anleihen zu höheren Zinsen begeben müssen. Damit werden die Finanzminister nicht das Auslangen finden. Also weist der Weg zu zusätzlichen Steuern, die sich in den Preisen niederschlagen werden. Somit zeichnet sich das genaue Gegenteil einer Hilfestellung des Staates für die Wirtschaft ab.

Aber auch ein anderer Faktor sorgt für höhere Preise. In den vergangenen Jahren genossen die Konsumenten in den Industrieländern eine Art Rente durch die niedrigen Löhne in den Entwicklungsländern, die billige Importe ermöglichten. In den aufstrebenden Staaten steigen aber die Löhne, lassen die Rente der entwickelten Wirtschaften schwinden und die Preise steigen. Das Lohnniveau in China unterscheidet sich nicht mehr von vergleichbaren Sätzen in Portugal und Slowenien. Die schon durch die Staaten brennende Preis-Lunte wird aus Fernost kräftig angeheizt.

 

Ein verfügbarer Löschzug wird falsch eingesetzt

Paradoxerweise stünden in der EU Mittel zur Verfügung, um mit umfangreichen Investitionen die Bewältigung der Herausforderungen zu erleichtern: Das Jahresbudget der EU beträgt im Schnitt etwa 160 Mrd. Euro, also reichlich Geld, um Investitionen und Innovationen zu finanzieren. Allerdings werden diese Mittel von einem gigantischen Beamtenapparat ineffizient und ineffektiv verwaltet, statt sie den Staaten und den Unternehmungen zu überlassen. Das führt zu der Groteske, dass Bürokraten bei der Vergabe von Fördermitteln entscheiden, welches Projekt zukunftsfähig ist und welches nicht.

Und so ganz „nebenbei“ produzieren die Brüsseler Beamten Vorschriften für beinahe jeden Lebensbereich, als ob Europas Bürger allesamt unmündig wären.

***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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