Die durchgehenden hitzigen Debatten zwischen den Demokraten und den Republikanern im US-Senat und im US-Repräsentantenhaus könnten den Anschein erwecken, dass die politischen Fronten unüberbrückbar verhärtet sind. Allerdings wird von der internationalen Öffentlichkeit oftmals übersehen, dass die langfristigen außenpolitischen Ziele der USA sich unveränderlich auf sicherheits-, energie- und wirtschaftspolitische Erwägungen stützen, die von jeder US-Regierung umgesetzt werden müssen. Die Methoden und taktischen Manöver mögen von Regierung zu Regierung anders sein, doch die außenpolitischen Strategien und Ziele bleiben dieselben.
Dieser Ansatz gilt auch für die Beziehungen der USA zu China. Die unkontrollierten, wenn nicht in Realityshow-Manier vorgespielten, Attacken des US-Präsidenten Donald Trump gegen Europa und China gehen nicht zurück auf spontane Gefühlsausbrüche, sondern auf die außenpolitische US-Doktrin des “Pacific Century”, wonach sich die Sicherheitsinteressen der USA im 21. Jahrhundert in der Asien-Pazifik-Region bündeln werden - nicht zuletzt aufgrund der machtvollen politischen und wirtschaftlichen Expansion Chinas. Das Gravitationszentrum der Weltpolitik hat sich längst in Richtung Asien verlagert - ein Umstand, welchen der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger im Jahr 2008 in einem Gastbeitrag für die Washington Post (“The Three Revolutions”) angekündigt hatte.
Eine Doktrin gegen das Reich der Mitte
Das US-amerikanische “Pacific Century” wurde am 10. November 2011 von der damaligen US-Außenministerin in einem Gastbeitrag des US-Magazins Foreign Policy mit dem Titel “America’s Pacific Century” verkündet. “Strategisch gesehen ist die Wahrung von Frieden und Sicherheit im gesamten asiatisch-pazifischen Raum für den globalen Fortschritt zunehmend von entscheidender Bedeutung, sei es durch die Verteidigung der Seefreiheit im Südchinesischen Meer, die Bekämpfung der Proliferationsbemühungen Nordkoreas oder die Gewährleistung von Transparenz bei den militärischen Aktivitäten der wichtigsten Akteure der Region”, so Clinton. Mit der Betonung des Südchinesischen Meeres deutet sie in ihrem Gastbeitrag an, dass die USA auf Seiten der Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres sein wird, falls es zu einer Konfrontation kommt. Im Beitrag stuft Clinton die USA als “pazifische Macht” ein, die sich in der Asien-Pazifik-Region “aktiv” betätigen müsse.
Am Tag der Veröffentlichung des Gastbeitrags befand sich Clinton auf der Insel Hawaii. Im East-West-Center nahm sie an einer Veranstaltung unter dem Titel “America’s Pacific Century” teil. Das geht aus einem Transkript des US-Außenministeriums hervor. Clinton sagte während der Veranstaltung, dass die USA mit China zusammenarbeiten wollen. Anschließend stellte sie eine Reihe von Forderungen auf.
China müsse zunächst zulassen, dass der Yuan schneller aufgewertet wird. Zudem müssen Clinton zufolge die Maßnahmen beendet werden, die zum Raub von ausländischem geistigen Eigentum führen. Bemerkenswert an der ersten Aussage ist, dass eine schnelle Aufwertung des Yuan zwangsläufig auch zu einem schnellen Rückgang der Exporte Chinas führen würde, worauf das Reich der Mitte aber angewiesen ist, um sein wirtschaftliches Wachstum aufrechtzuerhalten.
Clinton wörtlich: “Ähnlich verhält es sich mit politischen Reformen. Die Achtung des Völkerrechts und ein offeneres politisches System würden auch Chinas Fundament stärken und gleichzeitig das Vertrauen der chinesischen Partner stärken. Wir haben unsere ernste Besorgnis über die Menschenrechtsbilanz Chinas deutlich gemacht (...) Wir sind alarmiert über die jüngsten Vorfälle in Tibet, bei denen junge Menschen sich in verzweifelten Protestaktionen selbst in Brand gesteckt haben, sowie über den anhaltenden Hausarrest des chinesischen Rechtsanwalts Chen Guangcheng. Wir fordern China weiterhin auf, einen anderen Weg einzuschlagen.”
Clintons Umsetzung der Doktrin des “Pacific Century” war rhetorisch und diplomatisch weitaus raffinierter, doch auch die aktuelle US-Regierung hält an dieser Doktrin fest, obwohl die Probleme mit China mittlerweile offener artikuliert werden.
Die Doktrin des Pazifischen Jahrhunderts ist aktuell
Die US-Denkfabrik Hoover Institution hat eine Podcast-Reihe unter dem Titel “The Pacific Century - America, China and the Struggle for the 21st Century” veröffentlicht. Dabei kommen zahlreiche US-amerikanische Stimmen zu Wort, die sich für die Umsetzung der US-Doktrin in der Asien-Pazifik-Region einsetzen.
In einem Podcast (“Pacific Century: China Challenges Japan And Taiwan”) besprechen die US-Analysten Michael R. Auslin und John Choon Yoo Möglichkeiten, wie die US-Regierung ihre Verbündeten Japan und Taiwan militärisch unterstützen kann, um China einzudämmen. Dabei fordern sie eine direkte Schutzfunktion der USA für Taiwan.
In einem weiteren Podcast (“The Pacific Century: Niall Ferguson On The Coming Cold War With China”) wird ausgeführt, dass die USA und China auf einen Kalten Krieg zusteuern. Der Historiker Niall Ferguson erklärt die rasche Änderung der Haltung der Öffentlichkeit und der Regierung gegenüber China und die Schritte, die die Trump-Regierung “gegen die wirtschaftliche und militärische Aggressivität Chinas” unternimmt.
Diverse weitere US-Denkfabriken in Washington D.C. widmen sich ebenfalls diesem Thema. Die Heritage Foundation führt in einer Analyse aus: “In den vergangenen zwei Jahren hat Trump viel dazu beigetragen, den Einfluss der USA in der indopazifischen Region zu erhöhen. Aber es muss noch viel mehr getan werden. Das Ziel ist einfach. Peking muss die USA als respekteinflößende asiatische Macht respektieren - und zugeben, dass die USA die Region nicht verlassen werden.”
Auf der Webseite der US-Denkfabrik Woodrow Wilson Center wird Richard McGregors Werk “Asien rechnet ab: China, Japan und das Schicksal der US-Macht im pazifischen Jahrhundert” (“Asien rechnet ab: China, Japan und das Schicksal der US-Macht im pazifischen Jahrhundert”) vorgestellt. McGregor zufolge sind die Beziehungen zwischen den USA und Japan stärker als jemals zuvor, was sehr wichtig sei, um China in die Schranken zu weisen.
Der Atlantic Council stellt in einer Studie fest: “Erstens müssen die USA und ihre Verbündeten ihre sicherheitspolitischen Allianzen aktualisieren und stärken. Seit Jahrzehnten wird die Ordnung in Asien durch die Vorherrschaft des US-Militärs gestützt, aber die USA und ihre Verbündeten sehen sich einem sich verschlechternden Sicherheitsumfeld gegenüber. Dazu zählen: ein stärkeres und selbstbewussteres China; ein fähigeres und gefährlicheres Nordkorea; zunehmender Terrorismus und Extremismus in der Region; neue, unvorhersehbare Bedrohungen durch disruptive Technologien; und erhöhte gesellschaftliche Instabilität aufgrund dieser und anderer Faktoren.”
Dem Atlantic Council zufolge müssen die USA ein “hartnäckiges Engagement gegenüber China” praktizieren, von dem die USA und ihre Verbündeten profitieren. Eine internationale Ordnung in Asien könne nicht funktionieren, wenn der zweitmächtigste Staat der Region aktiv Widerstand leiste.
Somit wird deutlich: Nicht nur die aktuelle US-Regierung, sondern auch die darauffolgenden US-Regierungen werden versuchen, ihren Einfluss in der Asien-Pazifik-Region kontinuierlich zu erhöhen, um China Schritt für Schritt einzudämmen.