Angesichts des Streits um die Aufnahme von aus Seenot geretteten Wirtschaftsmigranten und Flüchtlingen fordern die Bundesregierung und die EU-Kommission Solidarität von den anderen Mitgliedstaaten. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos verlangte in der Zeitung "Die Welt" eine Einigung auf einen "vorläufigen" Verteilungsmechanismus, berichtet die französische Nachrichtenagentur AFP. Die Bundesregierung will die Flüchtlingsverteilung beim Treffen der EU-Innenminister kommende Woche ansprechen. Die Einigungschancen scheinen aber sehr gering.
In den vergangenen Wochen waren mehrfach Schiffe von Hilfsorganisationen mit Migranten daran gehindert worden, in Italien und Malta anzulegen.
Bis eine Einigung über die seit Jahren blockierte EU-Asylreform gefunden sei, müssten die EU-Mitgliedstaaten "vorläufige Vereinbarungen" finden, wie mit geretteten Migranten umzugehen sei, sagte Avramopoulos der "Welt". Dabei müssten Situationen wie bei den deutschen Schiffen "Sea-Watch 3" oder "Alan Kurdi", bei denen die Kommission Einzelfall-Lösungen zwischen den Mitgliedstaaten koordiniert hatte, verhindert werden. Deutschland hatte von beiden Schiffen jeweils Migranten aufgenommen.
Innenstaatssekretär Stephan Mayer (CSU) kündigte an, die Bundesregierung werde die Seenotrettung beim Treffen der EU-Innenminister am 18. und 19. Juli in Helsinki ansprechen. Das Thema müsse auf europäischer Ebene debattiert werden, damit sich die anderen Länder nicht "aus dem Staub machen" könnten, sagte Mayer im SWR. Deutschland handle bereits. Jetzt seien auch andere EU-Regierungen gefordert ebenso wie die EU-Kommission.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kritisierte, dass sich die EU seit dem Ende ihrer Mittelmeer-Mission "Sophia" von "einer Notlösung zur nächsten" hangele. "Wir können nicht auf alle warten. Die aufnahmebereiten Staaten müssen jetzt vorangehen", sagte Müller der "Bild"-Zeitung (Dienstagsausgabe). Er bekräftigte zugleich seine Forderung nach internationaler Hilfe für die Flüchtlinge in Libyen.
Über eine "Koalition der Aufnahmewilligen" wird in der EU schon seit 2016 diskutiert, nachdem eine Einigung aller Mitgliedstaaten auf die Migrantenverteilung insbesondere am Widerstand osteuropäischer Staaten gescheitert war. Deutschland hoffte anfangs noch auf rund 20 Staaten, die sich regelmäßig an der Flüchtlingsaufnahme beteiligen. Zuletzt waren es nur noch zwischen vier und sechs. "Das ist schon bitter", sagte ein EU-Diplomat. "Denn die Zahl der Menschen, die gerettet werden, ist eigentlich nicht sehr hoch."
Tatsächlich kamen wegen der Weigerung der italienischen Regierung, ihre Häfen für Schiffe mit Flüchtlingen zu öffnen, im ersten Halbjahr nur noch gut 3000 Flüchtlinge in Italien an. Im gesamten Jahr 2018 waren es noch über 23.000 gewesen. In Malta waren es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres rund tausend Migranten.
Das Schiff "Alan Kurdi" hatte am Montag erneut 44 Menschen an Bord genommen. Die Flüchtlinge seien "in Kooperation mit maltesischen Behörden" von einem Holzboot gerettet worden, teilte die deutsche Organisation Sea-Eye am Montagabend mit. Ein Schiff der maltesischen Marine sei auf dem Weg, um die Menschen von der "Alan Kurdi" zu übernehmen und an Land zu bringen.