Politik

USA wollen die Türkei aus der Umarmung von Russland lösen

Lesezeit: 6 min
24.02.2017 01:17
Die USA und die Türkei schließen die Reihen im Nahen Osten wieder. Trump braucht Erdogan für seine Allianz, die mit den Saudis gegen den Iran mobilisiert wird. Die Russen verhalten sich vorerst abwartend.
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Auf der Münchener Sicherheitskonferenz hatte US-Vizepräsident Mike Pence sich mit dem türkischen Premier Binali Yildirim getroffen. Pence sagte, die USA hätten ein großes Interesse an einem „Neuanfang“ mit der Türkei, so der englischsprachige Dienst von Reuters. Die neue US-Regierung sei bereit, die Beziehungen und den Dialog zur Türkei in allen Bereichen zu verbessern, was den Kampf gegen den Terrorismus und regionale Fragen betrifft.

Die Annäherung von Präsident Erdogan an die Trump-Regierung kommt, nachdem die Russen der Türkei klargemacht hatten, dass sie in Syrien keine Großmachtansprüche verfolgen könne. Hinter der Abweisung könnte ein Deal der Russen mit Trump stehen, um den Nahen Osten in Einflusssphären aufzuteilen. Die Türkei soll dabei keinesfalls eine herausragende Rolle spielen.

Zunächst soll die militärische Kooperation zwischen den NATO-Staaten verbessert werden: Der türkische Premier schlägt der US-Regierung eine Teilnahme der Türkei und ihrer Verbündeten innerhalb der Freien Syrischen Armee (FSA) bei der Rückeroberung unter Ausschluss der PYD vor, so die türkische Zeitung Yeni Şafak.

Tatsächlich dürfte die Annäherung vor allem taktischer Natur sein: Die Türkei muss auf jeden Fall verhindern, dass die USA eine noch engere Allianz mit der kurdischen YPG schließt. Die US-Regierung hatte bekanntgegeben, die Erzfeinde von Erdogan mit schweren Waffen ausrüsten zu wollen. Umgekehrt brauchen die USA die Türkei als NATO-Staat, wenn in Syrien die Kontrolle der militärischen Operationen von den Geheimdiensten und Söldnern auf die reguläre Armee verlegt werden sollen. Die türkische Armee ist eine der besten in der Region und kampferprobt.

Einen Hinweis für die Zusammenarbeit kann man erkennen, weil die Türkei gegen die IS-Söldner, die von Saudi-Arabien finanziert werden, in al-Bab nicht mit letzter Härte vorgegangen sind.

Auch bei Deir ez Zoor zeigt sich, dass die USA und Saudi-Arabien kooperieren. Der US-Regierung schwebt eine pan-arabische Achse unter Einbeziehung der Türkei und Israels vor, um den Rücken für eine Auseinandersetzung mit dem Iran frei zu haben.

Die US-Regierung will vom Söldner-Konzept abrücken und lanciert daher erstmals Details darüber, dass im Nahen Osten US-Soldaten längst in die Kämpfe eingebunden seien: Beim Vormarsch der irakischen Armee auf die Dschihadistenhochburg Mossul hätten sich laut AFP auch US-Soldaten an Kämpfen beteiligt. Die US-Sondereinheiten, die eigentlich nur als Berater im Irak sind, seien „verschiedene Male unter Beschuss gekommen, und sie haben den Beschuss erwidert“, sagte US-Oberst John Dorrian am Mittwoch per Videoschaltung aus Bagdad zu Journalisten in Washington.

Derzeit sind rund 450 US-Soldaten im Irak, um die irakische Armee beim Vormarsch auf Mossul zu unterstützen. Sie sollen vor allem beratend eingreifen, nicht mit der Waffe. Einige der US-Soldaten seien aber so nahe an der Front, dass sich ein Beschuss nicht vermeiden lasse, sagte Oberst Dorrian. „Manchmal kommt es zu Angriffen, und glauben Sie mir: Unsere Kräfte sind ziemlich fähig, sich selbst zu verteidigen“, sagte Dorrian.

Military.com berichtet, dass die Türkei eine enge Allianz mit der neuen US-Regierung anstrebe. Nach Aussagen von Ayşe Sözen Usluer, Leiterin der Außenbeziehungen des türkischen Präsidialamts, habe die Trump-Regierung eine „gute Gelegenheit, mutige Schritte“ zu machen – nachdem die frühere US-Regierung von „Missachtung“ der Türkei geprägt gewesen sei. Auch die Türkei wolle „neue Schritte zur Verbesserung der Beziehungen“ machen.

Für die neue Achse spricht auch die Tatsache, dass die Neocons Erdogan umgarnen. Die Manöver machen deutlich, dass es zwischen Trump und den Neocons keine gravierenden Unterschiede geben dürfte. Alle öffentlich dargestellte Konflikte dürften eher den Zweck verfolgen, die Öffentlichkeit zu verwirren. Insbesondere soll Trump als eine Art Friedensengel im Vergleich mit den Kriegstreibern positioniert werden. Trump ist natürlich kein Friedensengel: Sowohl gegenüber den Russen als auch vor allem gegenüber dem Iran verfolgt er eine harte Linie und liegt damit präzise auf Kurs mit den Neocons. Sein Auftrag besteht darin, das Vordringen Chinas in den Nahen Osten und damit nach Europa zu verhindern. 

Diesem Bestreben dient auch der Aufbau einer NATO für den Golf, einem Militärbündnis, das von Saudis und Israelis getragen werden könnte. Die Saudis haben vor mehreren Monaten die Vorstufe zu einem solchen Militärbündnis gestartet, die Türkei hat sich der saudischen Initiative angeschlossen. 

So hat sich auch Ex-CIA-Chef David Petraeus, der von den türkischen Medien und türkischen Regierungsvertretern als anti-türkisch, aber auch als anti-iranisch eingestuft wird, zu Wort gemeldet. Am vergangenen Freitag sagte Petraeus auf der Münchener Sicherheitskonferenz, dass die PYD der „Cousin“ der PKK sei. Unter der Präsidentschaft Obamas hätten die Türkei und die USA verschiedene Ansätze im Syrien-Konflikt gehabt. „Eine andere Reibungsquelle ist, dass die USA die syrischen Kurden, die gute Kämpfer im Schlachtfeld in Nordsyrien gegen ISIS sind, aber offensichtlich zumindest Vettern der PKK sind, die wir gegenseitig als Terrororganisation einstufen, unterstützt“, zitiert die Nachrichtenagentur Anadolu Petraeus. Er meint, die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA würden unter Trump wahrscheinlich besser werden. „Die Türkei spielt mittlerweile eine zentrale Rolle, und ich denke, sie wird noch wichtiger werden“, meint der ehemalige Top-Spion und General, der von 2008 bis 2010 Oberbefehlshaber des US Central Command gewesen ist. Er hatte führende Positionen bei der Irak-Besetzung zwischen 2003 bis 2011.

Die Kehrtwende des US-Generals liegt offenbar in dem Interesse, um die Türkei – wie einst den Irak unter Saddam Hussein – als Gegengewicht gegen den Iran im Nahen Osten installieren zu wollen.

Petraeus sagte im Jahr 2015, dass nicht ISIS, sondern die schiitischen Milizen das eigentliche Problem im Irak seien. „In der Tat würde ich argumentieren, dass die größte Bedrohung für die langfristige Stabilität des Irak und das breitere regionale Gleichgewicht nicht der islamische Staat ist. Vielmehr sind es schiitische Milizen, von denen viele vom Iran unterstützt und einige vom Iran geführt werden“, sagte er im Interview mit der Washington Post. Im Iran sieht der ehemalige General eine „Gefahr“ für den Nahen Osten und die Interessen der USA. Das „iranische Regime“ sei „letztlich Teil des Problems, nicht die Lösung“ so Petraeus.

Am Dienstag hat sich der US-amerikanische Senator John McCain mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ankara getroffen. McCain betonte nach seinem Gespräch mit Erdoğan die Wichtigkeit der türkisch-amerikanischen „Allianz“. Der Regierungswechsel in den USA biete die Möglichkeit, die Syrien-Politik neu zu bewerten. Die Nachrichtenagentur Anadolu zitiert den US-Senator: „Wenn die USA ISIS schnell und nachhaltig besiegen, den negativen Einfluss unserer Feinde in der Region begegnen und eine Balance in der Region aufbauen wollen, müssen die USA mit der Türkei zusammenarbeiten. Zu diesem Zweck hat mir Präsident Erdoğan einen Plan zur Schaffung von Sicherheitszonen in Syrien und einen weitere Plan zur Rückeroberung von Rakka vorgelegt. Diese Pläne müssen von den USA ernst genommen werden.“

Die türkische Regierung zeigte sich zufrieden mit dem Treffen zwischen McCain und Erdoğan. Der stellvertretende Premier Numan Kurtulmuş sagte, McCains Besuch sei „ein gutes Zeichen“. Die Differenzen zwischen der Türkei und den USA in Bezug auf Syrien und die Auslieferung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, dem der Putschversuch vom 15. Juli angelastet wird, seien in eine Phase der Beseitigung eingetreten, zitiert Voice of America Kurtulmuş. Trotzdem bleibt die Unterstützung der USA für die Kurden-Milizen der PYD in Syrien ein Streitpunkt zwischen Washington und Ankara. „Entscheidet sich die USA für eine stabile Türkei mit 80 Millionen Einwohnern oder für einige tausende militante Kämpfer der PYD?“

US-Senator Lindsey Graham sagte im vergangenen Jahr mehrmals, dass es falsch sei, die Türkei als Partner aufzugeben, um die Kurden-Milizen zu unterstützen. Graham vertritt den Standpunkt, dass die PYD ein Ableger der PKK und damit eine Terrororganisation ist. Im Rahmen einer Anhörung im US-Senat kritisierte Graham den ehemaligen Pentagon-Chef Ashton Carter für die Unterstützung der PYD. „Ich bin kürzlich aus der Türkei zurückgekommen. Sie finden es nicht OK, dass wir die PYD unterstützen. Sie denken, dass dies die dümmste Sache in der Welt ist und ich stimme ihnen zu“, zitiert C-Span Graham.

John McCain und Lindsey Graham verfolgen dieselbe außenpolitische Linie. Sie gelten als Russland- und Irangegner, unterstützen einen Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und sprechen sich für eine enge Allianz zwischen den USA und der Türkei aus, um gegen Russland vorzugehen.

Der Sicherheitsanalyst Abdullah Ağar stuft die Annäherungsversuche der US-Vertreter als taktisch ein. Die Zeitung Vatan zitiert den Sicherheitsanalysten: „Wenn die USA wirklich imstande wären, die Operation auf Rakka mit der PYD durchzuführen, würden sie uns noch nicht einmal darum fragen. Die Amerikaner wissen, dass ein derartiges Vorhaben schief gehen würde. Deshalb tasten sie sich vor. Ohne die Türkei können die Amerikaner keinen Erfolg in Rakka erzielen. Das wissen sie. Im Großen und Ganzen wissen die Amerikaner, dass sie in der gesamten Region keine Operationen ohne die Unterstützung der Türkei durchführen können, allerdings haben sie große Investitionen in die PYD getätigt. In diesem Sinne versuchen die USA, die Türkei dazu zu bringen, gemeinsam mit der PYD auf Rakka vorzustoßen. Aber die Türkei wird nicht mit der PYD zusammenarbeiten, weil sie schlechte Erfahrungen mit der PYD (Anm.d.Red. und der PKK) hat. Eine Zusammenarbeit würde der PKK eine Legitimation verschaffen. Damit würde sich die Türkei ins eigene Knie schießen.“

Die Annäherung Erdogans an Trump impliziert eine Abwendung von den Russen. Diese dürfte jedoch von russisch-amerikanischer Seite eher taktischer Natur sein: Russen und Amerikaner misstrauen in gleichem Maß Erdogan, den sie für einen Islamisten halten. Die Russen könnten eine Art Aufpasser-Rolle übernehmen, um der Türkei dauerhaft die Grenzen aufzuzeigen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Erdogan nach dem Besuch der Amerikaner nicht lautstark die Auslieferung des des Putsches verdächtigten Predigers Gülen verlangte. Gülen steht für viele geostrategische Ziele, für die auch die CIA steht. Bisher war die Auslieferung von Gülen immer ein erklärtes Ziel der türkischen Regierung. In den vergangenen Wochen war davon auffällig wenig zu hören.


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