Politik

Ratlos in den Niederlanden: Es gibt keinen Sieger, der regieren kann

In den Niederlanden kommt die stärkste Partei auf nur 20 Prozent. Damit wird die Regierungsbildung nicht eine Frage des Programms, sondern der Macht. In der aktuellen Krise der EU wird dies zur weitere Destabilisierung in Europa führen.
16.03.2017 02:12
Lesezeit: 3 min

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Der eigentliche Sieger der niederländische Parlamentswahl ist der außerparlamentarische Opportunismus: Diesen hat der Wahlsieger Mark Rutte mit seinem aufgeheizten Konflikt mit der Türkei demonstriert. Rutte hatte wenige Tage vor der Wahl eine anti-türkische Show abgezogen, als wäre nicht er, sondern bereits Geert Wilders der Regierungschef.

Natürlich wird es bei der stramm antitürkischen Kampagne nicht bleiben: Als die Auszählung noch voll im Gang war, ruderte die Regierung bereits zurück: „Wir würden die Spannungen gerne abbauen“, sagte Verteidigungsministerin Jeanine Hennis-Plasschaert am Mittwochabend in Den Haag. Es sei alles andere als sinnvoll, so weiter zu machen wie in den vergangenen Tagen.

Hennis-Plasschaert spielte damit auf den Streit um Auftritte türkischer Regierungspolitiker in den Niederlanden an, der zuletzt zu einer schweren Krise in den Beziehungen beider Länder geführt hatte. Ankara reagierte unter anderem mit Nazi-Vergleichen auf ein von der Rutte-Regierung ausgesprochenes Auftrittsverbot für türkische Politiker, die bei in den Niederlanden lebenden Türken für ein Ja zum geplanten Verfassungsreferendum werben wollten. Rutte hatte offenkundig versucht, den Streit kurzfristig vor der Wahl zu eskalieren, um einen Sieg von Geert Wilders zu verhindern. Hennis-Plasschaert wies solche Vermutungen am Mittwochabend zurück. „Wir mussten eine rote Linie ziehen. Das hatte nichts mit den Wahlen zu tun.“

Tatsächlich hat die Kampagne gezeigt, dass die Tonart gegenüber Ausländern, Flüchtlingen, Türken, Gastarbeitern und anderen ethnischen Gruppen längst gekippt ist, dass alle Hemmungen gefallen sind: Denn die antitürkische Eskalation wird Spuren im Zusammenleben zwischen den Türken und den Niederländern hinterlassen, trotz der liberalen Grundhaltung im Land.

Das Wahlergebnis hat die Niederlande im Grund unregierbar gemacht: Die Sieger-Partei, die rechts-liberale VVD kommt auf etwa 20 Prozent der Stimmen. Es folgen die Christdemokraten, die PVV von Wilders und die links-liberale D66 mit jeweils etwa 12 Prozent. Alle anderen Parteien liegen, einschließlich der vernichtend geschlagenen Sozialdemokraten, unter 10 Prozent. (Stand: Donnerstag 01:30 Uhr)

Für eine Koalition sind 76 Sitze nötig. Dies wird nur mit vier Parteien in einer Regierung möglich sein. Diese werden sich in Sachfragen vielleicht gelegentlich einigen können. Doch eine konsistente politische Linie ist kaum möglich. Daher wird die Regierung – wie Rutte mit den Türken – auf die Opportunismus-Karte setzen: Sie wird Wilders beschimpfen und ausgrenzen und gleichzeitig ganz offen seine Politik betreiben. Zugleich wird die Regierung gegenüber der EU freundlich bleiben und ihren eigenen „Populismus“ in Brüssel tunlichst kaschieren. Ein ähnliches Verhalten kann man aktuell in Österreich beobachten: Auch hier sagt der Bundeskanzler in Brüssel etwas anderes als in Wien vor heimischem Publikum.

Damit aber ist ein Zustand der postdemokratischen Schizophrenie erreicht, der die Demokratie in Europa auszuhöhlen droht. Es ist genau jener Zustand, der die Briten aus der EU getrieben hat. Ihnen wurde erklärt, dass sie die Einwanderung nicht nach eigenem Gutdünken lösen dürfen. Doch bei allen Vorbehalten, die man dem britischen Establishment entgegenbringen kann: Die Briten wissen, dass das Wesen einer Demokratie in einem Minimalkonsens zwischen den Regierenden und den Regierten in einigen zentralen Fragen besteht. In den meisten anderen Staaten der EU ist dies nicht so.

Joachim Gauck hatte einmal beklagt, dass das aktuelle Problem nicht ein „Eliten-Problem“, sondern eines der „Bevölkerungen“ sei. Diese Sichtweise ist zutreffend und wird auch vom niederländischen Wahlergebnis belegt: Gewonnen haben jene Parteien, die nicht an der Regierung waren, links wie rechts. Verloren haben die Regierungsparteien – inklusive des sich jetzt als Sieger feiernden Mark Rutte. Auch die Niederlande haben also in der Gauckschen Logik ein „Bevölkerungsproblem“.

Für Geert Wilders ist das die ideale Konstellation: Er kann seine Positionen quasi per Zuruf durchsetzen. Wilders sagte nach der Wahl laut AFP: „Wenn möglich würde ich gern mitregieren, aber wenn es nicht geht (...), werden wir das Kabinett wo nötig unterstützen, bei den Fragen, die für uns wichtig sind.“ Rutte hatte eine erneute Zusammenarbeit mit Wilders PVV bereits kategorisch ausgeschlossen, ein solches Bündnis war 2010 geplatzt.

Wilders muss allerdings gar nicht regieren, um seine politischen Ziele zu erreichen. Der „Trick“ der anderen ist die Unehrlichkeit in höchster Vollendung: Sie machen eine Politik wie Wilders, nennen ihn einen „Rechtspopulisten“ und sich selbst „Europäer“. Es ist dasselbe Spiel wie mit Donald Trump: Die EU-Politiker, angeführt von Angela Merkel, haben gegen Trump die „europäischen Werte“ proklamiert – und gleichzeitig eine brutale Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge und Migranten eingeleitet – und nicht gegen die Kriege unternommen, die die Vertreibungen erst ausgelöst haben. In Deutschland hat dieser Kurs der Abwehr des „Fremden“, wie der Migrationsforscher Klaus J. Bade gezeigt hat, seit Jahrzehnten Methode.

Allerdings ist dieses doppelte Spiel auf Dauer nicht durchzuhalten. An entscheidenden Wegmarken müssen Regierende und Regierte aufeinander hören und einander vertrauen. Für die Niederlande wird, wie für Deutschland, die Stunde der Wahrheit kommen, wenn sich die Zentrifugaltendenzen in der EU weiter verschärfen, etwa mit der Rückkehr der Finanz- und/oder Staatsschuldenkrise.

Es ist daher aus der Perspektive der Rechten nur folgerichtig, wenn der französische Front National Wilders im Aufwind sieht: „Das nächste Mal wird er gewinnen“, sagte FN-Vizepräsident Florian Philippot am späten Mittwochabend dem französischen Sender France 3: „Das System der Europäischen Union, das immer totalitärer wird, erlebt seine letzten Monate.“ Wie das Ergebnis in den Niederlanden zeigt, kann sich diese Prophezeiung erfüllen, ohne dass Le Pen in Frankreich gewinnt. All jene Politiker, die es in der Disziplin Heuchelei zu einer bemerkenswerten Meisterschaft gebracht haben, tragen zum Untergang eines „Systems“ bei, dass nur mit unveräußerlichen Werten Bestand gehabt hätte.

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